UEBER DIE





EXACTE NATUR-PHILOSOPHIE.





VON





ADOLF MÜHRY, Dr.





Zweite, vermehrte, Ausgabe.










GÖTTINGEN, 1878.


Dieterich'sche Verlags-Buchhandlung.




[I/II]





Ist die Natur geschickt, Proportion und Ordnung zu halten,


was ein Werk der Vernunft ist . . . .


Joh. Kepler, Tertius interveniens, 1610


(s. Opera omnia, ed, Frisch, 1858. vol. I, p. 619).



[II/III]


[Bei dem vorliegenden Exemplar in Originalbroschur wurde das Vorwort, paginiert V/VI, zwischen Titelblatt und Inhaltsverzeichnis (letzteres paginiert III/IV) eingebunden.]





Vorwort.


Der Verfasser dieser wenig umfangreichen Schrift wünscht damit nach langjähriger naturwissenschaftlicher und zugleich philosophischer Beschäftigung gleichsam das Schluss-Ergebniss derselben der nachsichtigen Aufnahme des Lesers vorzulegen. Sie mag betrachtet werden als ein wissenschaftliches Glaubens-Bekenntniss, als eine so gewonnene philosophisch-naturwissenschaftliche Welt-Anschauung; welche hier, gemäss dem zeitigen Stande des Wissens, kurz und gedrängt sogar nur in Punctationen und ohne weitere Ausführungen, aber klar, verständlich und übersichtlich, wie in einem Redeflusse, vorgetragen werden sollte. Vielleicht wird sie von dem Einen oder dem Anderen auch dienlich gefunden werden zur Orientirung in der Verworrenheit mancher wichtiger uralter und neuer Streitfragen.
Wie bei früheren Veröffentlichungen seiner wissenschaftlichen Untersuchungen hat der Verfasser auch hier als Regel befolgt, Nachfolger sollten dereinst viel hinzuzufügen, aber wenig oder nichts hinwegzunehmen, für erforderlich erachten.
Ausdrücklich sei noch erwähnt, dass diese concentrirte Schrift keine andere Tendenz besitzt als allein die wissenschaftliche (was jeder unbefangene Kenner schon im Voraus annehmen wird, da ja sonst bei einem jeden Verfasser der wissenschaftliche Credit sehr leiden muss), dass sie wie eine gereifte Frucht, zu ihrer Zeit vom Baume [V/VI] gefallen, für diejenigen welche sie aufheben wollen hier der Kenntnissnahme dargeboten worden ist, und dass auch nur in solchem Sinne die Kritik der Naturwissenschaft und der Philosophie für sie erwartet werden kann. Wenn es ihr aber überhaupt beschieden ist, Zustimmung und Anerkennung für ihren Inhalt zu erfahren, ist doch zu vermuthen, dass diese nur allmälig und erst in späterer Zeit eintreten werden; hieran jedoch können und dürfen wir nicht zweifeln.
Göttingen, im Juli 1877.

Zur zweiten Ausgabe.


Die Bezeichnung „zweite Ausgabe" ist hier in dem besonderen Sinne zu verstehen, dass eine erste Ausgabe nur als Manuscript und nur in wenigen Exemplaren (100) gedruckt und vertheilt worden war, ohne dem Buchhandel übergeben zu sein. Dies war geschehen aus Unsicherheit über die Aufnahme von der Kritik, welche freilich damit nicht vermieden werden konnte und auch nicht sollte; wie denn auch der Verfasser die Meinung theilt, dass wer ein Buch veröffentlicht damit einem Jeden das Recht zuerkennt, darüber sein Urtheil abzugeben, selbst etwaigen systematischen Feinden.
Ausserdem war jene Bezeichnung erforderlich, weil hier wenn auch keine wesentliche Aenderungen doch an mehren Stellen nicht unbeträchtliche Zusätze sich finden; diese sind vorzugsweise in Anmerkungen gegeben.
Göttingen, im Juli 1878.

A. Mühry,

Privat-Gelehrter.






Inhalt.


Seite

Vorwort.
§ 1. Die natürlichen Verhältnisse müssen die anerkannte Unterlage bilden für die Philosophie - in der neusten Zeit hat das Wissen von der Natur grossartige Erweiterung erfahren und ist die Auffassung der Natur vornehmlich eine kosmologische geworden.1.
§ 2. Es zeigt sich ein Verlangen nach richtiger Vereinigung der Naturwissenschaft und der Philosophie auf beiden Seiten - es mangelt noch die Anerkennung der im Weltall sich aussprechenden logischen Gesetze, d. i. des Denkens oder Geistes, und zunächst der Teleologie, mit richtigem Begriffe dieser, d. i. Proportionalität der Theile eines Ganzen.5.
§ 3. Zwei beweisende Beispiele von Teleologie aus der unorganischen Welt, in der Astronomie und in der Geo-Physik.12.
§ 4. Neueres Verleugnen der Teleologie in der organischen Welt - über die Biologie in der kosmologischen Auffassung.14.
§ 5. Nähere Erörterung des geo-physikalischen Beispiels.24.
§ 6. Psychologisches, - das im Universum erkannte Gedachte und Denken sind identischer Art mit dem Denken des Menschen, obgleich letzteres nur eine minimale Grösse darstellt.28.
§ 7. Unterschied des Instinkts vom menschlichen Denken - die geschichtlichen Aeusserungen dieses, seit sieben Jahrtausenden, zeigen im Zunehmen des Wissens und Könnens, mit mehren Cultur-Centren, doch eine Stätigkeit der natürlichen Fähigkeiten des Geistes - in diesen sind auch keine erhebliche ethnologische Unterschiede anzunehmen - Zeugnisse für Unabhängigkeit des Geistes vom Hirn.32.
§ 8. Grundzüge des menschlichen Geistes in rein naturwissenschaftlicher Auffassung. - Eine Anwendung auf die Ethik.48.
[III/IV]
§ 9. Beispiele mechanistischer Auffassung, und ein anderes Beispiel mit der unseren übereinstimmender Welt-Anschauung.53.
§ 10. Unsere Auffassung vom Geiste, als beginnend bei dessen Stellung im grossen Ganzen der Natur, ist realistisch und naturwissenschaftlich, verschieden von der früheren Alleinherrschaft der subjectivistischen Auffassung.59.
§ 11. Kurze geschichtliche Erörterung. Unsere Auffassung ist ein Identificiren des Subjects mit dem objectiven Geiste im Weltall, aber nicht mit der Natur im engeren Sinne, mit dem Physischen, - unsere Methode der Forschung ist die inductive, sie betrachtet den Geist in seiner Stellung im Ganzen der Natur, aber weil sie ihn darin auch unterscheidet behandelt sie dessen Werke und die Geistes-Wissenschaften nicht mechanistisch, auch nicht ausschliesslich mathematisch-physikalisch, sondern gemäss der richtig verstandenen „exacten" Natur-Philosophie verkennt unsere Auffassung nicht das unabhängige, besondere Wesen des Geistes. - Zur Geschichte der Philosophie, - Zur Lehre von der Sinnes-Wahrnehmung und zur Erkenntniss-Lehre, - Zur Philosophie der Geschichte.60.
§ 12. Die Philosophie würde in der Zukunft ihren Ausgang zu nehmen haben, nicht vom subjectiven, sondern vom objectiven kosmischen Geiste, so analog der Copernicanischen Anschauung.82.
Noten. 1) Ein Beispiel der Pseudo-Teleologie. 2) Abwehr einer etwaigen Einwendung gegen das angeführte astronomische Beispiel von Teleologie. 3) Die unzähligen anderen astronomischen Beispiele von Teleologie, d. i. von bestehender Proportionalität im Weltall.85.
[IV/1]




In der gegenwärtigen Zeit, wo erfreulicher Weise ernstlich die Rede ist von einer neuen und richtigen Vereinigung der Natur-Wissenschaften mit der Philosophie, und wo auch wirklich manches dazu Berechtigte neu vorbereitet vorhanden ist - gilt es zunächst, einer dabei unentbehrlichen, aber hart bedrängten, ja mit dem Ersticken bedrohten, und doch ewigen, Wahrheit zu Hülfe zu kommen, so weit deren Ansprüche auf Anerkennung in der grossen Natur richtig und gerecht sind, das ist die Teleologie. Damit ist verbunden, auch dem Geiste überhaupt in dessen ewigem Kampfe gegen den eben jetzt wieder einmal übermächtig und übermüthig gewordenen Stoff einige neue thatsächliche Argumente zur Unterstützung zuzuführen, und sogar auf dessen bevorstehende, schon sich ankündigende, und zwar auf rein inductivem Wege zu erwartende, Anerkennung in der kosmologischen Auffassung der Natur mit voller Entschiedenheit hinzuweisen. Dies ist die Aufgabe, deren Lösung hier versucht werden soll.

§. 1.



Wir halten die Meinung für richtig, dass das Wissen von den natürlichen Verhältnissen immer die Grundlage bilden muss für die Philosophie - welche ja ist die vom höchsten Standpunkte des zeitigen Wis-[1/2]sens aus sich ergebende allgemeinste übersichtliche Beurtheilung der weltlichen und der menschlichen, d. h. auch der dabei vornehmlich in Bedacht zu ziehenden geistigen Verhältnisse, und darunter vorzugsweise die Beantwortung gewisser grosser, den Sinn der denkenden Menschen ewig beschäftigender Grund-Fragen; - und ferner halten wir die Meinung für richtig, dass beide, sowohl die Kenntniss von der natürlichen oder realen Grundlage wie die allgemeinsten darauf erwachsenden Ideen, immer ein gewisses gegenseitiges Gleichgewicht bewahren müssen. Aber es ist bekannt, dass die Geschichte der Philosophie und der Naturwissenschaften lehrt, es könne gleichzeitig die eine und auch die andere Seite überwiegen, und es seien fast regelmässig abwechselnd zwischen zwei Extremen schwankende Zeiten sich gefolgt, indem entweder die reale empirische Unterlage, die Naturkenntniss, vernachlässigt war, während dagegen ein speculativer Flug der Ideen weit über die Berechtigung hinaus sich darüber erhob, gleichsam den festen Boden verlassend und wie ein Luftschiff ohne Steuer in der Region der abstracten Begriffe sich bewegend - oder aber indem umgekehrt der reale thatsächliche Inhalt der Naturforschung überwiegend gepflegt wurde, und zwar in der Weise, dass diese ausschliesslich schätzte und beachtete was sich messen und wägen lässt, am Stoffe festhielt, rein empirisch bleiben wollte, zufrieden war mit so gewonnenen vereinzelten Thatsachen, dem Zusammenhange derselben nachzusuchen unterliess, aber damit auch die höhere, überschauende, ideale und zugleich die Begriffe richtig hinstellende, [2/3] Behandlung vernachlässigte, sogar verschmähte, und, wie flügellos geworden, am niedrigen Boden haften bleibend erschien.
Wir sprechen hier vornehmlich allein von der natürlichen Grundlage aller Philosophie, von der Naturwissenschaft, welche unstreitig wenigstens so weit auch selber einer philosophischen Behandlung ihres Gegenstandes bedarf, dass das Ergebniss genannt werden kann „exacte Natur-Philosophie"*). Ihr sind während der letzten Jahrzehnte neue Kenntnisse in wirklich ausserordentlicher Menge und von ungewöhnlicher Bedeutung zugeströmt. Nicht nur neue einzelne Thatsachen, sondern auch neue principielle Einsichten, Gesetze und Theorien, haben den Umfang ihres Wissens zugleich im Raume und in der Zeit grossartig erweitert. Man kann sagen, die Auffassung der Natur sei so eine kosmologische geworden.
Als die in dieser Auffassung sich vereinigenden vorzüglichsten neuen Einsichten können die folgenden vier namhaft gemacht werden: - dass im ganzen Weltraume nicht nur dasselbe Gesetz der Gravitation gilt, was man schon länger weiss, sondern auch dieselben

*) In Betreff dieses Ausdrucks ist noch anzugeben, dass er auch einen Unterschied bezeichnet von einer berühmten deutschen „Naturphilosophie", welche unter diesem Namen dereinst eine Philosophie aufstellte, aber dabei die natürliche Unterlage keineswegs auf exacte Weise behandelte, sondern vorzugsweise speculativ-idealistisch, ja poëtisch, anstatt realistisch und empirisch mit inductiver Methode der Forschung. Unstreitig muss die vollständige exacte Methode auch in sich fassen eine scharfe und klare Bestimmung der Begriffe. [3/4]

physikalischen und chemischen Gesetze, und auch dieselben Elementar-Stoffe sich finden; - dass nicht nur die Elementarstoffe unvergänglich sind, was schon länger bekannt war, sondern auch die Kräfte (die Energie), nämlich dass die Quantität der im Natur-Ganzen vorhandenen mechanischen Kraft ewig und ungeändert sich gleich bleibt, dass alle Veränderung in der Natur darin besteht, dass die Arbeitskraft wechselt; zumal geht sie über in Wärme, und diese, als moleculare Bewegung gedacht, geht über wieder in Arbeit, indem es sich dabei immer handelt nur um Bewegungen, entweder der Massen oder der Molekeln*); - dass eine genetische Continuität besteht in der Bildung der Weltkörper, und auch wenigstens auf der Erde, in der Aufeinanderfolge der Organismen (wenn auch das Wie hier noch nicht erklärt ist); - das demnach unser so kleiner Erdkörper im Weltenraume nicht als eigenartiger anzusehen ist, sondern als ein gleichartiger zugehörender Theil des Welt-Ganzen, in welchem überhaupt alle vorhandenen Grundstoffe und Kräfte eine gewisse Gemeinsamkeit, eine ubiquitäre Uebereinstimmung und Vertheilung besitzen.

*) Dies geltende allgemeine Gesetz ist kurz ausgesprochen, in den zwei Sätzen, welche freilich schon von Demokritos gedacht und gesagt sind, (wenn auch noch ohne Berechtigung): „nihil fit ex nihilo" und auch „nihil fit ad nihilum", also „nichts entsteht aus nichts" und „nichts kann zu nichts werden"; von jenen zwei Sätzen ist der zweite zu wenig oder gar nicht beachtet geblieben, bis zur neuesten Zeit. [4/5]

§ 2.



So grossartig nun jene kosmologische Natur-Auffassung sich darstellt, so fehlt ihr doch zur Vollständigkeit und bleibt noch übrig, ein wichtiges Moment nicht zu verkennen, sondern dies als gleichfalls im Universum vorhanden, und zwar als gleichfalls auf dem rein inductiven Wege der Erfahrung erkennbar, in jene Auffassung mit aufzunehmen. Das ist es was hier eben besonders hervorgehoben werden soll, so befremdend es anfangs erscheinen mag. Wir meinen das im Weltganzen rein objectiv sich aussprechende Gedachte und also das Denken. Das Denken pflegt meist nur als subjectiv, und zwar als von der ganzen übrigen Natur verschieden, ja als dieser, d. i. dem Realen, Objectiven, entgegengesetzt, von der Philosophie aufgefasst zu werden. Und in der Naturforschung unserer Tage besteht eine starke Neigung, dies subjective oder menschliche Denken aufzufassen als einen rein mechanischen oder physikalischen Vorgang, und demnach, wenigstens in solchem besonderen beschränkten Sinne, als nicht verschieden von den Naturkräften; ja eben diese Auffassung findet man zugleich genannt eine philosophische, mit der Bezeichnung der „monistischen". Man erkennt schon aus solchem Widerspruche, wie sehr zu wünschen ist, dass die beiden Wissenschaften, die Philosophie und die Naturwissenschaft, sich verständigen und sich vereinigen zu einer exacten Natur-Philosophie, oder doch zu einer philosophischen Kritik der Naturwissenschaft. Bis jetzt ist diese Vereinigung noch nicht zu Stande gekommen, aber ein Streben danach ist schon wohl bemerkbar. [5/6]
In der That man findet, dass die neuere Philosophie ihrerseits zugesteht, sie müsse bei der Naturwissenschaft über ihre natürliche Unterlage Belehrung suchen. Die speculative, sonst gerne in abstracten Begriffen sich bewegende und darin sich verflüchtigende Wissenschaft hat in neuerer Zeit wiederholt Versuche gemacht, sich mit realem Inhalte zu füllen, und von der inductiven, auf Thatsachen sich stützenden, sogar von der strengen Methode der mathematischen Naturforschung anzunehmen. (Als Beispiele mögen angeführt werden die philosophischen Schriften in Deutschland von Th. Waitz, J.[!] H. Fichte, H. Lotze, A. Schopenhauer, F. Ueberweg, F. Alb. Lange, E. v. Hartmann, W. Wundt, ohne zu erwähnen mehrerer jungen Kräfte; in Frankreich von A. Comte; in England von J. Stuart Mill, Herbert Spencer, G. Lewes, Alex. Bain). Ein neuerer Philosoph, welchem wir hierin beistimmen, sagt in dieser Beziehung: „Auf dem Standpunkte der Gegenwart ist keine Philosophie mehr denkbar ohne die exacte Forschung" (F. Alb. Lange, Gesch. des Materialismus, 1866, S. 333). - Anderseits hat auch die beobachtende, möglichst messende und wägende, Naturwissenschaft wenigstens den Wunsch gezeigt und auch einige ernstliche Versuche gemacht, zu einer denkenden, sogar speculativen, Betrachtung ihres Gegenstandes sich zu erheben. (Findet man doch z. B. ausgesprochen, 1872, von einem deutschen Astro-Physiker: „die Speculation ist in der gegenwärtigen Entwickelungs-Phase der Naturwissenschaft ein tief empfundenes Bedürfniss". Aehnliches giebt sich zu erkennen bei anderen deutschen [6/7] und auch bei französischen und englischen Naturforschern; genannt mögen werden E. H. Weber, G. Fechner, J. Liebig, B. Riemann, F. Zöllner, J. R. Mayer, H. Helmholtz, H. Henle, E. Dühring; Claude Bernard, M. Berthelot; J. Tyndall, Th. Huxley*). Aber sie hat vorwiegend Neigung, die philosophische Behandlung durchaus zu beschränken auf die sichereren weil einfacheren Verhältnisse, an welche sie selber gewöhnt ist, am liebsten auf die rein quantitativen, und man kann hinzufügen, welcher Beschränkung sie ihre realen Entdeckungen zunächst verdankt und immer vorzugsweise verdanken wird. Die exacte Methode der Naturwissenschaft selbst kann und soll hier in ihrem Werthe nicht verkannt werden. Es ist hier jedoch die Rede von der richtigen Beurtheilung der allgemeinen Stellung, welche deren Gegenstand im Weltganzen einnimmt, wie sie nur ein philosophischer Ueberblick ergiebt, und von dem Gewinn, der daraus hervorgeht für die Naturwissenschaft selbst, nicht nur für die Läuterung ihrer Begriffe, sondern auch für die Bestimmung ihres Verhältnisses zu den Geistes-Wissenschaften, für welche sie zwar die Grundlage bildet, aber von welchen sie im Wesen verschieden bleibt, was eben jetzt

*) „Die exacte Forschung", so lautet ein neueres anerkennenswerthe Urtheil, „bedarf der beständigen Läuterung durch die philosophische Kritik"; und ferner: „die Metaphysik, dieser allgemeine Theil der Philosophie, bedarf einer Reform, die zum Theil schon eingetreten ist, nämlich dass sie ihre Aufgabe erkenne nur in der Bearbeitung der zu jedem wissenschaftlichen Denken unentbehrlichen Begriffe". [7/8]

vielfach verkannt wird. - Dazu kommt dass es einigermassen erklärlich ist, wenn auf Seiten der Naturforschung durch das Gefühl des Besitzes von fast plötzlich erworbenem Reichthume an neuen thatsächlichen Kenntnissen, welche ausserdem im praktischen Leben vielfach sich geltend machen, eine Ueberhebung und sogar die Meinung von einer Hegemonie der Naturwissenschaften über die Geistes-Wissenschaften hervorgerufen ist, wenigstens in schwächeren Köpfen. Wirklich werden darüber schon Klagen geführt, und zumtheil nicht ohne Grund, jedoch anderentheils auch ungerechter Weise. Der bekannte und charakteristische Ausspruch eines sterbenden Naturforschers: „das Individuum gilt nichts in der Natur" ist sicherlich ein Ausdruck der Bescheidenheit. Aber auch in Hinsicht auf den Werth der Naturwissenschaft selbst fehlt den umsichtigen Denkern unter ihren Pflegern nicht das richtige Maass der Schätzung. Was die Naturforscher mit Recht verlangen können, ist, in ihrem Fürwahrhalten nicht durch äussere Gründe, sondern allein durch innere, wissenschaftliche Argumente und Belege sich bestimmen lassen zu dürfen. Was sie dagegen nicht verlangen dürfen und doch öfters annehmen, ist, dass ihr Naturwissen, zumal unter mechanistischer Herrschaft, im Stande sei, das ganze Gebiet der Wahrheit, auch die vom Menschen-Geiste selbst erst vorgebrachten Bildungen, die Geistes-Wissenschaften zu umfassen, und demnach allen Forderungen des Wissensdranges und auch des Gemüths des Menschen-Geschlechts Genüge zu leisten. Und noch weniger [8/9] dürfen sie annehmen, dass mehr als tausendjährige Lebens-Anschauungen, Sitten und moralische Gesetze den Schwankungen ihres Wissens und ihrer Theorien sich unterordnen und nachschwanken sollen. Eben bei solchen Ansprüchen ist die richtige Selbstschätzung noch nöthiger.
Zunächst aber besteht in der neuesten Naturwissenschaft der besondere schon angedeutete Mangel; und dieser ist es, welcher uns hier vorzugsweise beschäftigt. Sie hält eine Wahrheit von sich fern, welche in der unbefangenen Betrachtung des Naturganzen als eine unabweisbare Thatsache sich geltend macht; wir meinen, es fehlt ihr die Anerkennung der Teleologie in der Natur-Auffassung.
Wir sind weit davon entfernt, wie schon gesagt, die Naturwissenschaft von ihrer inductiven und strengen Methode der Forschung abziehen zu wollen; im Gegentheil. Jedoch muss der Fehler vermieden werden, welcher die exacte Methode der Art versteht, dass nur die einfachsten und unmittelbar durch die Sinne wahrnehmbaren, messbaren und wägbaren Dinge für reale Gegenstände angesehen werden und daher allein beachtet werden; während dagegen solche, welche nur mittelbar, nämlich allein durch ihre Wirkungen, sich den Sinnen zu erkennen geben, aber doch als bestehende Ursachen sicher zu folgern und anzuerkennen sind, ganz ignorirt werden. Selbst die strengste naturwissenschaftliche Methode muss zugestehen, das zu den im Weltall enthaltenen realen Gegenständen ihrer Beachtung gehört auch ein darin mittelbar sich kund [9/10] gebendes objectives Denken. Anders ausgedrückt, wir meinen in der kosmologischen Anschauung sei enthalten auch die Einsicht, es gelten im ganzen Weltall nicht nur dieselben mathematischen, mechanischen, physikalischen und chemischen Gesetze, sondern auch dieselben logischen Gesetze. Dies äussert sich zunächst in der Teleologie. Freilich tritt nun vor allem die Forderung auf, diese als wirklich vorhandene Thatsache in der Natur nachzuweisen; und damit sind wir zu dem Kernpunkte unserer Aufgabe gelangt, d. i. auf inductive Weise thatsächliche entschieden beweisende Beispiele von der Teleologie in der grossen Natur vorzulegen. Zur Zeit gehört sogar einiger Muth dazu, dies Wort auch nur auszusprechen; grossentheils aber liegt dies nur an der Entstellung des Begriffs, und es kommt sehr darauf an, darüber zuvor sich zu verständigen*).

*) Wenn es sich darum handelt, thatsächliche Beweise zu liefern, können zwar blose Meinungen selbst von Autoritäten nicht genügen. Indessen mag hier doch ein bestimmter Ausspruch eines unserer grössten Denker wörtlich angeführt werden, weil dessen Autorität auch in der Naturwissenschaft zur Zeit vorzugsweise gern, und in unserer Frage öfters in entgegengesetztem Sinne, angerufen zu werden pflegt. J. W. Goethe sagt einmal: „Als man die teleologische Erklärung verbannte, nahm man der Natur den Verstand; man hatte nicht den Muth, ihr Vernunft zuzuschreiben und sie blieb geistlos liegen" (s. Geschichte der Farbenlehre, bei Robert Boyle). An einem anderen Orte findet sich sogar folgender Ausspruch: „die Natur hat gedacht und sinnt beständig" (s. Ueber Naturwissenschaft im Allgemeinen, aphoristisch, 1870). [10/11]

Unter Teleologie in der Natur verstehen wir keinen „Deus ex machina", auch nicht willkürlich angenommene äussere Zwecke, was als antecipirende, leicht missleitende Annahme mit Recht von der Naturforschung verworfen wird, oder gar eine verlangte allgemeine unmittelbare Nützlichkeit der Natur für den Menschen, was bezeichnet werden könnte als falsche oder egoistische Teleologie, sondern wir verstehen darunter: die in einem Gegenstande der Untersuchung bestehende Proportionalität, quantitative oder qualitative, der Theile eines Ganzen, besonders in Bewegung befindlicher Theile, welche immer den Beweis enthält, dass in dem Gegenstande auch logische Gesetze wirksam sind. In der That wo sich Proportionalität findet, da ist auch gedacht worden; dies ist so sicher wie ein Beweis irgend sein kann. In einem solchen Falle sind die einzelnen Theile abgemessen und angeordnet zu einem gemeinsamen Ziele, dienend einer einheitlichen Idee, einem vernünftigen Zwecke, als Wirkung eines Denkens, welches letzteres als Ursache nicht selber von unseren Sinnen wahrgenommen werden kann, aber dennoch mit vollkommener Sicherheit aus den Thatsachen, als den ihm allein möglichen Wirkungen, gefolgert werden kann und anerkannt werden muss. So verhält es sich auch in einer Maschine von Menschen gebaut, welche zwar nicht selber denkt, aber immer gedacht worden ist, und in welcher, wenn sie zerbrochen ist, dieselben mechanischen Gesetze geltend bleiben, aber der Sinn, der gedachte Zweck ihrer pro-[11/12]portionalen Vereinigung, die Teleologie, verloren gegangen, also ihr logisches Gesetz aufgehoben ist. In solchem Sinne hat eine jede Maschine ihre Teleologie. Demnach enthält die Anerkennung der Teleologie zugleich die Anerkennung des Denkens oder des objectiven Geistes in der Natur, und hat diese sehr weit reichende Bedeutung (s. Note 1).

§ 3.



Hier sollen nur zwei, aber entschieden beweisende, Beispiele von Teleologie; und zwar in der grossen unorganischen Natur enthalten, vorgelegt werden; das erste ist genommen aus der Astronomie, das andere aus der Physik der Erde.
1) Das astronomische beweisende Beispiel von Teleologie findet sich angegeben von F. W. Bessel, und ist von diesem Astronomen ersten Ranges erkannt und anerkannt worden in dem auffallenden Verhalten der Umdrehung des Erd-Mondes mit folgenden Worten (s. dessen Populäre Vorlesungen über wissenschaftliche Gegenstände, herausg. von. H. Chr. Schumacher, 1848, S. 606): „Die Erscheinung der Gleichheit beider Bewegungen unseres Mondes, nämlich des Umlaufs um die Erde und die eigene Axendrehung des Mondes, welcher, eine unvollkommene, Kugel, an seiner der Erde bleibend zugewandten Seite mehr Masse besitzt als an der abgewandten Seite, ist eine der Merkwürdigkeiten des Weltsystems, indem jene Gleichheit nicht die Folge ist eines allgemeinen Gesetzes, aber durch ihr wirkliches Vorkommen auf das Stattfinden primitiver besonderer [12/13] Bedingungen deutet, deren Vorhandensein eines der Daten ist, gegen welche jede genetische Erklärung des Weltsystems nicht verstossen darf. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der blosse Zufall zwei Bewegungen, welche in jeder beliebigen Verschiedenheit neben einander bestehen können, innerhalb so enger Grenzen einander gleich gemacht haben sollte, dass sie durch die Wirkung der Anziehung völlig gleich werden mussten. Es wird noch unwahrscheinlicher, da auch andere Monde unseres Planeten-Systems dieselbe Gleichheit beider Bewegungen zu besitzen scheinen, und der äusserste Mond des Saturn sie gewiss besitzt. Bei den Planeten selbst findet Aehnliches nicht statt" (s. Note 2 u. 3).
2) Das zweite Beispiel von Teleologie in der grossen Natur, nehmen wir aus der Geo-Physik. Wie es eine „Mécanique céleste" giebt, um diesen Ausdruck des P. A. Laplace zu gebrauchen, so giebt es auch eine Mécanique tellurique; aber diese ist noch nicht geschrieben. In dieser kann die Teleologie zunächst nur in dem elastisch und in dem tropfbar Flüssigen erkannt werden, weil nur in diesen permanente Bewegungen vorgehen. Darüher [Darüber] kann nicht länger Unsicherheit bestehen, dass in den beiden flüssigen Hüllen, in der Atmosphäre und im Ocean, Vorgang habende fundamentale Strömungen eine regelmässige und beständige allgemeine Circulation darstellen, als directe Wirkung theils der Axendrehung der Kugel, theils der auf jeder Halbkugel zwischen dem Pole und dem Aequator bestehenden Temperatur-Differenz. Man kann [13/14] aber noch weiter gehen und auf der Erd-Oberfläche auch eine gewisse zu dem oceanischen Circulations-Systeme in einem proportionalem Verhältnisse stehende Gestaltung erkennen. Was auf dem Erdenrunde vom Flüssigen gilt, warum sollte es auf dies allein beschränkt bleiben und nicht auch Geltung haben für das Festland? Die Geologie darf sich für berechtigt halten, ja sie wird dereinst sich genöthigt finden, die Erdkugel wenigstens für etwas mehr anzusehen als für eine verglühende Schlacke, mit abgeschwemmtem Erdreiche bedeckt. Darüber ist noch etwas mehr zu sagen.

§ 4.



In der Paläontologie berühren sich die unorganischen Gebilde mit den organischen, aber auch die Lehren beider, die Geologie und die Biologie und so ist ein Kampf entstanden zwischen den beiden Wissenschaften um die Herrschaft eben in jenem Gebiete. Anfangs überwog die Biologie (seit G. Cuvier) und wurde die damalige biologische Teleologie mehr als billig übertragen auch auf die andere Wissenschaft, die Geologie, namentlich als aus dem in der Reihenfolge der sedimentären Erdschichten sich findenden abrupten Wechseln der Typen der Organismen gefolgert wurden, zur Erklärung derselben, vorgekommene plötzliche allgemeinere Umwälzungen (Revolutionen) oder Katastrophen auf der Erd-Oberfläche, denen dann neue Schöpfungen folgten. Dagegen in gegenwärtiger Zeit (seit Ch. Lyell und Ch. Darwin, 1859) überwiegt die Geologie, und ist mit der extremen Annahme von nur [14/15] allmälig vorgehenden Umänderungen der Erd-Oberfläche*) eine gleiche, „nicht-teleologische" Auffassung übertragen worden, mehr als billig, von den geologischen Formationen auch auf die in diesen enthaltenen Organismen, und dann von der Paläontologie weiter ausgedehnt worden auf die Zoologie und die Biologie überhaupt. Man kann sogar sagen, dort und so sei eine anti-teleologische Auffassung neu hervorgerufen und gross gezogen, und versucht worden, die Teleologie überhaupt der Missachtung, ja dem Spotte, zu überweisen, nur weil der richtige Begriff derselben fehlte, und wirklich ein „deus ex machina" daraus gemacht wurde. Indessen ist vorauszusehen, dass in nicht ferner Zukunft in dem erwähnten gleichsam subterranen Kampfe eine Reaction sich geltend machen wird, welche allein schon mit dem richtigen Begriffe auch hier das gerechte Gleichgewicht bringen wird. Und nicht unwahrscheinlich wird diese Vermittelung ausgehen zunächst von der Geo-Physik, in Verbindung mit der exacten Natur-Philosophie. Schon vor mehr als einem Jahrzehnt ist von einem auf der Höhe der Naturwissenschaft Stehenden der Ausspruch gethan: „das Ziel der physischen Geographie ist, die gesammelte und angehäufte Menge von Einzelnheiten als ein harmonisches

*) Diese Annahme ist extrem zu nennen, wenn sie grosse Katastrophen auf der Erd-Oberfläche für durchaus unmöglich hält; für diese Frage ist auch zu erinnern, dass auf der Mond-Oberfläche in neuester Zeit wenigstens einige (fünf) eingetretene sehr bedeutende Aenderungen als beobachtet anerkannt werden (nach Herm. J. Klein, Das Ausland, 1877). [15/16]

Ganzes bildend darzulegen, vereinigt durch wechselseitige Beziehungen und Einwirkungen, und einem grossen Plane unterworfen" (s. John Herschel, Physical Geography, 1861, p. 3).
Freilich seitdem sind in der Biologie die glänzenden Erfolge der Darwin'schen Evolutions-Theorie mit der selectiven Vererbung sogar von blossen Angewöhnungen eingetreten (seit 1859), und scheinen der eben ausgesprochenen Erwartung geradezu entgegenzustehen. Obgleich die Biologie nicht innerhalb unserer näheren Gesichtsfelder liegt, dürfen wir ihr doch nicht wohl ganz ausweichen, sondern müssen von unserem Standpunkte aus ein allgemeines Urtheil abgeben. Man kann nicht verkennen, das zu den Ergebnissen der neuen, in Raum und in Zeit einen erweiterten Ueberblick besitzenden Natur-Anschauung gehört auch die Einsicht, es offenbare sich in der geologischen Schichtenfolge im Laufe der Aeonen eine successive Steigerung in den Typen der darin sich findenden Organismen, Thiere wie Pflanzen, obgleich nicht aller*). Auf welche Weise jene progressive Succession zu Stande kommt, das ist jedoch noch unbekannt, und wird vielleicht noch sehr lange unbekannt bleiben; es gehört und wird gehören

*) Mit solchem Befunde wäre die Annahme berechtigt, und dieser Gedanke soll schon vor zwei Jahrhunderten ausgesprochen sein, von Bl. Pascal, dass der gegenwärtige Menschen-Typus dereinst ersetzt werden könne durch einen vollkommeneren. Dieser könnte dann auch freier sein von einigen Bestialitäten, welche unstreitig dem jetzigen Typus noch angehören. [16/17]

zu den Fragen, von denen wir bekennen müssen, dass wir sie nicht zu beantworten wissen, was schon A. v. Humboldt entschieden ausgesprochen hat (bei Gelegenheit der damit eng verbundenen Frage über die Vertheilung der Pflanzen auf der Erde (s. Essai sur la Géographie des plantes, 1805). Auch die von Darwin davon aufgestellte Erklärung, durch Annahme allmäliger Transformation des Typus im Laufe der Generationen mittels Vererbung von dem im Kampfe um das Dasein dem Leben günstigeren Eigenschaften (das ist Selection der Lebenskräftigeren, wovon sich die frühere Lamarck'sche Erklärung unterscheidet nur dadurch, dass diese annahm Vererbung von durch Gewöhnung erworbenen Eigenschaften, und eine andere neuere Erklärung nur durch das Hinzufügen, Bedingung solcher Transformationen sei Migration und Separation der Organismen) muss man noch immer für unbewiesen*)

*) Es fehlt unter den Beweisen vor allem die Grund-Bedingung, d. i. der Beweis für die Möglichkeit, dass von den Variationen und Varietäten die Zwischengrenze der Typen überschritten werde in der Continuität der Generationen, dass also in den nie fehlenden vielfachen individuellen Variationen enthalten sei eine Progression, und jene demnach mehr seien als nur Oscillationen. Dafür sind noch keine empirische Belege gewonnen (wie überhaupt bei der Evolutions-Theorie fehlt die inductive Methode der Forschung, welche zuvor den thatsächlichen Grund legt, sondern die deductive Methode angewendet ist, welche die empirischen Belege erst nachträglich aufsucht); diese Belege sind nicht gewonnen weder bei den vieltausendjährigen Erfahrungen über die Varietäten der Hausthiere, namentlich der Rinder, Pferde, Kameele, Schaafe, Hunde, [17/18]

und auch für ungenügend halten, trotz allem bewunderns-

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 17.] Katzen, Hühner, Tauben Enten u. s. w., noch auch in der Paläontologie durch Nachweiss der Uebergangs-Formen. Diese Uebergangs-Formen müssten, wenn die Hypothese eine Wahrheit wäre, ja in zahlbarer[!] Menge sich vorfinden, und zwar nicht nur in der zeitlichen Folge der geologischen Schichten, sondern auch in der gleichzeitigen räumlichen Vertheilung der darin enthaltenen Organismen; da sie aber fehlen so wären nun zu erklären, umgekehrt, die so scharfen Abgrenzungen der verschiedenen Typen unter einander. Die vermeintlich gefundenen Uebergangs-Stufen sind so spärlich, gezwungen und unsicher, (auch die Anthropologie hat in den vorgeschichtlichen Menschen-Knochen bis jetzt keine Transformation gefunden, nach Virchow), dass der Mangel an Beweisführung nicht verkannt werden kann. - Dies gilt in gleichem Masse, vielleicht noch mehr, von der besonderen für die Darwin'sche Evolutions-Theorie zu Hülfe genommenen, völlig unerwiesenen und unberechtigten Uebertreibung der Wirkung der Vererblichkeit, indem sogar angenommen wird, dass nicht nur lebenskräftigere Eigenschaften durch Vererbung sich fortpflanzen, sondern auch bloss individuel entstandene, also zufällige, Angewöhnungen zunächst nachgeahmt, aber bei längerer Fortsetzung der Nachahmung auch vererbt, und zu bleibenden Eigenschaften in den späteren Generationen werden könnten. (Als starkes Beispiel von Gegen-Zeugniss bieten sich dar die seit mehren Jahrhunderten künstlich verkrüppelten Füsse der Chinesinnen, von deren Vererblichkeit doch nichts bekannt geworden ist). Jene Uebertreibung ist zu erklären aus einer eigenthümlichen Scheu vor der Teleologie. Und diese, welche nicht gesucht sondern im Gegentheil geflohen wird, sie eben stellt sich überall ein, und konnte auch nur deshalb geleugnet werden, weil sie missverstanden war im Begriffe, zu dessen Feststellung es an philosophischer Bildung gefehlt hatte. Denn man meinte, mit [18/19]

würdigen Aufwande von Genie, Wahrhaftigkeit und Kenntnissen, womit die Frage, welche im geschichtlichen Gange der Wissenschaft, zunächst in der Geologie, vorlag, und nicht wohl umgangen werden konnte, von ihm aufgenommen und behandelt worden ist, und auch trotz dem grossen Impulse, welcher durch seine Hypothese der biologischen Forschung in einer gewissen Richtung gegeben worden ist. Dabei muss man gestehen, noch erhält sich der Credit des Gründers jener Erklärung ungeschwächt, gleichsam wie bei einem begonnenen Bergbaue, obgleich freilich jeder Credit, wenn er nicht durch Realitäten gedeckt ist, sich verzehren muss. Weit entfernt aber davon, der Meinung zu sein, die Darwin'sche Schule möge ihre Nachsuchungen nach Belegen für ihre besondere Deutung der anerkannten successiven Steigerung der Typen in

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 18] der Teleologie müsse man einen „deus ex machina" anerkennen, also Wunder. So drängte man in das andere Extrem über; so wählte man, ja so betrieb man, die Annahme einer Herrschaft des Zufalls bei Bestimmung der Gestalt der Organismen. Daher können wir eben von unserem Standpunkte aus nicht anders, als über die mit dem Namen der Darwin'schen Evolutions-Theorie bezeichnete Erklärung der in der zeitlichen Reihenfolge der geologischen Schichten sich darstellenden Aufeinander-Folge verschiedener Typen von Organismen, des Pflanzen- und des Thierreiches, das Urtheil fällen, jene Erklärung sei gegen den Charakter der Natur und sie sei deshalb unannehmbar, obgleich bis jetzt eine genügende Erklärung überhaupt noch nicht besteht, d. h. das Mittel dessen die Teleologie sich hier bedient noch nicht gefunden ist (Als zoologische Gewährmänner für das Gesagte erlauben wir uns anzuführen die Namen E. von Baer und A. Kölliker). [19/20]

der Zeitfolge aufgeben, wünschen wir in geradem Gegentheil sie möge darin fortfahren; jedoch in der Erwartung, sie werde Erfolg haben können nur dann, wenn sie ein Moment anerkennt, was sie eben bei ihrem Ausgange entschieden und ausdrücklich verschmäht, und sie werde diese Bedingung des Erfolgs in der Fortsetzung ihrer Untersuchungen auch selber finden, das ist die richtig verstandene Teleologie. Ohne die Anerkennung dieser können wir kein Heil für ihre Untersuchungen hoffen*). Schon in dem Vorhandensein der Steigerung der Typen ist, da ein Gesetz darin sich darstellt, unstreitig eine Teleologie ausgesprochen. Da ferner als zur Vererbung erforderlich gedacht werden muss eine Differenzirung der Geschlechter, so ist um so mehr auch in der Vererbung eine Teleologie, wenn auch im allgemeineren Sinne, unbewusst schon anerkannt. Und ferner, welcher unbefangene, nicht durch eine irreführende, Prämisse gebunden oder erhitzt, die Natur-Verhältnisse Betrachtende kann in freiem und ruhigem Ernste seine Einsicht verschliessen vor der Anerkennung der Teleologie auch in der organischen Welt, bei biologischen Einzelnheiten, wie sie sich kund giebt namentlich im Baue des Auges und des Ohrs, welche Organe ganz unmöglich als absatzweise im Laufe

*) Es soll hier nicht übersehen werden, dass für die Forschung im Einzelnen Gewinn entsteht, wenn sie sogar die richtig begriffene Teleologie vermeidet, insofern sie damit zu unrichtigem Antecipiren verleitet werden kann. Aber zur vollständigen Beurtheilung des Ganzen gehört die teleologische Auffassung, richtig verstanden, nothwendig. [20/21]

der Generationen mittels Selection und Vererbung höher gewordener Stufen zu Stande gekommen gedacht werden können, da sie auf den gedachten untersten Stufen noch gar kein Auge und Ohr sein, noch gar nicht gebraucht werden könnten; und ferner wie sie sich kund giebt in den Metamorphosen z. B. in der so plötzlichen Transformation der Raupe zum Schmetterling, mit völlig geänderter Gestalt und Lebensweise. - Weiter können wir auf das Gebiet der Biologie*) nicht ein-

*) Als oben die Rede war von der im Universum bestehenden allgemeinen Gültigkeit der Natur-Gesetze, nämlich der mathematischen, der mechanischen, der physikalischen, der chemischen und der logischen, sind darunter nicht genannt auch die biologischen, weil wir darüber keine Erfahrung haben (ausser den in Meteorsteinen gefundenen und als organischen Ursprungs gedeuteten Kohlenstoff-Verbindungen). Als möglich können [kennen?] wir das organische Leben nur innerhalb sehr beschränkter Temperatur-Grenzen (zunächst für die Vegetation zwischen 0° und 60° C.), und über die Temperatur-Verhältnisse anderer Weltkörper sind wir nicht unterrichtet. Sicherlich aber giebt es ausser den leuchtenden Fixsternen, d. s. glühende Sonnen, in noch weit grösserer Zahl unsichtbare kühle Planeten und Trabanten, deren Temperaturen Organismen gestatten. Namentlich ist die Bewohnbarkeit des Mars für den Bewohnern der Erde ähnliche Organismen kaum zweifelhaft. Nicht jedoch sollte die Besonderheit der organischen oder biotischen Dynamik, in Vergleichung mit der unorganischen, verkannt werden. Jene vereinigt, gebunden an einen Keim, Stoffe und Kräfte zu einer specifischen Gestalt, vergleichbar zwar mit einer Maschine, welche aber sich selber aufbauet, und auch mit dem Unterschiede, dass ein Organismus dabei zugleich eine Composition und eine Decomposition [21/22]

gehen. Wir kehren nun zurück auf das unorganische

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 21] in seinem Innern ausübt, ohne Aenderung der Form, Stoffe aufnimmt und wieder entlässt, sie ersetzend durch völlig gleiche, ferner dass nicht nur mechanische Kräfte so vereinigt werden, zumal auch dass bei der im Organismus vorgehenden Erwärmung oder Heizung ein ungeändert beständig gleich bleibender Grad von Temperatur unterhalten wird, auch bei grossen Aenderungen der Temperatur in der äusseren Umgebung und auch bei sehr geänderten Mengen von Heizstoff, und endlich dass der sehr complicirte, mit unablässiger innerlicher Bewegung und mit Stoffwechsel bestehende, Bau nur eine gewisse Grösse erreicht und nur eine gewisse Zeit hindurch Bestand hat, offenbar nicht weil die Stoffe fehlten, sondern weil die deren Composition bestimmende biotische Dynamik erlöscht, als ein Process, und dann erfolgt sofort eine unorganische Zerstreuung der Stoffe und Kräfte. Nicht sind bei dem biotischen Processe die physikalischen und chemischen Gesetze selbst irgend geändert, aber man muss gestehen, sie reichen nicht aus zur Erklärung; zumal auch ist so nicht erklärlich der Heilprocess nach eingetretenen Beschädigungen und Defecten des Organismus. Die physikalischen und chemischen Gesetze sind hier offenbar nicht das Bestimmende, sondern das Bestimmte, und eben dies specifisch Bestimmende ist es auch was allein nach einer gewissen Zeit den Organismus verlässt, oder auch übergeht in einen neuen Keim, der potentiel die künftige Gestalt schon enthält. Ein anschauliches Zeugniss für den Unterschied des biotischen Princips giebt das Ferment, in neuster Zeit als Pilz anerkannt, so verschieden von einem leblosen Reagens; denn wo ist sonst ein Reagens, das sich selber vermehrt? Auch erscheint als eine besondere Mechanik, die sonst nicht bekannte Contraction der Muskelfasern. Auch ist charakteristisch die Thatsache, dass nur Organismen faulen, d. h. leblos geworden, jene eigenthüm-[22/23]

Gebiet, wo die Teleologie nicht getrübt, verdeckt oder umgangen werden kann durch die ausbiegenden Annahmen von Accommodation, Vererbung u. s. w., welche aber dennoch selber wieder teleologisch sind. Vielleicht wird dereinst die Geschichte von der gegenwärtigen Zeit aussagen: während damals die Teleologie in der Biologie verleugnet wurde flüchtete sie sich in die Geo-Physik, und begeistigte diese, deren Forschungs-Weise weniger eine analysirende ist als eine synthesirende, indem sie, nicht wie die Biologie zuerst das

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 22]liche Decomposition erfahren; warum dies nicht schon früher geschieht, ist chemisch-physikalisch gar nicht zu beantworten. Indessen soll auch hier nicht verkannt werden, dass für die biologische Forschung das Ignoriren der Lebenskraft von Nutzen gewesen ist, insofern dadurch an Präcision sehr gewonnen wird, jedoch nur für die Theile. - Was aber die Teleologie betrifft, so ist, sie zu verkennen in den Organismen, unmöglich, sobald der Begriff derselben richtig und klar geworden ist. - Uebrigens stimmen wir bei dem Ausspruche guter Autoritäten auch für den ewigen, d. i. anfangslosen und endlosen, und auch für den kosmischen Bestand der Biosis (J. Liebig, H. Helmholtz, Will. Thomson u. a.). Der Gedanke dass die Meteoriten organische Keime überbringen könnten, ist zulässig, da darin schon gefunden sind Kohlenstoff und Wasserstoff, und deren Glühen erst in der Atmosphäre der Erde erfolgt, daher nur oberflächlich bleiben kann. Die Annahme, dass zwischen den Weltkörpern eine materielle Vermittelung unterhalten werde, liegt nahe, und auch dass dann eine solche kosmische Bedeutung zugetheilt ist den Meteoriten und Kometen, deren Bahnen ja nach allen Richtungen hin gehen; jedenfalls ist unannehmbar die Meinung von initiativer Entstehung von Organismen, die s. g. Heterogenese oder Abiogenese. [23/24]

Ganze wahrnimmt und dann in die Theile zerlegt, sondern im Gegentheil zuvor die Theile wahrnimmt und dann zu dem sie vereinigenden Ganzen zu componiren hat, wobei auch das darin enthaltene Gedachte leichter der Erkenntniss sich offenbaren muss.

§ 5.



Das hier in Rede stehende zweite beweisende Beispiel von Teleologie, zu welchem wir nun zurückkehren und welches wir als in der Geo-Physik enthalten vorzulegen beabsichtigen, findet sich, wie schon gesagt, in dem erst in jüngster Zeit in die nähere Beachtung gezogenen im Ocean bestehenden Systeme einer allgemeinen beständigen Circulation. Wenn erforderlich war, was angenommen werden darf, dass im Ocean ein permanenter Austausch vorgehe zwischen den kältesten Wässern am Pole und den wärmsten Wässern längs dem Aequator, mit dem Erfolge wechselseitiger Mässigung der dortigen Temperaturen, womit auch verbunden ist ein Austausch der Wässer in vertikaler Richtung in jenen beiden extremen Räumen (nämlich eine Ascension beim Aequator und eine Descension beim Pole, und damit muss hier auch atmosphärische Luft in die Tiefe geführt werden, und dort vielleicht Kohlensäure nach oben hin), dann musste, in Proportionalität damit, die Landbildung in der Richtung zwischen Nord und Süd den jenen Austausch vermittelnden Meeresströmungen eine freie Verbindung offen lassen. Und so findet es sich wirklich auf der Erdoberfläche. Gewiss ist die Thatsache denkwürdig, dass der Ocean [24/25] zwar in der Richtung zwischen Ost und West mehrmals durch zwischentretendes Festland in seiner Continuität unterbrochen wird, dagegen in der Richtung zwischen Nord und Süd der freien Communication nicht entbehrt. Dies wird deutlicher, wenn man einmal annimmt, die Drehungs-Axe der Erdkugel bilde einen Durchmesser des jetzigen Aequatorkreises; dann würde die jetzige Landbildung für eine allgemeine oceanische Circulation zwischen den dann geltenden Pol und Aequator sehr wenig geeignet sein, sie erschweren oder gar nicht gestatten; dann würde die Wasser-Verbindung zwischen den beiden Polen nicht in direkter gerader Linie bestehen, sondern durch zwischenliegendes weithin gestrecktes Land gehindert sein. Ausserdem aber war erforderlich zu einer allgemeinen Circulation, dass auch in vertikaler Richtung das Festlaud [Festland] auf der Oberfläche der Erdkugel eine Gestaltung besitze, welche dem oceanischen Wasser zur Aufnahme eine gewisss [gewisse] Tiefe gewähre und eine geeignete Excavation darstelle ; und auch dies findet sich verwirklicht. Die oceanische Wassermenge ist zwar verhältnissmässig nur eine geringe, sie bildet nur eine schmale Schicht ; indem sie etwa zwei Drittheile der Oberfläche bedeckt verhält sich ihre Tiefe zum Halbmesser der Erdkugel im Mittel nur etwa wie 1 zu 1000; demnach würde sie auf einer 2 Meter im Durchmesser haltenden Kugel betragen ungefähr nur 1 Millimeter. Aber diese so schmale Wasserschicht ist dennoch nicht in vereinzelten gesonderten Flecken zerstreut (wie doch leicht möglich wäre, ja sehr wahrscheinlich sich er-[25/26]geben haben würde auf einer einfach verglühenden und dabei stellenweise verschieden sich zusammenziehenden Schlacke), sondern sie bildet ein zusammenhangendes einheitliches Ganzes. Es dient sehr zum anschaulichen Verständniss, diese vertikalen Proportionen noch genauer zu bestimmen. Die mittlere Tiefe des Oceans können wir annehmen zufolge den neusten Untersuchungen (in den Schiffen Challenger, Tuscorara, Gazelle u. a.) nahe zu 4500 Meter, oder 13,500 Fuss, und das über dem Meere[s]spiegel hervorragende Festland hat (nach Humboldts anerkannter Berechnung) eine mittlere Höhe von nicht ganz 330 Meter oder 1000 Fuss. Daraus tritt deutlich vor Augen, dass der Ocean auf der Erdoberfläche entschieden in einem einheitlichen Bette, in einer Excavation, sich befindet. Und wenn man ferner bedenkt, dass eine Minderung der Tiefe des Oceans nur um 1000 Meter (3000 Fuss) also nur etwa um 1/5 zur Wirkung haben würde eine Ueberschwemmung des ganzen Festlandes mit Ausnahme des wenigen Hochbodens, welcher mehr als 330 Meter d. i. über 1000 Fuss sich erhebt; oder anders ausgedrückt, wenn man bedenkt, dass im Falle der ganze die Oberfläche des Meeres überragende Theil des Continents hineingeworfen würde, dies den Grund erhöhen würde nur etwa um 160 Meter (500 Fuss) also nur um 1/25, - dann kann jene Austiefung auch wohl für eine angemessene gelten*). So ergiebt sich unstreitig

*) Man könnte einwenden, der Ocean habe sein Bett sich selber ausgegraben, mittels seiner bis auf den Grund reichen-[26/27]

sowohl aus der horizontalen wie aus der vertikalen Gestaltung des auf der Oberfläche der Erdkugel für die Aufnahme des Meerwassers bestimmten Raumes und zwar in besonderer Beziehung zu der in diesem bestehenden allgemeinen oceanischen Circulation, - welche hervorgeht theils aus der Centrifugalkraft theils aber aus der Temperatur-Differenz zwischen dem Pole und dem Aequator auf jeder Halbkugel - eine gewisse Proportionalität, zum Beweise dass dabei gedacht worden ist. Und wir können auch hier die Worte anwenden wie bei dem früheren astronomischen Beispiele: „es ist sehr unwahrscheinlich, der blosse Zufall habe auf der Erd-Oberfläche, anstatt mannichfacher beliebig gerichteter Vertheilung des Festen und des Flüssigen, gerade jene, für eine allgemeine oceanische Circulation mit Temperatur-Austausch so geeignete, Vertheilung ausgeführt". - Wir meinen wirklich in jenem Beispiele aus der Geo-Physik und der Geo-Mechanik einen Beweis für die Teleologie vorgelegt zu haben, welcher dem früheren aus der Astronomie nicht unwürdig sich anschliesst, und zwar gleichfalls hervorgehend, auf rein inductive Weise, aus der Beurtheilung

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 26] den fundamentalen Strömungen, welche infolge der Axendrehung der Erdkugel beständig von den Polen nach dem Aequator hin fliessen. Dagegen beweist (ausser der Schwäche der Strömung am Grunde,) das angegebene ungleiche Verhältniss der mittleren Tiefe des oceanischen Behälters zur mittleren Höhe des Continents, welches ist etwa 14 zu 1, denn es müsste doch gleich viel Erdreich aufgeschüttet sein, wie ausgegraben wäre. [27/28]

von in der grossen unorganischen Natur enthaltenen Thatsachen. - Dass ausserdem andere Beweise von Proportionalität auf der Erd-Oberfläche nicht fehlen, ist schon zu folgern.

§ 6.



Darüber kann kein Zweifel bestehen, dass sobald selbst nur in einem einzelnen Falle die Teleologie in der Natur sicher erwiesen ist, damit deren Existenz auch in anderen und auf ganzen Gebieten ein weit reichendes allgemeines Zugeständniss gemacht ist. Dies ist aber was der herrschende monistische Materialismus in der Naturwissenschaft unserer Tage vor allem scheuet und niemals annehmen kann, weil er damit sich selber aufgeben würde. Wir berühren hier das psychologische Gebiet der exacten Natur-Philosophie und wollen nun wagen, unterstützt durch obiges Ergebniss, darauf etwas weiter einzugehen, und damit auch auf die Zukunft der Naturwissenschaft, deren Erweiterung zu einer natürlichen Welt-Anschauung oder Kosmologie oben schon erwähnt worden ist.
Unstreitig wäre mit der Teleologie ein Denken auch in der objectiven Natur als erwiesen zugestanden, und es würde zu der kosmologischen Anschauung nun die grosse Conception noch hinzukommen, dass auch das Gedachte und also das Denken zu den realen Erscheinungen im Universum gehört, sowohl wie die Elementar-Stoffe und die Kräfte. Die „Philosophie des Universum", wie schon ein nicht ungeeigneter Ausdruck lautet, würde dann anzuerkennen haben, was bisher nicht positiv geschehen ist, dass im Weltall, bis zu den fernsten Weltkörpern, auch dieselben logischen [28/29] Gesetze gelten. Freilich wer dort denkt und wo dort gedacht wird, dass wissen wir nicht. Aber mit Sicherheit können wir hinzufügen und aussprechen, das dort herrschende Denken gebe sich kund als ein einheitliches (und auch als ein fehlerloses). Weiter wollen wir nicht folgern, wie wir überhaupt nicht mehr annehmen als solches was die reine Induction aus der Beobachtung und Erfahrung ergiebt und gestattet, auch hier, wo nur die Wirkungen erkannt werden, wo aber dennoch aus diesen auf die Ursachen derselben, wenn auch nur mittelbar und also ohne diese selber messen und wägen zu können, mit Sicherheit geschlossen werden kann -, und wie wir den rein naturwissenschaftlichen Boden nicht verlassen wollen. Demgemäss vermeiden wir auch zu anthropomorphisiren, und sprechen wir hier nicht von einem Allwissenden, Allweisen, Allmächtigen, Allgütigen, Allgerechten u. s. w. Jedoch auch in der rein naturwissenschaftlichen Auffassung erscheinen nun schon frühere Aussprüche grosser und unabhängiger Denker als durchaus berechtigt, ja in der neuen erweiterten Weltanschauung noch mehr als früher, welche lauten wie folgt: „wer die Ordnung der Natur nachdenkend verfolgt geräth in Erstaunen über eine Weisheit, deren er nicht gewärtig war" (Kant) - und eines anderen: „wir können uns bei Betrachtung des Weltgebäudes der Vorstellung nicht erwehren, dass dem Ganzen eine Idee zum Grunde liege" (Goethe). Gedenken wir nun auch noch jenes Zeugnisses, welches J. Kepler, ausser dem in seinen drei astronomischen Gesetzen schon enthaltenen, direkt [29/30] ausgesprochen hat, mit den Worten: „ist die Vernunft geschickt Proportion und Ordnung zu halten, was ein Werk der Vernunft ist" . . . (s. Tertius interveniens, 1610, Opera omnia, Vol. I. p. 619).
In der That welcher Unbefangene kann das im Weltall sich aussprechende Gedachte und Denken verkennen, und dann noch ferner im Ernste der Meinung sein, das Denken habe Existenz, komme zu Stande allein in der Hirnmasse des Menschen; oder gar die ganze äussere Welt sei nur rein subjective Vorstellung, wie es doch wirklich von Philosophen behauptet worden ist, oder auch nur, Raum und Zeit, das sind Umfang und Dauer, seien blosse Formen unserer sinnlichen Anschauung (und auch die Causalität und die anderen Kategorien, d. s. reine Verstandes-Begriffe, seien bloss Forderungen unseres Verstandes) und hätten in solchem Sinne nur ideale aber keine reale Existenz?*) Und wer kann

*) Die deutsche Philosophie liegt zu einem ansehnlichen Theile noch jetzt in den Banden dieses skeptischen Lehrsatzes des „transcendentalen Idealismus", betreffend die Idealität (oder die Subjectivität) des Raumes und der Zeit, weil er dereinst von ihrem Begründer und mächtigsten Genius aufgestellt worden ist. Wenn es ihr gelingt dies an der Schwelle des Aufgangs zu ihren Höhen stehende Schreckbild zu entfernen, was Manchen vom Aufsteigen abhält, würde sie, so scheint es uns, ihre Schwingen freier geworden fühlen. Ihre grösste Autorität (dass aber eben eine solche stellenweise auch hemmende Wirkung üben kann, ist eine Lehre der Geschichte) würde wohl selber jetzt jenen Lehrsatz nicht länger anerkennen, welcher entstand unter dem Eindrucke eines, freilich nicht anerkannten, die Causalität betreffenden von Dav. Hume. Gewichtige [30/31]

die Einsicht ablehnen, dass das von Menschen aus-

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 30.] Stimmen (wir nennen J. Herbart, E. Zeller, F. Ueberweg, J. Baumann, E. von Hartmann), dabei auch unterstützt von der Geometrie, haben den Muth gezeigt, ihn abzulehnen, es ist sogar richtig ihn zu bezeichnen als „eine der seltsamsten Verirrungen". Kant's reiferes Werk ist unstreitig seine „Kritik der praktischen Vernunft" (1788), und dies zeigt sich frei von jener Lehre; dagegen in seiner Erkenntniss-Lehre oder „Kritik der reinen Vernunft" (1781) ist er weder zur Reife noch zur vollen Klarheit gelangt, was schon erwiesen wird durch die Zwiste seiner Ausleger, indem diese darin ihren Ursprung haben. Wir sind so dreist hier in weiterem Umfange zu Kant's Verirrungen zu zählen, nicht die Behauptung, dass die äussere Welt für uns zunächst nur als eine Erscheinung sich darstelle, d. h. eine Wahrnehmung sei, wohl aber die skeptische Behauptung, dass dies keine allgemein gültige Erscheinung sei, d. h. eine andere sei für andere Intelligenzen, dass also unsere Erkenntniss-Mittel nicht teleologisch richtig der Aussen-Welt angemessen seien, dass sie gleichsam falschen Spiegeln ähneln, angelegt seien auf Täuschung, welche zwar vorkommt, aber auch als solche zu erkennen und zu berichtigen ist. Für uns gleicht eine solche Auffassung der Annahme, es könne die allgemeine in der Welt bestehende Teleologie, d. i. Proportionalität, partiel aufgehoben sein, und dies scheint uns ähnlich wie wenn man annehme, die allgemeine Gravitation könne irgendwo local aufgehoben sein. (So sagte dereinst auch der Sophist Protagoras, zugleich der erste psychologische Sensualist und Skeptiker, „der Mensch ist das Maass aller Dinge;" freilich ist wahr, dass dies Maass oft auf unrichtige Weise gebraucht wird und zu Täuschungen veranlasst, aber wir dürfen annehmen, an sich ist es nicht unrichtig, sondern richtig, wenn auch nicht immer genügend). - Die Wurzel und zugleich der Schlüssel zu jenem eigenthümlichen, befremdenden, Satze in Kant's Erkenntniss-[31/32]

geübte Denken, so schwach und so leicht irregehend es ist, doch wenigstens völlig identischer Art ist, dieselben logischen Gesetze mit Bewusstsein befolgt, wie das im Universum sich kund gebende Denken? Denn es kann keine verschiedene logische Gesetze geben. Auch werden die logischen Gesetze im Menschen-Geiste erkannt und anerkannt nicht erst aus der Erfahrung, sondern a priori, sie sind gültig unmittelbar, und mit fester Sicherheit bestehend, wie die arithmetischen Gesetze, obgleich Verrechnungen vorkommen können bei beiden. Das logische Gesetz ist der begleitende unsichtbare Wegweiser im Gedankengange, ähnlich wie das moralische Gesetz, mit dem Gewissen, im Handeln.

§ 7.



Man kann ungefähr die Vergleichung machen und sagen, das Denken im Universum verhalte sich ähnlich

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 31] Lehre sind enthalten in dessen folgenden eigenen wenigen Worten in der Vorrede zur „Kritik der reinen Vernunft:" „Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntniss müsse sich nach den Gegenständen richten, . . . . man versuche es einmal, dass wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntniss richten". Man wird zugeben, dass diese Auffassung nicht analog ist der Copernicanischen Vorstellung vom Weltsysteme, womit jedoch Kant selber sie verglich, sondern dass im Gegentheil sie analog ist dem alten, auf geocentrischer (d. i. subjectivistischer) Täuschung beruhenden, Weltsysteme des Ptolemäus. - Uebrigens mag hier nicht unerwähnt bleiben, dass da auch Kant annahm, der Inhalt unseres Wissens entstehe allein aus der Erfahrung, hierin zugleich schon enthalten ist eine Anerkennung der Realität der Aussen-Welt. [32/33]

wie das Licht; wie dies Ubiquität besitzt und von uns mittels unseres Licht-Organs, des Auges, wahrgenommen wird, so auch werde das im ganzen Weltall vorhandene Gedachte oder Denken wahrgenommen mittels unseres Denk-Organs, des Hirns. Jedoch die Vergleichbarkeit reicht nicht sehr weit; die Aehnlichkeit würde vollständiger und die Vergleichung richtiger sein, wenn unser Auge noch einigermaassen selbstleuchtend wäre, wie unser Denk-Organ, oder vielmehr der Geist, welchem es dient, einigermaassen selbstdenkend ist. Darin besteht zugleich der grosse und durchaus radicale Unterschied des Denkens oder der Intelligenz des Menschen vom Intellekt der Thiere. Der letztere ist nicht nur ein sehr beschränktes und dürftiges Denken, sondern auch nur ein automatisches (wie schon Descartes bezeichnet hat), in dem Sinne, dass er ein unbewusstes, unselbständiges, unproductives, nur im Dienste des Instinkt stehendes, und diesem angemessenes Denken ist; freilich ist es immer ein Denken, aber es ist zu vergleichen ungefähr mit dem reflectirten Lichte. Der Intellekt der Thiere reicht nicht hinaus über den Instinkt, mit dessen Affecten, und damit ist er gerichtet und beschränkt nur auf zwei bestimmte Ziele, auf die Erhaltung des Individuums und auf die Erhaltung der Art.
Dagegen das Denken oder der Geist des Menschen, dies hat die Anthropologie fest zu halten, geht weit hinaus über den blossen Dienst des Instinkts und damit der Selbsterhaltung obgleich nicht verkannt werden darf, dass auch im Menschen mit dessen Den-[33/34]ken verbunden ist ein mächtiger instinktiver Theil, für den Zweck der Selbsterhaltung bestimmt, und unbewusst dafür wirkend. Der Mensch besitzt ausserdem einen völlig selbstlosen Drang, sein Wissen in das Unbegrenzte hinaus zu vermehren; der Spruch unseres grossen Dichters sagt wahr: „nichts ist so hoch und nichts so ferne, wohin sein Flügel ihn nicht trug, bis an des Aethers bleichste Sterne erhebt ihn der Gedanken Flug"; und er besitzt eine natürliche geistige Befähigung dazu von unvergleichlich höherer und reicherer Ausstattung. Ferner aber sein erworbenes Wissen wird den folgenden Generationen überliefert, freilich nicht durch Vererbung, sondern durch Annahme von Belehrung. Und so sammelt sich und bildet sich im Laute der Jahrhunderte ein gemeinsamer Schatz des Wissens und Könnens für das Menschengeschlecht, zunehmend reicher werdend, freilich auch Irrthümer aufnehmend, jedoch auch zunehmend von diesen sich wieder befreiend; von welchem Schatze dann ein Jeder für sich nehmen kann, während zu dessen Vermehrung nur sehr wenige beitragen. Dabei ist (dies ist wohl zu unterscheiden) nichts zu bemerken von einer Steigerung der natürlichen geistigen Befähigung selbst im Gange der Geschichte des Menschen-Geschlechts in der Folge der Generationen, und auch eben so wenig von einer Minderung derselben. Man unterscheide doch immer scharf die natürlichen geistigen Fähigkeiten der Menschen von jenem möglicher Weise zu erwerbenden und erworbenen, wie auch verlierbaren und manchmal wieder verlorenen, äusseren, gemeinsamen, geschicht-[34/35]lich sich bildenden, Wissens-Schatze. Dessen Steigerung bis zu einem gewissen hohen Grade ist es was Cultur genannt wird; und eben deswegen kann diese einem Volke auch sehr rasch, ja fast plötzlich wieder verloren gehen*)[.]

*) Gewiss ist anzunehmen richtig, dass die sehr grossen Aenderungen des Cultur-Zustandes, welche ein und dasselbe Volk erfahren kann im Verlaufe seiner Geschichte, durchaus nicht Folge sind und nicht begleitet sind von Aenderungen in dessen natürlicher geistigen Befähigung. Die Culturen, welche jetzt in so manchen Landschaften begraben liegen unter Ruinen und Schutthügeln z. B. in Aegypten, Griechenland, Klein-Asien, Mesopotamien, Arabien, Persien, Central-Asien, Siam, Amerika u. a. sind wirklich zu betrachten nur wie verlorene Schätze, welche die Vorfahren der jetzigen Bewohner besassen. Wenn auch letztere nicht einmal die in Stein und Felsen eingegrabenen Schriftzeichen noch verstehen, wodurch jene ihnen den Wissens-Schatz überliefern wollten, kann ihnen doch die gleiche natürliche geistige Befähigung mit ihren Vorfahren nicht abgesprochen werden. Die jetzigen Nachkommen sind häufig wieder ein wanderndes Hirten-Volk geworden, aus dem Grunde weil die meisten Ruinen untergegangener Cultur-Stätten vorkommen im Subtropen-Gürtel, wo diese wegen der mangelnden Sommer-Regen nur längs den Flussbetten der Steppe sich bilden und sich erhalten konnten, und auch nur mit Hülfe, ja unter der Bedingung, künstlicher Bewässerungen, welche aber sehr leicht und rasch zu zerstören sind, dagegen schwer und langsam wieder herzustellen. Eben so wenig liefert uns ein vergleichender Ueberblick über die Geschichte der Menschheit eine empirische Berechtigung zu der Meinung, es seien in den ersten uns bekannten geschichtlichen Zeiten die natürlichen geistigen Fähigkeiten der [35/36]

Im Laufe der geschichtlichen Zeit, so weit wir sie zu überblicken vermögen, kann man auf der ganzen Erde unterscheiden an Zahl acht grösste, mehr oder weniger getrennt und unabhängig von einander entstandene und gebliebene, zu einer gewissen bedeutenden Höhe gelangte, Cultur-Centren. Es sind folgende: in der Alten Welt, das chinesisch-japanische, das indisch-malaiische, das eranisch-semitische, das ägyptische, das griechisch-europäische (heidnische und christliche), das arabische, und in der Neuen Welt, das aztekische und das peruische. In der Gegenwart bestehen davon vier: das chinesisch-japanische, das indisch-malaiische, das arabische oder islamitische, und das europäische. Darunter ist bei weitem das überlegenste, das productivste und das activste das europäische, und dieses ist es auch allein, welches bewirkt, dass, anstatt der früheren Trennung, nun alle in Verbindung unter einander gebracht sind und noch werden, erst seit jüngster Zeit auch China und Japan, austauschend ihre Waaren, Gedanken und Geschicke.

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 35] damaligen Menschen schwächer gewesen als in der Gegenwart (z. B. man denke an die alten Aegypter und deren jetzige Nachkommen), oder aber im Gegentheil es habe seitdem eine innere Fortbildung der geistigen Fähigkeiten selbst stattgefunden, anstatt nur eine äussere Ausbildung des mittels derselben erworbenen Wissens, womit freilich auch eine Entfaltung, d. i. Anwendung, der natürlichen Fähigkeiten verbunden ist. Dies gilt z. B. für die alten Germanen, Gallier und Britannier, in Vergleichung mit deren jetzigen Nachkommen, wie für die jetzigen Kaffern, Polynesier u. s. w. in Vergleichung mit deren zukünftigen Nachkommen. [36/37]

Denkwürdig, für die Vergangenheit wie für die Zukunft, sind besonders zwei Thatsachen, erstens, dass wir geschichtlich die Existenz des Menschen auf der Erde nicht weiter nachweisen können als für die sehr kurze Spanne Zeit von etwa 7000 Jahren (also kaum mehr als 200 Generationen umfassend), und auch geologisch, mit grösster Kühnheit, nur von 100,000 Jahren (nach Lyell)*); zweitens, dass erst seit einigen Jahrzehnten die Erdkugel, unser kleiner Wohnstern, gleichsam sich selber im ganzen Umfange ihrer Oberfläche kennen gelernt hat, womit begonnen hat ein Zusammentreffen aller ihrer Völker, der cultivirten sowohl mit anderen cultivirten wie mit uncultivirten Völkern, und damit auch eine gemeinsame Geschichte des Menschen-Geschlechts. Dies ist gewiss eine wichtige Epoche für die weitere Entfaltung von dessen mannichfachen natürlichen geistigen Fähigkeiten, - wir sagen wohl bewusst Entfaltung, und nicht Ausbildung weil wirklich manche vorhandene geistige Fähigkeiten nur unangewendet, d. i. unentfaltet, bleiben bei Völkern und bei Individuen, aber keine selber gesteigert wird, und für fernere Vermehrung und Ausbildung des gemeinsamen Wissens und Könnens. In solchem Sinne kann man sagen, dass nun der Menschen-Geist die

*) Wie fast verschwindend kurz diese Zeit ist in Vergleichung mit dem Alter der Erde und anderer Organismen, tritt deutlicher hervor wenn man auch diese Zeit zu bestimmen sucht, aus der Temperatur und der Mächtigkeit der geologischen sedimentären azoïschen Schichten, wofür viele Millionen Jahre anzunehmen vollkommen gestattet ist (nach J. Croll u. a.). [37/38]

ganze Erde in Bezitz [Besitz] zu nehmen in Begriff ist und dass nun erst die eigentliche Geschichte d. h. eine gemeinsame zusammenhängende Geschichte der Menschheit, begonnen hat, nachdem die Vorspiele auf getrennten Gebieten beendigt sind. Und diese Wirkung macht sich sogar schon geltend in solchem Maasse, dass man den Charakter unserer Zeit nicht ungeeignet kurz bezeichnen könnte als „tellurisch".
Was eben angedeutet ist für die zeitliche Folge bestätigt sich bei der Vergleichung der Völker als geltend auch in der räumlichen Vertheilung. Die uncultivirten Völker zeigen freilich einen sehr grossen Contrast zu den cultivirten Völkern, indessen es wäre unrichtig, wenn man damit auch sehr grosse Unterschiede annehmen wollte in den natürlichen geistigen Fähigkeiten. In dieser Hinsicht ist eine ziemlich gleiche Vertheilung im Menschen-Geschlechte anzuerkennen, bestehen zwar Unterschiede, aber keine sehr erhebliche ethnologische Unterschiede. Wäre es nicht so, dann wäre dies schwierig zu erklären sowohl vom materialistischen wie vom spiritualistischen Standpunkte aus; für jenen wäre schwierig, zu erklären, warum bei sonst gleich kräftiger Körperbildung das Hirn allein durch sehr schwache Function sich auszeichnen sollte von den übrigen Organen, und für letzteren Standpunkt, warum bei der Vertheilung von Geist gewisse Völker so auffallend geringer bedacht worden sein sollten. Auch empirisch ist das eben Gesagte erwiesen, zunächst bei Kindern durch die Erfahrungen in den Schulen der Missionäre, sogar in Australien; und im reiferen Lebensalter ist namentlich in Jamaica, Vene-[38/39]zuela und Brasilien Gelegenheit, es bestätigt zu finden. Es ergiebt sich ganz besonders schon aus der Sprache, welche doch jedes Kind zu erlernen hat, und welche bekanntlich bei den uncultivirten Völkern nicht weniger reich ist an Wurzeln und Formen als bei den cultivirten Völkern, ja mehr die primäre Unterlage, die vorhergehende Bedingung, der Cultur darstellt als umgekehrt erst nachher als Ergebniss der Cultur sich bildet*). Man kann daher sagen, der Mensch hat überall sehr mannichfache geistige Befähigungen; diese kommen aber sehr selten oder niemals sämmtlich zur Entfaltung. Sogar in keinem Individuum gelangen die geistigen Fähigkeiten, welche es besitzt, sämmtlich oder vollständig zur Entfaltung, am wenigsten aber im Zustande der Uncultur, welche eben nur darin besteht, dass jener gemeinsame geschichtlich erworbene Wissens-Schatz entweder im Volke überhaupt noch nicht sich gebildet hat, oder vom Einzelnen nicht benutzt worden ist. Man kann aufstellen, dass mit dem Tode eines jeden Menschen ein grösserer oder geringerer Theil seiner geistigen Fähigkeiten ohne Entfaltung erfahren

*) Für diese wichtige Thatsache bedarf es der Zeugnisse von Autoritäten. H. Steinthal sagt darüber: „es ist merkwürdig, dass die Sprachforscher immer wieder von gut gebildeten Missionären sich belehren lassen müssen, wie feinfühlig die den Affen nahe stehen sollenden Racen ihre Sprachen, nach der begrifflichen und auch nach der lautlichen Seite hin, entwickelt haben." (s. Zeits. f. Völker-Psychologie und Sprachwissenschaft 1877, S. 165). Gleichlautende Angaben finden sich in O. Peschel's „Völkerkunde" 1874, S. 155, in J. Lubbock's Origin of civilisation, 1870, p. 316, u. A. [39/40]

zu haben mit ihm abscheidet; dagegen bei den Thieren kommt der ganze Intellekt zur Entfaltung, und bleibt nichts übrig weiter zu entfalten. Jedoch, wie gesagt, in den natürlichen geistigen Fähigkeiten des Menschen-Geschlechts selbst ist weder eine geschichtliche Steigerung oder aber Minderung, noch auch ein gleichzeitiger erheblicher ethnologischer Unterschied wahrzunehmen, wenn man wohl trennt, im Begriffe, die Fähigkeiten von deren Anwendung und dem damit Erworbenen. Die Cultur ist äusserer Erwerb, die so entsteht und so vergeht.
Dagegen in der Thierwelt ist von jenem oder einem ähnlichen gemeinsamen, allmälig in den Generationen sich ansammelnden, sich fortsetzenden, sich ändernden und sich ausbildenden, Schatze von Wissen und Können nicht einmal eine Spur zu finden. Deren Instinkt, oder Intellekt, ist vollendet in sich, der Belehrung weder bedürftig noch fähig, und der Mensch ist auch nicht vermögend, dafür eine Verbesserung zu ersinnen und zu lehren, z. B. eine Verbesserung für die Baukunst des Bibers, für die Jagdkunst des Fuchses oder des Falken, für den Bau der Bienenzellen (so richtig geometrisch und zwar in collectiver Weise ausgeführt; gelegentlich kann man sagen, analog sei die Bildung der Sprachen erfolgt) oder der so einfachen Schwalben-Nester. Wenn auch diese Künste nicht absolut die vollkommensten sind, so sind sie es doch für die Thierarten. Was der Mensch den Thieren[!] lehrt, z. B. dem[!] Hunde, Pferde, Falken u. a. dient auch niemals zum Nutzen dieser selber, sondern zu seinem [40/41] eigenen; und ferner das von den Thieren auf solche Weise Angenommene kann von diesen gar nicht übertragen werden auf ihre Nachkommen. Deutlicher zeigt sich die zwischen der Intelligenz des Menschen und dem Instinkte des Thiers ohne Uebergang bestehende schroffe Grenze, sobald es selbständiges eigenes Denken ist worauf es ankommt, und dies beim Thiere als völlig mangelnd versagt. Der Mensch kann z. B. einem Affen oder einem Elephanten lehren, automatisch einen Bratspiess zu drehen, aber nicht den Zweck davon einzusehen, und auch nicht einmal das Feuer darunter zu unterhalten durch einfaches rechtzeitiges Nachlegen eines Stückes bereit liegenden Holzes. Hier besteht eine Grenze der Gelehrigkeit, welche unüberschreitbar und permanent ist; sie trennt wesentliche Verschiedenheiten, nicht nur graduelle; qualitative, nicht nur quantitative. Der Instinkt oder Intellekt der Thiere ist nicht fähig, die geringste Erfindung zu machen, unfähig zu jedem Fortschritte; aber er bedarf dessen auch gar nicht und strebt auch nicht danach, er ist vollendet in sich, für seinen Zweck, dieser ist die Selbsterhaltung. Dies muss eben zu jetziger Zeit stark hervorgehoben werden.
Dagegen der Mensch ist offenbar nicht vollendet in sich, dessen Zweck ist noch nicht erreicht, er kann lernen, entdecken und erfinden, und, nicht zufrieden, strebt er fortwährend danach, den eigenen und den gemeinsamen Schatz des Wissens und Könnens selbstlos zu vermehren und weiter auszubilden. Wie weit ihm dafür Grenzen gesteckt sind, ist gar noch nicht zu er-[41/42]sehen, obgleich zahlreich Gelegenheiten geboten sind, den grossen Abstand zu erkennen, in welchen die uncultivirten Völker und Individuen zurückbleibend sich halten von den mit einer Menge von Wissen erfüllten und damit sich beschäftigenden cultivirten Völkern und Individuen. Fürerst wird voraussichtlich diese geschichtliche intellectuelle Entfaltung und Ausbildung in solchem Sinne noch weithin sich fortsetzen, und zwar indem sich zugleich, wie schon angedeutet ist, auch das räumliche Gebiet dafür erweitert hat und nun die ganze bewohnte Erde umfasst. Diese Aussicht für die Zukunft des Menschen-Geschlechts kann auch der Pessimismus nicht leugnen.
Das Denken des Menschen zeigt zwar eine gewisse grosse Abhängigkeit von seinem Denk-Organe, dem Hirn; wer weiss, nicht, welche Einwirkung auf das Denken und auf das Gemüth ausgeübt wird durch materielle Angriffe des Hirns, wie durch Erschütterung, Druck, Fieberzustand, Alkohol, Opium, auch bleibende, wie im Cretinismus. Dagegen aber ist auch unverkennbar bestehend eine gewisse Unabhängigkeit des Denkens vom Hirn; und diese wird erwiesen vornehmlich durch folgende Thatsachen: - durch eine gewisse Initiative in der Einwirkung, welche vom Denken ausgeübt wird auf sein materielles Substrat*),

*) Zu erinnern ist hier an Fr. Hemsterhuy's Argument, dass, nach anerkannten Gesetzen der Mechanik (von Galilei, Kepler u. Newton aufgestellt), kein Körper im Stande ist, selbständig eine Bewegung zu beginnen, und auch nicht zu verstärken oder in der Richtung zu ändern; aber die beseelten Organismen [42/43]

wie auch umgekehrt durch ein Freibleiben des Denkens und der Entschliessung selbst bei grossen körperlichen Leiden. - Ferner spricht wenigstens für jene Unabhängigkeit die Thatsache, dass eine Vererbung besteht einigermaas[s]en von erworbenen physischen Fertigkeiten, (ein Beispiel liefert uns der Körperbau der Gebirgs-Bewohner in Vergleichung mit dem eines Reiter-Volkes), aber nicht von psychischen Erwerbungen, indem Kenntniss nnd [und] Ideen nicht Theil nehmen an der Vererbung, was schon oft beklagt worden ist. Die anerkannte Familien-Aehnlichkeit giebt Gelegenheit zu bemerken, dass sie weit weniger gilt für die geistigen Fähigkeiten als für die physische Gestalt; dies ist wohl nicht zu bestreiten; die Glieder einer Familie, auch Geschwister, zeigen in den ersteren ganz gewöhnlich sehr grosse Unterschiede. - Gesetzt ferner, die Körper-Gestalt des Menschen wäre hundertmal grösser als sie jetzt ist, dann würden zwar kaum zweifelhaft in demselben Maas[s]e auch dessen physische Kräfte grösser

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 42] vermögen es; dies Vermögen ist enthalten in deren Willen. (Beiläufig gesagt, daher ist unannehmbar das Verfahren einer neueren Philosophie, den Ausdruck „Wille" auszudehnen auf alle Bewegungen in der grossen Natur überhaupt, und so jenen mit diesen, d. i. die Energie, zu identificiren, s. Schopenhauer, „Die Welt als Wille und Vorstellung"). - Man kann ferner sagen, für die durch den Willen bewirkten Bewegungen in den Organismen, zunächst der Muskeln, gilt nicht das Gesetz von der Erhaltung der Kraft; der Wille ist kein mechanischer Impuls, er giebt den Muskeln initiativ Anregung zur Contraction mittels Innervation, und jene Bewegungen verwandeln sich auch nicht wieder in Willen. [43/44]

sein, aber wer wird annehmen mögen, dass dann auch dessen natürliche geistige Fähigkeiten im Verhältnisse zum Umfange des Hirns irgend zugenommen haben würden? eine Biene oder eine Spinne oder gar eine Ameise, zeigen sie nicht mehr Intellekt als eine Kuh? - Ein ganz besonderes Zeugniss ist enthalten in der Thatsache, dass allein bei dem Menschen-Geschlechte die Genies vorkommen, wenn man diese auch nur betrachtet als in excessiver Weise über den mittleren Stand der geistigen Befähigung sich erhebende absolute Extreme; solche excessive Extreme sind völlig fehlend in den physischen Verhältnissen. Dazu kommt, dass bei dem wirklichen Genie keine Vererbung bekannt ist, wenigstens nicht bei den grössten Dichtern, Künstlern und Denkern. - Sehr deutlich besitzt die Annahme von Immaterialität des Geistes eine starke Stütze in der Thatsache, dass bei dem Affen, diesem körperlichen Anthropoïden, das Hirn in seiner anatomischen Structur und Textur kaum eine Verschiedenheit von dem des Menschen erkennen lässt, nach Aussage der besten Autoritäten, und das[s] dennoch dies vierhändige Kletterthier keine Spur zeigt von selbständigem Denken, oder Geist, oder Intelligenz, sondern durchaus nur den thierischen, auf den Dienst des Instinkts, also der Selbsterhaltung, beschränkten Intellekt, ja auch darin nicht einmal andere Thiere erreicht, z. B. den Elephant, Hund, (dessen Klugheit unstreitig mehr hervortreten würde, wenn er ausser den Füssen auch Hände hätte, wie der Affe), Raben, Papagei. Auch fehlen ihm zur Sprache nicht durchaus die Sprach-[44/45]Werkzeuge, (obgleich er freilich doch keine besonderen Mittel zur Stimmbildung zu besitzen scheint, nicht mehr als andere Thiere, wie denn auch die menschlichen Articulationen nicht zu den Gegenständen seiner Nachahmungen gehören), folglich fehlt ihm dazu nur das selbständige Denken. - Das stärkste Argument für Unabhängigkeit des Denkens vom Hirn ist für uns freilich schon verbunden mit unserem kosmologischen Standpunkte, da wir doch erkennen müssen aus dem kosmischen Denken, dass zum Denken ein Hirn nicht durchaus nothwendig ist.
Es wäre zu viel verlangt, wenn man nun auch angeben sollte, wie beim Menschen die Verbindung zwischen dem Denken, oder dem Geiste, und dem Denk-Organe, dem Hirn, besteht; dies geht über unser Wissen*). Sicher ist, dass zunächst die Erkenntniss-Mittel, die Sinne, an dies Organ geknüpft sind (welchem sich anschliesst das übrige Nerven-System, zunächst der s. g. sensitivo-motorische Apparat); anstatt darin einen „Sitz der Seele" anzunehmen, ist uns deren unverstandene Verbindung damit zusagender. Es ist aber eben so sicher, dass dann in der Hirnmasse eine räumliche Ver-

*) Zu gedenken ist hier der in unserer Zeit, begonnenen sehr werthvollen Versuche unter dem Namen Psycho-Physik auf exacterem Wege als früher auf das Problem der Beziehungen von Körper und Seele einzugehen; dort werden physische und psychische Grössen einerseits von einander unterschieden, anderseits mit einander in Beziehung gesetzt, und womöglich in ihren Verhältnissen sogar mathematisch bestimmt, zunächst die Proportion der Reize und der Empfindung. [45/46]

theilung, oder Localisationen, der verschiedenen geistigen Fähigkeiten zu erkennen und nachzuweisen, nicht gelungen ist, trotz den vielen Bemühungen, weder pathologisch, noch phrenologisch, noch experimentel-physiologisch (s. auch F. A. Lange, Geschichte des Materialismus, 1866, S. 427). In der neueren exacten Physiologie wird jetzt von Forschern ersten Ranges die Existenz der Seele, das ist des Geistes, anerkannt*). Besonders bestimmend ist dabei der Grund, dass das von den Sinnen Empfundene, um eine Wahrnehmung zu werden, noch bedarf einer instinktiven Beurtheilung (der „unbewussten Schlüsse", nach Helmholtz), und weil eine Einheitlichkeit des Bewusstseins besteht (hervorgehoben namentlich von J. Herbart, H. Lotze, J. Henle u. a.), obgleich doch die einwirkenden Eindrücke so vielfach sind, und obgleich es doch eigentlich zwei Gehirne giebt. Hier müssen wir den Satz wiederholen, wie oben in der Sternen-Welt, dass aus der Existenz einer Wirkung geschlossen werden darf auch auf die Existenz

*) In der That es liesse sich eine ganze Reihe von Physiologen ersten Ranges anführen (beginnend mit Joh. Müller, E. H. Weber, Purkinje u. a.), welche die Psyche direkt als einen Gegenstand der strengen physiologischen Forschung betrachten und behandeln, und zwar mit sicherem und zunehmendem Erfolge. Unstreitig gehört auch diese Thatsache zu jenen grössten der in neuerer Zeit gewonnenen Einsichten, durch deren Erwerb der allgemeine Wissens-Schatz in unseren Tagen so ausgezeichnet worden ist, und an die oben als solche angegebenen vier (s. § 1,) reiht sich wahrlich würdig an, als fünfte, diese Anerkennung der Psyche in der neueren Physiologie. [46/47]

einer vorhandenen Ursache derselben, sogar dann wenn dies Agens selber für unsere Sinne unmittelbar völlig unerkennbar ist, und dass dies dem richtigen inductiven Verfahren angehört. Dagegen muss entschieden für unannehmbar erklärt werden der gewaltsame und zur Zeit von namhaften Biologen und Philosophen unternommene oder gebilligte Versuch, auch hier sinnliche Vorstellung zu erzwingen, und die bei physikalischen Vorgängen (wo rein quantitative Unterschiede mit Aenderungen der Lage genügen zur Erklärung) mehrfach bewährt gefundene, mechanische Vorstellung, mittels Schwingungen von Molekeln oder Atomen, auch im Hirne anzuwenden, zur Erklärung des Denkens. Diese Erklärung ist zwar sehr einfach, aber in der That gar zu einfach, entweder aus Naïvetät*) oder aus Verzweifelung. Folgerichtig müsste dann dabei auch das Gesetz von der Umsetzung der Kräfte in Anwendung kommen, und auch gefordert werden, dass es möglich sei, das Denken zu messen. So schwierig es ist, selbst das Denken sich vorzustellen ohne Stoff, weil unser Denken ja vorwiegend vom Sinne des Sehens entlehnte, anschauliche, bildliche Vorstellungen enthält, - ob-

*) Ist es nicht naïv zu nennen, wenn, wie eben jetzt besonders üblich ist, der Grundsatz ausgesprochen wird: „man muss nicht Unbekanntes erklären wollen durch Unbekanntes", aber dies dann dahin verstanden wird: „man muss Unbekanntes immer nur durch Bekanntes erklären", wozu dann vorzugsweise das aller Einfachste und deshalb Bekannteste gewählt zu werden pflegt, oder das dem Einzelnen nächst bekannt Gewordene ? [47/48]

gleich auch die Physik in neuester Zeit geneigt ist, anzunehmen atomistische Kraft-Centren und Kraft-Linien, unverbunden mit Stoff (Faraday) - so ist doch noch weit schwieriger, das Denken zu erklären als Vibration von Atomen oder der Ganglien oder der Fibern der Hirnmasse. In der That, wenn man vor eine solche Alternative gestellt sich entscheiden muss, dann müssen wir, zumal gestützt auf die gewonnenen thatsächlichen Beweise für die Teleologie oder das Denken im Weltall, uns entscheiden für die erstere Auffassung, als vorläufig die allein annehmbare. Ganz unmöglich aber ist es für uns, noch ferner zu meinen, dass in der Welt das Denken Vorgang habe allein in den Hirnmassen der Menschen und der Thiere.

§ 8.



Nachdem im Universum das einheitliche Denken und die fehlerlose Aeusserung der logischen Gesetzlichkeit, der Geist, aufgefasst worden ist, muss als die Aufgabe für die Philosophie erscheinen, von solchem Ausgange her, auch den Geist des Menschen in dessen allgemeiner natürlichen Stellung und auf rein naturwissenschaftliche Weise aufzufassen und zu bestimmen. Folgende Grundzüge scheinen dafür schon annehmbar. - Zuvor muss man immer unterscheiden vom Denken selbst, oder vom Geiste, dessen körperliche, anatomisch-physiologische, die Aufnahmen und die Aeusserungen vermittelnde, Unterlage, den sensitivo-motorischen Apparat, das Hirn- und Nerven-[48/49]System*); dann muss man unterscheiden im Geiste, oder in der Seele, die damit verbundene geistige automatische, instinctive Zugabe, welche unbewusst wirkend nur dem Zwecke der Selbst-Erhaltung dient, wie bei den Thieren **), welche aber beim Menschen von dem bei ihm hinzukommenden selbständigen Denken, von der Vernunft, beherrscht werden kann; und endlich muss man unterscheiden dies eigentliche, bewusste, selbständige Denken, den eigentlichen menschlichen Geist ***). Diesen, also das selbständige menschliche Denken, wenn auch ein Ganzes bildend, ist es

*) Man muss hinzufügen, dass ohne diese Vermittelung die Geister der Menschen gar nicht, auch nicht auf einander, wirken können; wenigstens haben wir darüber keine Erfahrungen.
**) Der Instinkt ist freilich, was die damit verbundenen angeborenen Fertigkeiten betrifft, beim Menschen weit geringer ausgestattet als bei den Thieren. Z. B. ein junges Huhn, das eben das Ei verlassen, ist sofort fähig die Entfernung richtig mit den Augen abzumessen bei dem Laufen, Sehen und Ergreifen der Hörner; eine junge Ente kann sofort schwimmen, und auch ein junger Affe richtig springen, gleichsam a priori. Aber beim Menschen-Kinde bedarf es jahrelanger Erfahrung und Uebung, um die nöthigsten Fertigkeiten zu erwerben, und kommen diese schliesslich doch erst zu Stande nach, unter Mitwirkung der Vernunft, langsam erworbenen Kenntnissen und Urtheilen.
***) Es mag hier ausgesprochen werden, dass eine Differenz der beiden Geschlechter nicht auch in den natürlichen geistigen Fähigkeiten selbst angenommen werden kann, jedoch zunächst noch in der instinctiven Zugabe des Geistes sich äussert. (Auch der Jäger und der Vogelfänger finden ja keinen derartigen Unterschied in der Gelehrigkeit der Hunde und der Vögel). [49/50]


geeignet einzutheilen: in Wahrnehmen, Urtheilen*) und Handeln (wie es auch bei Kaut, in dessen drei Kritiken, der erkennenden, der urtheilenden und der praktischen Vernunft, und anderen Philosophen sich findet, und wie ja dem entsprechend und dienend das physiologische Substrat, der Nerven-Apparat. angeordnet sich erweist). - Daraus geht hervor auch die Frage von der moralischen oder ethischen Eigenschaft der menschlichen Handlungen, welche Frage bei dem Instinkte der Thiere noch gar nicht besteht. Das moralische Böse wird verschieden vom Guten erst beim Menschen; es entsteht erst im Streite des menschlichen Instinkts, welcher nur der Selbsterhaltung, und damit überhaupt der Selbstsucht, dient, mit der Vernunft, wenn diese ihre Herrschaft über jenen nicht ausübt, in den Fällen, wo der

*) Das Urtheilen ist hier in weiterem Sinne gemeint; vielleicht ist nicht ungeeignet, dabei einen neueren Ausdruck „Ideation", zu gebrauchen. Denn es ist noch erwähnenswerth, dass des Menschen Denken (welches wesentlich besteht in Vergleichen und Unterscheiden, in Verbindungen neuer Eindrücke mit den zahlreichen früheren durch die Erinnerung hervorgerufenen Gedanken und Bildern, und im Aufbauen mittels der Phantasie) ein unablässig sich fortsetzender Process ist, indem auf dem Grunde fester und bleibender Kenntnisse und Meinungen ein beständiges Wogen von Gedanken Vorgang hat, ein Verarbeiten von Denk-Material, wonach der Geist verlangt, und dessen er bedarf, gleichsam wie eine Mühle des Aufschüttens von Korn, (daher kann Langeweile bildlich genannt werden der Hunger des Geistes). Verbunden damit ist auch stärker oder geringer ein Wogen von Gefühlen und Affecten. [50/51]

Instinkt sein berechtigtes Maas überschreitet. Die Vernunft ist es welche jenem, mit Unterstützung des Gewissens, Beschränkung auferlegt und so Entsagung ausübt, und schon damit unstreitig dem Menschen eine edelere Stellung giebt, denn etwas Edeles liegt immer in der Entsagung*). - Bei allen jenen angenommenen

*) Hier wird das Gebiet der Ethik berührt und die folgenden kurzen Bemerkungen von unserem naturwissenschaftlichen Standpunkte aus wollen wir darauf uns erlauben. So ist es wirklich das Wissen was erst die Bedingung wird zur Entstehung des moralisch Bösen (woher auch das Wort „Gewissen" - conscientia - ein so überaus treffender Ausdruck ist; es ist das mit dem Wissen unmittelbar verbundene, und nicht ohne dieses bestehende, moralische Gefühl). Damit stimmt ja überein auch im biblischen Symbol des Sündenfalls der sinnvolle Ausspruch der Schlange: „Ihr werdet wissen was gut und böse ist." Wir wünschen aber hier mehr hervorzuheben als es gewöhnlich geschieht, dass mit dem Wissen nicht nur das moralisch Böse zu Stande kommt, sondern auch das moralisch Gute. Und wir finden, dass auch in dieser uralten Frage über den Ursprung jener beiden Gegensätze, welche die Philosophen von jeher beschäftigt hat, es wieder die richtig verstandene Teleologie ist, welche uns bei der Erklärung die beste Hülfe leistet. Der Instinkt ist den Thieren gegeben zum Zwecke der Selbsterhaltung, und er enthält damit wesentlich Selbstsucht; so auch ist er gegeben dem Menschen, diesem frelich [freilich] neben der Vernunft, d. h. neben dem bewussten selbständigen Geiste, welcher wesentlich die Selbstsucht ablehnt und Selbstlosigkeit besitzt. (Da die Fähigkeiten des Menschen-Geistes auf der Erde immer nur unvollständig zur Entfaltung kommen (s. früher § 7), nicht aber die des Instinkts der Thiere, liegt darin unstreitig eine gewisse Berech-[51/52]

drei Eintheilungen des eigentlichen Geistes macht sich

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 51] tigung zur Folgerung, dass der Zweck des Menschen-Geistes nicht allein auf die Erde beschränkt sei, wohl aber der des Instinkts). Jedenfalls erkennen wir so im Menschen gleichsam zwei verschiedene teleologische Gebiete neben einander bestehend; und wenn bei ihm eine Handlung des Instinkts diese Zwischengrenze überschreitet, so kann entstehen auf dem Gebiete des bewussten Denkens ein Conflict zunächst nur dadurch, dass hier der ursprüngliche selbstsüchtige Zweck der Handlung seine Geltung verliert und eine missbilligende Beurtheilung erfährt vom Wissen und Gewissen auf dem Gebiete mit selbstloser Teleologie; in diesem Falle wird die Handlung erst hier eine moralisch böse. Sie kann aber auch gebilligt werden, und dann wird sie erst hier eine moralisch gute. Kinder sind wie die Thiere schuldlos aus Unwissenheit, aber damit auch frei von Tugend. Da nun auch die Tugend erst entsteht mit dem bewussten Wissen, würde, so verstanden, gleichzeitig mit dem ersten Sündenfall auch erst entstanden sein, - und dies ist eben was hier, wie schon gesagt, besonders hervorgehoben werden soll - die Möglichkeit einer Erhebung in die Tugend; neben der Erbsünde würde stehen auch eine Erbtugend, und damit würde dem Menschen von der Ethik, ausser der angenommenen beständigen, unabtragbaren und drückenden Sünden-Schuld auch ein gewisses Anrecht auf Gerechtigkeit zu erkannt werden müssen. Für die bewusste und gefühlte Existenz dieses Anrechts ist unzweifelhaft ein unabweisbares Zeugniss enthalten schon in der einfachen Thatsache, dass es nicht nur ein böses, sondern auch ein gutes Gewissen giebt, und dass letzteres auch ein ruhiges heisst, indem dessen Besitzer sich bewusst ist, dem inneren moralischen Gesetze genügt zu haben und damit der Achtung seiner selbst werth zu sein, welches Bewusstsein ihm nicht nur die stärkste Stütze gewährt im Kampfe gegen Unrecht, sondern worin er auch [52/53]

bemerklich, Gefühl, mit den Affecten, vor allem freilich in dessen instinctiver Zugabe.

§ 9.



Wenn wir nun einen Rückblick werfen auf die Ergebnisse, zu welchen wir uns in Hinsicht auf die neue kosmologische Natur-Auffassung bekannt haben, so geben wir als solche kurz folgende an. Im Weltall ist eine Teleologie auf rein inductivem, naturwissenschaftlichem Wege zu erkennen und anzuerkennen, und damit ist verbunden, das im Weltall Gedachtes und ein Denken mit logischen Gesetzen besteht. Mit dem im Universum sich offenbarenden Denken ist das Denken, oder der Geist, des Menschen identischer Art, und unterworfen denselben logischen Gesetzen, wenn es auch nur ein schwaches Minimum darstellt in Vergleichung mit jenem. Das Denken, oder der Geist, gehört demnach auch zur realen objectiven Natur, in deren weitestem vollständigen Sinne, und das mensch-

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 52] seinen Lohn findet, und welches sogar die Bedingung ist eines jeden Glückes. - Soweit uns bekannt ist, ist der Ursprung des moralisch Bösen und die Antinomie des moralisch Guten und Bösen nicht schon früher so zu erklären versucht worden, und zwar in Eintracht mit der allgemeinen kosmologischen Teleologie, wie es hier eben angedeutet worden ist. Durch diese Erklärung ist auch die Annahme des Teufels zur Entstehung des Bösen unnöthig geworden; denn dieser ist nun der selbstsüchtige Instinkt, wenn dieser von seinem Gebiete, auf welchem er völlig berechtigt ist, gelangt auf das Gebiet der Vernunft, und hier der Missbilligung des bewussten, selbständigen und selbstlosen Wissens und Gewissens begegnet. [53/54]

liche Denken bleibt nun gleichfalls nicht beschränkt auf die engen Grenzen unserer kleinen Erdkugel, insofern es selber einen Theil des im Universum wirkenden Geistes darstellt, ähnlich wie die erdischen Elementarstoffe und die Kräfte Theil nehmen an der allgemeinen Vertheilung im Weltall. Daraus darf, ja muss gefolgert werden, theoretisch, dass der Geist auch Theil nehme an der allgemeinen Unvergänglichkeit, und damit auch an der Anfangslosigkeit, wie es allem real in der Welt Seienden zugesprochen werden muss, vorausgesetzt dass es nicht nur ein Zustand ist*). In der That gemäss unserer auf Beweisen der Induction

*) Schon früher hatte der Verfasser dieser Zeilen gelegentlich geäussert, wie die Elementarstoffe und die Kräfte, so würden auch die Geister im Welt-Systeme unvergänglich sein und gleichbleibend an Zahl und an Menge. Diese Aeusserung wird nun verständlicher sein. Es mag noch hinzugefügt werden, dass dabei nicht gedacht war an Gespenster und auch nicht an die Geister und „Mediums" der Spiritisten, von welchen man noch niemals etwas Gescheidtes mitgetheilt vernommen bat, und noch weniger hat man erfahren, dass von ihnen dem allgemeinen Wissens-Schatze irgend etwas Neues zugebracht worden ist (wenn man nicht etwa dazu rechnen will, dass sie z. B. Tische gerückt haben oder in Bindfaden Knoten geschlungen haben, u. s. w.). - Es mag erinnert werden an die Aussage von G. E. Lessing, in dessen grossartigem Torso, „die Erziehung des Menschen-Geschlechts", (1780, § 92): „Warum könnte jeder einzelne Mensch auch nicht mehr als einmal auf dieser Welt vorhanden gewesen sein - ohne Erinnerung der vorigen Zustände?" Bekanntlich ist die Weisheit der hinduischen Brahmanen seit lange mit der Vorstellung [54/55]

sich gründenden Vorstellung vom realen Vorhandensein des objectiven Geistes im grossen Ganzen der Natur, mit welchem der Geist des Menschen identischer Art ist, müssten wir sonst für diesen eine Ausnahme gelten lassen. Freilich empirisch haben wir in dieser Hinsicht keine individuelle weder unmittelbare noch mittelbare Zeugnisse für den letzteren.
Es kann nicht überflüssig erscheinen, die Verschiedenheit der augenblicklich in der Naturwissenschaft herrschenden Natur-Auffassung von der hier angedeuteten noch deutlicher hervortreten zu lassen, und zu solchem Zwecke von der ersteren hier einige sie gewissermaassen bezeugende Beispiele authentisch kurz

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 54] von der Ewigkeit der Seele, nicht nur in der Zukunft sondern auch in der Vergangenheit, völlig vertraut, und war es so auch die der alten Aegypter. Freilich dort ist diese Vorstellung hervorgegangen gewesen, nur aus der Hoffnung und der Phantasie. Nun aber ist der Versuch berechtigt, ihr einigen naturwissenschaftlichen Grund zu geben, insofern nun gefolgert werden darf, die Unvergänglichkeit gelte im Weltall nicht nur für das Physische, sondern auch für das Geistige. (Für uns versteht sich dabei von selbst, dass hier in dieser Metempsychose oder Seelenwanderung nicht auch die Thiere mit ihren Instinkten einbegriffen gedacht werden). Auch Descartes anerkannte bekanntlich „ausgedehnte Substanzen", d. i. Körper, und „denkende Substanzen", d. i. Geister, freilich verbunden mit seiner mechanistischen Welt-Ansicht, und die neureren Psychologien können jener Vorstellung nicht ganz widersprechen. - Es darf durchaus zulässig erscheinen auch auf anderen Planeten im Weltraume denkende Wesen zu vermuthen, auch vollkommenere als die erdischen, wenn man so sagen will, Engel. [55/56]

anzuführen. In einer angesehenen Schrift (1874), welche in der „Philosophie des Universum" dem wissenschaftlichen Materialismus huldigt, heisst es: „der Materialismus leugnet nicht den Geist, d. h. den Inbegriff der geistigen Hergänge im einzelnen Menschen, so wenig wie die Physik das Licht leugnet; aber er leugnet einen Geistesstoff wie einen Lichtstoff, und erklärt den Geist wie das Licht" (also wirklich durch Schwingungen des Aethers). In einer vielgerühmten Rede eines so genannten philosophischen Physiologen heisst es oder hiess es: „die Seele ist als ein allmäliges Ergebniss gewisser materieller Combinationen entstanden, und vielleicht im Kampfe um das Dasein gesteigert und vervollkommnet". In einer hochgepriesenen „Anthropogenie" (1874) wird gesagt, durch die Selections-Theorie Darwin's (als Erklärung der Arten-Entstehung) sei aller teleologischen Beurtheilung der Organismen „der definitive Todesstoss" gegeben. - Sicherlich legen jene drei Beispiele Zeugniss ab, dass bis jetzt die exacte Naturwissenschaft noch nicht sich erhoben hat zur Philosophie, vielmehr diese zu sich herunter ziehen will, was wohl gelingen kann und muss, wenn diese arglos, den imponirenden Behauptungen sonst in ihrer Wissenschaft hochgestellter Naturforscher gegenüber, bei ihrem Creditgeben nicht wohl unterscheidet. Davon sind leider schon Beispiele vorgekommen (sollen wir eines anführen, so nennen wir David Fr. Strauss mit seinem letzten Geisteswerke)*).

*) Es mag noch erwähnt und gerühmt werden, dass in [56/57]

Dagegen ist hier um so mehr am Orte, mit verstärkter Zustimmung zu erinnern an den sehr verschieden lautenden, zu wenig berühmten, Ausspruch unseres unsterblichen Philosophen, Immanuel Kant, welchem die

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 56] A. Schopenhauer's grosse Beachtung geniessender philosophischer Welt-Anschauung die Teleologie, als unmittelbar in der Welt enthalten, Anerkennung findet. Leider aber hat dieser sehr geistvolle Kenner der Welt und der Literaturen und gedankenreiche Schriftsteller, welcher einige Capitel geschrieben hat, die ihm bleibend einen Platz geben in der Reihe der Classiker (s. Parerga und Paralipomena, 1851), für sein System den Ausgang genommen von der Prämisse, dass die Welt für uns nur subjective Vorstellung sei (seine Worte lauten: „wir sind nicht im Raume und in der Zeit, sondern diese sind in uns"); und von dem Geiste oder dem Denken des Menschen hat er die Vorstellung, es sei nur eine Function des Hirns, analog mit der Function des Magens. - Auch dessen sehr talentvoller, rasch berühmt gewordener, aber für einen Philosophen noch als zu juvenil sich erweisender Nachfolger, E. von Hartmann, würde wegen seiner auf Induction gegründeten Anerkennung der Teleologie in der Natur (s. „Philosophie des Unbewussten", 1867) gleichfalls grösseren Ruhmes würdig sein, ohne die Ansicht, welche lautet oder wenigstens lautete: „es besteht zwischen Geist und Materie eine Wesen-Gleichheit, und wir haben es in den Fällen des bewussten Denkens mit Hirn-Schwingungen zu thun, welche das Unbewusste afficiren." Also beide Philosophen sind, trotz ihrer Teleologie, seltsamer Weise, Verleugner des Geistes, der sich doch in ihnen in nicht gewöhnlichem Maasse äussert. Ihnen gegenüber mag hier unsere Anschauung bezeichnet werden in dem kurzen Satze: „wir sind ein minimaler Theil des Weltalls, aber auch ein minimaler Theil des im Weltall enthaltenen Geistes. ["] [57/58]

Kenntniss der Naturwissenschaft und namentlich auch die kosmologische Natur-Anschauung, wenn auch nur in deren damaliger unvollständigeren Gestalt, nicht fremd war. Am Schlusse seines reifsten Werkes, „Kritik der praktischen Vernunft", 1788, sagt er die erhebenden Worte.- „Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt, - der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als ausser meinem Gesichtskreise suchen und bloss vermuthen; ich sehe sie vor mir, und verknüpfe sie unmittelbar mit meiner Existenz. Das erste fängt an von dem Platze, den ich in der äusseren Sinnenwelt einnehme, und erweitert die Verknüpfung worin ich stehe in das unabsehlich Grosse, mit Welten über Welten, überdem noch in grenzenlose Zeiten ihrer periodischen Bewegungen, deren Anfang und Fortdauer. Das zweite fängt an von meinem unsichtbaren Selbst, meiner Persönlichkeit, und stellt mich in einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verstande spürbar ist, und mit welcher (damit aber zugleich auch mit allen jenen sichtbaren Welten) ich mich, nicht wie dort in bloss zufälliger, sondern in allgemeiner und nothwendiger Verknüpfung erkenne. Der erstere Anblick, einer zahllosen Weltenmenge, vernichtet meine Wichtigkeit als eines thierischen Geschöpfes, das die Materie, woraus es ward, dem Planeten (einem kleinen Punkte des Weltalls) wieder zurückgeben muss, nachdem es eine kurze Zeit (man [58/59] weiss nicht wie) mit Leben versehen gewesen ist. Der zweite Anblick, des moralischen Gesetzes, erhebt dagegen meinen Werth als einer Intelligenz unendlich durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Thierwelt unabhängiges Leben offenbart, wenigstens so viel sich aus der zweckmässigen Bestimmung meines Lebens durch dies Gesetz abnehmen lässt, welche Bestimmung nicht auf die Bedingungen und Grenzen dieses Lebens eingeschränkt ist, sondern in das Unendliche geht".

§ 10.



Am Anfange dieser kleinen Abhandlung hatte der Verfasser sich zu der Meinung bekannt, das Wissen von den natürlichen Verhältnissen müsse für die Philosophie die Grundlage bilden. Nun näher dem Schlusse meint er sich nicht zu täuschen, wenn er dafür hält, dass diese Grundlage, welche in unserer neusten Zeit eine so grosse Erweiterung zu kosmologischer Anschauung erfahren hat, erst vervollständigt und auch vertieft werde durch die Annahme, im Universum sei auch das Denken oder der Geist in objectiver realer Existenz vorhanden, was sich zunächst nur indirekt, als Wirkung, ausspricht und erkennen lässt, durch die Teleologie; und ferner dass der Nachweis der Teleologie, nach richtiger Begriffs-Bestimmung derselben, in rein naturwissenschaftlicher Auffassung und auf rein inductivem Wege, durch Thatsachen und in Beispielen aus der unorganischen Natur, auch wirklich geliefert [59/60] worden sei. Man könnte diesen der Anschauung des Universum hinzukommenden Theil geeignet bezeichnen als die Anschauung vom objectiven realen Geiste in diesem. Es ist die allgemeine Stellung des Geistes im grossen Ganzen der Natur, im Weltsysteme, welche darzulegen hier versucht worden ist. Wer aber so einen Ausgang nimmt vom objectiven Geiste im Universum, und von dort übergeht zum eigenen subjectiven Geiste, wird einen Weg einschlagen, welcher ganz entgegengesetzt ist dem bisher bei der Philosophie üblichen, indem diese (hier ist zu erinnern sowohl an R. Descartes, wie auch an J. Locke, diese beiden Gegensätze in der Erkenntniss-Lehre) unstreitig gewohnt gewesen ist, auszugehen bei der Beurtheilung der Welt vom subjectiven menschlichen Geiste, und dabei mehrmals mehr oder weniger sogar dahin gelangt gewesen ist, den objectiven Geist, ja die ganze übrige Welt, zu leugnen.

§ 11.



Hier bedarf es noch einer kurzen geschichtlichen Erörterung. Bekanntlich und unbestritten hat die Philosophie der Neuzeit, als auch sie begann vom Zwange der Autorität, zunächst von der Scholastik, sich zu befreien und selbständig zu werden, ihren Ausgangspunkt genommen in R. Descartes' berühmten, Grund legenden und die Richtung anweisenden, Axiome seit 1637): „je pense, donc je suis", also, „ich zweifle, aber ich denke und mithin so bin ich". Damit wurde für sicher vorhanden gehalten zunächst das Denken [60/61] selbst, dagegen die Existenz der äusseren oder objectiven oder realen Welt wenigstens für unsicher; überhaupt aber wurde das Subject streng unterschieden vom Object, und das Denken allein im Subjecte berücksichtigt*). Bald darauf aber wurde mit der näheren

*) Zum Verständnisse ist erforderlich noch folgendes Weiteres hinzuzufügen. Der Titel von Descartes erstem Werke lautet: „Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les sciences", 1837 [1637]. Freilich die Wahrheit wurde hier gesucht, nicht wie einige Jahrzehnte früher von Fr. Bacon für die Methode der realistischen Forschung in glänzender geistreicher Weise wenigstens empfohlen war, auf inductivem Wege, sondern im Gegentheil vom Begriffe aus, auf deductivem Wege, und zwar in einer der mathematischen analogen Methode. Dazu gehörte wesentlich die Meinung (das ist der in solchem Sinne verstandene „Rationalismus", im Gegensatze zum Empirismus), Alles was sehr klar und deutlich begriffen sei, müsse auch wahr sein ([„]illud omne esse verum quod valde clare et destincte percipio"); dies galt als Kriterion der Wahrheit; dagegen seien die Sinne öfters trügerisch. Und hier ist zu erinnern, dass damals überhaupt geltend war die schon bei Platon bestehende Annahme, das Erkennende im Menschen sei die immateriele Seele, dagegen sei der Leib ein Hinderniss für die Erkenntniss, und daher sei alle durch die Sinne vermittelte Erkenntniss trüglich; diese komme zu Stande wahr und sicher allein in dem von aller Sinnlichkeit freien Denken, im reinen Denken, d. h. in dem, ohne Anschauung, mit abstracten Begriffen erfolgenden Denken (z. B. nach der Weise des Sokrates, dialektisch, mittels logischer Operationen); denn dies verrichte die Seele ganz aus eigenen Mitteln, und folglich geschehe es am besten sogar erst nach Trennung der [61/62]

Prüfung des menschlichen Denkens namentlich durch J. Locke eine Epoche machende Wendung in der Erkenntniss-Lehre bewirkt und wurde im geraden Gegen-

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 61] Seele vom Leibe. Dagegen Aristoteles hatte schon den in der ganzen Geschichte der Erkenntniss-Lehre sich erhaltenden oder sich wiederholenden Gegensatz festgehalten, nämlich die Annahme, unsere Erkenntniss komme zu Stande nicht ohne Mitwirkung der Anschauung, also der Sinne, also des Leibes. Die scholastische, oder die kirchliche, Philosophie anerkannte jene Platon'sche Annahme; sie meinte, es gebe reine Vernunft-Erkenntniss, d. h. ein Wissen, welches auf keine Anschauung oder Erfahrung Bezug habe, sondern allen seinen Stoff aus dem Denken selbst nehme, (s. g. Erkenntnisse a priori, veritates aeternae); daraus wurde auch die Unsterblichkeit der Seele gefolgert. Diese a priori Erkenntniss-Lehre nun sollte bei Descartes zunächst fester begründet werden, gesichert vor der Skepsis, und zwar mittels einer der mathematischen analogen Demonstration. Aber damit wurde auch die Berechtigung des Menschen, auf seine geistigen wie sinnlichen Erkenntniss-Mittel sich zu verlassen, auf's neue in Zweifel gezogen und diese grosse Vorfrage der Philosophie vorzugsweise als Aufgabe der philosophischen Untersuchung aufgepflanzt, und zwar nicht nur in neuer Form gestellt, sondern sie wurde nun auch behandelt in dem selbständiger sich fühlenden, die Kritik und die originale Forschung anerkennenden und anwendenden, Geiste der angebrochenen neuen Zeit. So wurde die neuere Erkenntniss-Lehre begründet, damit aber auch die neuere kritische Philosophie überhaupt, auf diesem Ausgangs-Punkte, und zwar zunächst in idealistischer Auffassung und mit deductiver Methode, welche man bezeichnen kann als: logische Zergliederung der Begriffe, anstatt sachlicher Zergliederung des realen Inhalte der Vorstellungen. - [62/63]

satze als einzige Quelle der Erkenntniss hervorgehoben die sinnliche Erfahrung, der Empirismus, freilich in Verbindung mit dem Nachdenken (reflection); dazu gehörten die Aussprüche: „es giebt keine angeborene Vorstellungen" (no innate ideas) und: „nichts ist im Intellekt was nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre". Gegen Locke wurden von G. Leibniz*) die angeborenen Ideen, d. i. Vorstellungen vertheidigt, und man kann hinzufügen, damit im Voraus auch schon der psychologische Materialismus bekämpft und das später sich einzustellen nicht verfehlende äusserste Extrem des Empirismus,

*) Was Leibniz betrifft, so muss ihm, wenn auch dessen „Monaden" naturwissenschaftlich nicht annehmbar sind, doch eine rein naturwissenschaftliche allgemeine kosmologische Auffassung des Denkens zuerkannt werden, wie sie sich äussert in folgendem Ausspruche: „J'accorde que les effets particuliers de la nature se peuvent et se doivent expliquer mécaniquement, sans oublier pourtant leurs fins et usages admirables; mais les principes généraux de la physique et de la mécanique même dependent de la conduite et d'une intelligence souveraine, et ne sauroient être exliqués sans le faire entrer en considération" (Lettre à M. Bayle, 1867, Op. philosoph., instr. J. E. Erdmann, 1840, p. 106). Hier ist rein empirisch in der Natur die Teleologie anerkannt, wie in einer Maschine als die Ursache der in ihr bestehenden Proportionalität in der Anordnung der Theile, das Denken, die Vernunft, anzuerkennen gar nicht unterlassen werden kann. Auch Leibniz ' berühmter Satz vom zureichenden Grunde (raison suffisante), d. i. ein vernünftiger Grund in der Weltordnung anstatt einfach Ursache (cause), ist zusammenstimmend mit unserer ganzen Anschauung. [63/64]

der psychologische Sensualismus (mit dem Spruche Condillac's „penser c'est sentir"). Auf der anderen Seite wurde das äusserste Extrem auch im Subjectivismus oder im Spiritualismus erreicht (von G. Berkeley und später von J. Fichte), und das Denken des Subjects als allein vorhanden ohne die äussere Welt gedacht. Eine besondere skeptische Meinung über die Richtigkeit unserer geistigen Erkenntniss-Mittel wurde ausgebildet (von Dav. Hume) betreffend zunächst das Causalitäts-Verhältniss. Dadurch wurde Im. Kant bestimmt, ([!] obgleich in Widerspruch damit, indem er es doch als a priorisch, subjectiv, anerkannte, in seinem Grund legenden Werke über die Erkenntniss-Lehre („Kritik der reinen Vernunft") den Subjectivismus zu übertreiben und zugleich unseren Sinnen und dem Sinne in der Natur so weit das Vertrauen zu versagen, dass er, wenigstens theoretisch und speculativ, dem Raume und der Zeit die Realität absprach und sie nur als Formen und rein subjective Forderungen der Wahrnehmung ansah, wie auch die Causalität und die anderen s. g. Kategorien. Er dachte dabei nicht an das objective im Weltenraume sich äussernde Denken, seltsamer Weise, da ihm sonst das Weltensystem und die vernünftige Ordnung am Himmel so wohl bekannt, ja ein besonderer Gegenstand seiner Beschäftigung gewesen war. Dann wurde die Identität des Geistes und der Natur ausgesprochen in J. Schelling's „absolut idealistischer" Natur-Philosophie, (als Pantheismus ähnlich dem des B. Spinoza, welcher damit streng mathematisch und mechanistisch die Welt und den Menschen-Geist auffasste, jedoch naturwissenschaftlicher Kenntnisse [64/65] ermangelte) und so zwar der Geist auch objectiv im grossen Ganzen der Natur anerkannt, aber in dem Sinne, dass er in diesem identificirt wurde mit dem eigentlich Physischen (wie auch bei Spinoza), indem der Cardinal-Satz lautete: „der Geist ist die unsichtbare Natur, die Natur ist der sichtbare Geist". Daraus ging hervor das System (der Panlogismus) G. Hegel's, welches zwar als System sich nicht erhalten kann, wie überhaupt kein alle Aufgaben der Philosophie speculativ umfassen wollendes System, aber dessen grossartiger Auffassung der allgemeinen Geschichte als des gemeinsamen dialektischen Ganges des freien menschlichen Denkens oder Geistes, mit dem charakterisirenden Ausspruche: „Alles was wirklich ist, ist vernünftig", unvergängliche Wirkung, wenigstens im Allgemeinen, zugesprochen werden muss. Jedoch auch dessen Auffassung ist sehr stark zu bezeichnen als zu subjectiv, oder, wenn der Ausdruck erlaubt ist, als zu hominel, da sie annimmt, der Geist, welchen wir im Universum erkennen, sei dort ohne Bewusstsein, er realisire sich, er erkenne sich selber, nur im Menschen, ja in diesem komme er erst zur Existenz. (Diese kaum glaubliche Annahme ist hier richtig angegeben. Sie findet sich auch schon bei Schelling. Es waren dann nur wenige Schritte weiter gethan als L. Feuerbach für seine Religions-Philosophie auch die ganze Gottheit in die Menschheit versetzte). In J. Herbart's Philosophie muss uns zusagen die darin der objectiven realen Welt, zunächst auch der Objectivität des Raumes, zugewendete Vertheidigung und zugestandene Berechtigung; indessen [65/66] von unserem Standpunkte aus fehlt dort noch, dass zu den objectiven realen Dingen auch gerechnet werde der im Universum sich äussernde Geist.
Bei dem eben gegebenen kurzen geschichtlichen Ueberblick konnte nicht unsere Absicht sein, die verschiedenen hervorragenden philosophischen Systeme erschöpfend zu charakterisiren, sondern nur zur Anerkennung zu bringen, dass bei ihnen inbetreff der Auffassung und Beurtheilung des Geistes gemeinsam der Subjectivismus Alleinherrscher ist, weil sie unmittelbar ihren Standpunkt nahmen und behielten im menschlichen Denken, nicht aber im objectiven im Universum sich offenbarenden Denken. Wenn dies aber geschieht, dann tritt hervor, in Unterschiede von jener homino-centrischen Auffassung, wenn es erlaubt ist diesen Ausdruck zu gebrauchen, der Objectivismus des Geistes, die nach unserer Meinung richtige Einsicht, um dies hier zu wiederholen, dass das Denken des Subjects oder der Geist, des Menschen identischer Art ist mit dem im Weltall sich kundgebenden Denken, und diesem so angehört, wenn auch nur als ein minimaler, und in der Anwendung seiner Fähigkeiten manchen Fehlern unterworfener, Theil. Dann wird dem Menschen-Geiste eine in der Art weit höhere, aber doch nur secundäre Stellung angewiesen, woraus Folgen für die philosophische Betrachtung sich ergeben müssen (ähnlich wie sie dereinst für das Verständniss der Schwere der erdischen Dinge aus der allgemeinen Gravitation sich ergeben haben).
Unstreitig würden lange Irrwege im Subjectivis-[66/67]mus von der Philosophie vermieden sein*), wenn diese

*) Man hat der Philosophie den Vorwurf gemacht, sie unterscheide sich von anderen Wissenschaften zu ihrem Nachtheile dadurch, dass in ihr ein eigentlicher Fortbau fehle, indem fortwährend von neuem ein anderer Bau begonnen werde; sie baue gleichsam mächtige Häuser, indessen diese blieben nachher unbewohnt stehen, wenn auch bewundert; sie gewähre so gleichsam den Anblick einer schönen Ruinen-Stadt; oder sie mache zeitweise riesenhafte Fortschritte, aber bald nachher eben so grosse Schritte wieder zurück. In Bezug hierauf kann man aussagen: Die Geschichte der Philosophie lehrt uns, dass gewisse ewige Grundfragen der Philosophie sich finden lassen und dass die bleibenden Grundlinien gewisser philosophischer Gebiete sich ziehen lassen, auch bei einem noch sehr schwachen Bestande der Kenntnisse von den Natur-Verhältnissen. Beweise dafür giebt nicht allein die griechische Philosophie (in ihren beiden Seiten, in der materialistischen, mit Demokritos, Straton und Epikuros, wie in der spiritualistischen, mit Sokrates, Platon und Aristoleles), indem sie, so mannichfach deductiv sich ausbildend, die verschiedenen philosophischen Gebiete entdeckte, bezeichnete und auch anzubauen unternahm, und daher, zumal auch wegen der Bestimmung der Begriffe, für die Nachwelt bleibend belehrend und erbaulich ist; - sondern auch giebt Beweise die alt-indische brahmanische Philosophie, so mächtig speculativ, so erhaben in der Gesinnung, und das Wissen selbst so hochschätzend, jedoch im Naturwissen (ausgenommen Astronomie und Arithmetik) unverkennbar noch schwächer als die hellenische Philosophie, und überhaupt vom Realismus abgewandt. Aber dass und wie für die Beantwortung jener Grundfragen und für die Ausfüllung jener philosophischen Gebiete mit realem, empirisch und inductiv erworbenen, Inhalte das Wissen von den Natur-Verhältnissen [67/68]

auch in der objectiven Welt das Denken anerkannt hätte, wie es sich ergiebt aus der richtig begriffenen Teleologie rein empirisch und auf inductivem Wege, d. i. aus der im Weltsysteme fehlerlos herrschenden logischen Gesetzlichkeit und vernünftigen Ordnung. Dann wäre es nicht möglich gewesen, den Gedanken zu hegen, das „absolute" Denken komme zum Bewusstsein erst im Menschen auf der Erdkugel, und gar, dieser könne Erkenntniss-Mittel haben ohne dass es etwas zu Erkennendes gebe, ferner zu verkennen, dass dessen Erkenntniss-Mittel angemessen sein müssen der zu erkennenden äusseren Welt, und dass das Erkennen dieser nicht umgekehrt abhängig sein kann von einer be-

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 67] nothwendig ist und sicheren Gewinn bringt für den wirklichen Fortbau der Philosophie, das erleben wir erst in der neueren Zeit, in der europäischen, neueren Philosophie, jedoch nach zahlreichen Versuchen vorzugsweise erst in der neusten Zeit; und wir dürfen erwarten, es werde noch zunehmend mehr erlebt werden in der Zukunft, Schritt haltend mit der Zunahme des gemeinsamen positiven Wissens-Schatzes, und auch mit der richtigen Vereinigung der inductiven und der deductiven Methode der Forschung. Hier scheint nicht überflüssig, den Satz zu wiederholen, womit oben am Eingange dieser Schrift der Begriff (S. 2) von Philosophie zu bestimmen versucht ist, die Philosophie ist für uns: „die vom höchsten Standpunkte des zeitigen Wissens aus sich ergebende allgemeinste übersichtliche Beurtheilung der weltlichen und der menschlichen, d. h. auch der dabei vornehmlich in Betracht zu ziehenden geistigen, Verhältnisse, und darunter vorzugsweise die Beantwortung gewisser grosser, den Sinn der denkenden Menschen ewig beschäftigenden, Fragen". [68/69]

sonderen, ihr nicht entsprechenden, wohl gar falschen Spiegeln zu vergleichenden, Beschaffenheit der Erkenntniss-Mittel des Menschen. Aber noch immer findet man in deutschen weiten philosophischen Kreisen die Vorstellung geltend, wovon oben die Rede gewesen ist, der Mensch bringe den Natur-Objecten die Beziehungen zu Raum, Zeit und Causalität erst hinzu, indem diese nur subjective Formen seines Denken seien*).

*) Für die reale Existenz der Aussenwelt fehlt es auch nicht an empirischen Beweisen. Uns scheint ein unabweislicher experimentaler Beweis ist enthalten und wird geliefert in den einfachen Thatsachen des alltäglichen Lebens; z. B. indem ein in einer Landschaft stehender Mensch bei jeder Wendung seines Körpers, oder nur seines Kopfes oder nur seiner Augen unfehlbar ein anderes Bild erblickt, und zwar wiederholt dasselbe nur in derselben Richtung. Mag man dessen Geiste ein so mächtiges schöpferisches Vermögen zuschreiben, die Aussenwelt ideel zu construiren, jener empirische Beweis für die äussere reale Existenz des Wahrgenommenen bleibt, abgesehen von der Bestätigung ausserdem, welche enthalten ist in der Uebereinstimmung der Zeugnisse der verschiedenen Sinne unter sich. (Die Uebereinstimmung der Sinne unter sich lässt auch folgern, gelegentlich gesagt, dass unsicher ist, ob ein neuer, ein sechster, Sinn, uns durchaus neue Gegenstände zur Kenntniss bringen würde). Was die oben berührte Frage von der Uebereinstimmung unserer Erkenntniss-Mittel mit der zuerkennenden Aussen-Welt näher betrifft, so ist auf unserem gewonnenen Standpunkte eine solche teleologische Angemessenheit unzweifelhaft, und gültig als „prästabilirte Harmonie", vorausgesetzt dass man diese Bezeichnung nicht ganz in dem Sinne und in dem Bilde des grossen Leibniz nimmt, insofern [69/70]

In der That wir stehen hier vor einer auffallenden und

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 69] dieser bekanntlich dabei eine Vergleichung anwendete mit zwei gleich gehenden, also doch in keiner direkten Beziehung zu einander stehenden, Uhren. Was vor allem unsere Sinne als Erkenntniss-Mittel betrifft (wobei wir deren actives, reagirendes, Verhalten gar nicht verkennen), so muss auffallend sein, dass noch jetzt sogar philosophische Physiologen, welche sonst die Teleologie anerkennen, eben in der s. g. specifischen Sinnes-Energie ein Zeugniss finden wollen gegen jene teleologische Angemessenheit, wie ein Ausdruck lautet, „gegen die Uebereinstimmung der Sinnes-Wahrnehmungen und der äusseren Welt", und demnach annehmen, es werde unsere Erkenntniss der Aussenwelt bestimmt nach der Einrichtung unserer Sinne, nicht aber seien diese eingerichtet nach der Aussenwelt. Hier ist die richtige Bestimmung des Begriffs höchst wichtig, auch für die ganze Erkenntniss-Lehre (ersteres wäre in der That analog, wie wenn das Firmament sich noch um unsere Erde drehe). Auffallend muss sein dass ein solches Zeugniss vornehmlich gesucht wird eben in dem wichtigsten und edelsten unserer Sinne, welcher allein das Weltall uns erschliesst, d. i. im Verhalten des Sehnerven, und zwar aus dem Grunde weil auch andere äussere Eindrücke, ausser den Lichtstrahlen, in diesem Nerven einen Licht-Schein, richtiger jedoch nur eine rein subjective Helligkeits-Empfindung, erregen können. So namentlich von H. Helmholtz (s. Popul. wissensch. [Vor]träge 1876, Heft 2, S. 205); man muss hinzufügen, welche grosse Autorität an jener Stelle, wenigstens einigermaassen, influirt sich zeigt vom Darwinismus; und in dieser Beziehung scheint folgende dort sich findende befremdende Aeusserung, als charakterisirend, hier der Anführung werth (S. 201): „Darwin's Theorie zeigt, wie Zweckmässigkeit der Bildung, in den Organismen, auch ohne alle Einmischung von Intelligenz, durch das blinde Walten eines Natur-Gesetzes entstehen kann". [70/71]

unverkennbaren Analogie, welche zwar öfters angerufen

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 70] Indessen Niemand verkennt, dass von allen Nerven doch allein der Sehnerv es ist, welcher die Fähigkeit besitzt, das objective Licht, oder die Aether-Schwingungen, oder die Lichtstrahlen, zu empfinden, d. h. specifisch darauf zu reagiren, und so die sichtbaren, d. s. die leuchtenden oder beleuchteten, Gegenstände zur Wahrnehmung zu bringen. Daraus darf, ja muss die specifische Teleologie des Sehnerven gefolgert werden, dafür bleibt auch die Bezeichnung „specifische Energie" völlig gerechtfertigt, und davon ist doch durchaus verschieden jene eben erwähnte, schon durch einfachen Druck hervorzurufende, rein subjective, Helligkeits-Empfindung (wie auch Ohrenklingen wahrlich kein Hören ist). Noch mag erinnert werden, dass die verschiedene Farben ja nicht etwa nur subjectiv erst im Auge erscheinen, sondern sich erweisen als wirklich objectiv bestellend durch ihre verschiedenen, messbaren, Zahlen und Wellen-Längen der Aether-Schwingungen. Z. B. auch wenn sich bestätigen würde, dass für die drei Grundfarben besondere, deren Empfindung vermittelnde, Fasern im Sehnerven beständen, so können wir doch nicht annehmen, gewisse in der Aussenwelt vorhandene Gegenstände erschienen mit der Farbe roth oder grün oder violet aus dem Grunde weil diese besonderen Fasern bestehen, sondern umgekehrt, diese besonderen Fasern seien vorhanden aus dem Grunde weil jene objectiv bestehenden Farben bestehen und um sie wahrzunehmen, welche aber bestehen würden auch ohne diese Fasern. Da nun das Licht im ganzen Weltall verbreitet ist, müssen wir sogar annehmen, dass auch die dem Sehnerven allein eigenthümliche specifische, freilich in ihrem physischen Wesen nicht näher zu bestimmende, Beziehung zum Lichte gleichfalls eine allgemeine kosmologische Gültigkeit habe (während die vier übrigen Sinne vielleicht, ja sehr wahrscheinlich nur tellurische Gül-[71/72]

wird, aber hier völlig berechtigt ist. Wie seit Nikolas Köpernik nicht länger unser kleiner Wohnstern geocentrisch den Mittelpunkt bildet um welchen die Sonne und die ganze Sternenwelt sich drehen, sondern umgekehrt in dieser nur seinen bescheidenen Theil einnimmt, in Beziehung nicht nur auf seine Grösse, sondern auch auf seine Stellung und Bewegung, so auch hat analog der Menschen-Geist seine Stellung im Universum, aufzufassen. Genauer erwogen ist so die Auffassung vom Menschen-Geiste eine bescheidenere geworden, doch nur in Bezug auf dessen Verlust seiner vermeinten Central-Stellung, um welche sich die Welt drehte. Was dagegen dessen Wesen betrifft, so hat er mit der Erkenntniss seiner identischen Natur mit dem im Weltall

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 71]tigkeit haben). Dazu kommen dann im Auge als unterstützende Mittel, wenigstens hier auf der Erde, die feinste Vertheilung und geometrische Anordnung der optischen Nerven-Substanz selbst, und ausserdem der dioptrische Apparat, welcher die Lichtstrahlen sammelt und richtet, und zwar mit unübersehbar mannigfachen Accommodationen, was die Kritik der im Baue des Auges gefundenen Fehler wohl zu berücksichtigen bat. Man sagt zwar, die Erfahrung verbessere diese Fehler, aber das Hühnchen sieht ja sofort richtig. Die oben angeführte Autorität, welche übrigens zu den Bekennern der Teleologie und auch des Geistes gehört, sagt selber, was für uns sehr werthvoll ist, (l. c. S. 7): „Die unablässige Prüfung der Genauigkeit unserer Gesichts-Bilder durch unsere Handlungen ist es was uns die felsenfeste Ueberzeugung verschafft von ihrer unmittelbaren und vollkommenen Wahrheit und Treue, eine Ueberzeugung, welche durch keine noch so wohl begründet erscheinende Einwürfe der Philosophie oder Physiologie erschüttert wird." [72/73]

bestehenden Denken sicherlich an Werth und Würde gewonnen, wenn er auch in Vergleichung mit jenem sich nur als ein Minimum erkennt. Das Gefühl, was aus solcher Einsicht vom Menschen-Geiste in diesem entsteht, ist eine Mischung von Stolz und von Demuth. (Wie man für das Copernicanische System als Antecipienten im Alterthume aufstellt den Aristarchos, so kann man hier [ei]einigermaassen als solchen bezeichnen den Anaxagoras).
Eben jene Uebertreibung im Subjectivismus, bis zum monistischen Spiritualismus, musste ihren Gegensatz hervorrufen, und ist so einer augenblicklich herrschenden anderen Uebertreibung indirekt förderlich gewesen, dem monistischen Materialismus. Wir tadeln wahrlich nicht das in der gegenwärtigen Zeit sich geltend machende Streben, auch auf die Geistes-Wissenschaften - d. s. diejenigen Wissenschaften, welche zu ihrem Gegenstande haben die Werke des Menschen-Geistes, wie diese im Laufe der Jahrtausende in der Folge der Generationen fortgesetzt sich gestaltet haben - dieselbe Methode der Behandlung anzuwenden wie auf die Natur-Wissenschaften, also wie auf die physischen Verhältnisse im engeren Sinne. Aber man findet dabei den beschränkenden Satz ausgesprochen: „jedes wissenschaftliche Denken kann sein nur ein mathematisch-physikalisches". Und daher findet man auch Beispiele von Versuchen, die Geschichte der Völker zu behandeln nach mechanischen Grundsätzen, wie nothwendige oder doch unfreiwillige Natur-Ereignisse (H. Th. Buckle) und so auch die socialen Bewegungen dem [73/74] Scepter der Mathematik zu unterwerfen*), als „sociale Physik", ja das Denken selbst als einen mechanischen Vorgang zu denken. Als Erfolg solchen missverstandenen Verfahrens zeigt sich, dass man zwar grössere Genauigkeit in der Behandlung erreicht, aber auch eine Beschränkung auf Theile, nämlich auf diejenigen, welche allein für solche Behandlung geeignet sind. Sicher empfiehlt es sich, den Geistes-Wissenschaften von der inductiven Methode der Naturwissenschaften, und sogar auch von der strengen mathematischen, der s. g. „exacten Wissenschaften" zu gute kommen zu lassen, aber mit Unterscheidung; die Gegenstände beider so weit sie im Wesen von einander verschieden sind, müssen so weit auch getrennt gehalten werden. Wer dies so zuvor nicht scharf und klar trennt, kann nicht exact genannt werden. Wenn die Natur-Philosophien Spinoza's, Schelling's und Hegel's zu nennen waren ein Identificiren der ganzen objectiven Natur mit dem Subject, so kann man die für uns gültige Auffassung nennen „ein Identificiren des Subjects nur mit dem objektiven Geiste in der Natur". Nie darf man verkennen, und es bewährt sich auch immer, dass der Menschen-Geist in

*) Mit anderen Worten heisst dies, den quantitativen Bestimmungen die Herrschaft zu übergeben. Freilich lehrt die Geschichte aller Wissenschaften, welcher grosse Gewinn diesen entstanden ist durch die Anwendung jener Bestimmungen; aber zur vollen Wahrung der richtigen Anwendung der geistigen Mittel dient noch ein anderer Ausspruch: „der Maasstab darf nicht zum Scepter werden, wohl aber muss ihm ein unbedingtes Veto zuerkannt werden".[74/75]

seinen Werken, trotz seiner engen Verbindung mit seinem physischen Substrate, zunächst mit dem Nerven-Apparate, und dann auch, trotz seiner Vereinigung mit seiner instinktiven Zugabe, doch ausgezeichnet und charakterisirt ist durch eine gewisse Selbständigkeit, durch grössere oder geringere Entfaltung seiner Fähigkeiten, und durch Aenderungen seines Fürwahrhaltens, als wesentliche Eigenschaft, woraus sich eine sehr complicirte, unbestimmbare Veränderlichkeit ergiebt*). Aus diesem Grunde, wozu noch kommt das unberechenbare Auftreten von Genies**), und grosser natürlicher Ereig-

*) Wenn man als Gegen-Zeugnisse auf gewisse gleichbleibend sich wiederholende Zahlen-Verhältnisse in der socialen Physik verweist, so ist auch zu bemerken, dass diese doch betreffen weit weniger den eigentlich psychischen als den physischen und instinktiven Theil des Volkslebens. Ein Beispiel geben die Sprachen; das unaufhaltsam Veränderliche in diesen beweist deren psychischen Ursprung, während doch die physischen Sprach-Werkzeuge an der Aenderung nicht Theil nehmen im Laufe der Generationen. - In besonderer Weise giebt Zeugniss für die bestrittene Willens-Freiheit des Menschen-Geistes auch die unbestreitbare Existenz des Gewissens, welches doch sicherlich nicht bestehen könnte ohne Bewusstsein und Wirklichkeit jener Freiheit.
**) Die Statistiker werden freilich geneigt sein anzunehmen, dass auch die Genies in einer gewissen mittleren Zahl vorkommen. Indessen die Geschichte spricht nicht dafür, im Gegentheil entschieden dagegen, und der Nachweis dafür ist gar nicht zu liefern. Auch das Genie kommt auf die Welt leer, allein mit seinen excessiven psychischen Fähig-[75/76]

nisse, ist die Geschichte des Menschen-Geschlechts so

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 75]keiten begabt. Es bedarf dann zu seiner Entfaltung auch günstiger Umstände, vor allem aber muss es schon vorfinden für seinen durch Erfahrung zu erwerbenden Inhalt ein gewisses reiches Denk-Material, welches, allmälig vorbereitet von den vorhergegangenen Generationen, wenn auch unerkannt, schon vorhanden sein muss; und ausserdem bedarf ein Genie der Anerkennung. Das Genie ist insofern zu vergleichen mit dem Entdecker eines Goldlagers, das nur während einer langen Vergangenheit unter der Oberfläche sich ansammeln konnte, obgleich jenes freilich bei seinem Werke mehr thut als das Verborgene nur zufällig zu finden und an den Tag zu ziehen, sondern dann auch immer eine aufbauende, Anderen unerreichbare, gleichsam creative, Wirkung ausübt. Es ist nicht zu erwarten, dass die Genies jemals der Statistik eine Regelmässigkeit in ihrem Auftreten darbieten werden. Die grösste Anhäufung von Genies, räumliche wie zeitliche, welche überhaupt in der Geschichte bekannt ist, glänzte in dem kleinen Athen, im Zeitalter des Perikles, gleichsam wie ein Sternhaufen am Firmament. Sie fanden aber wirklich beide begünstigende Bedingungen vorbereitet vor, zu bearbeitenden reichen Inhalt oder das Material, und die Anerkennung. Dagegen finden sich in der Geschichte andere Völker und Zeiten, welche völlig leer sind an Genies, gleichsam wie die sternleeren Räume, s. g. Kohlensäcke am südlichen Himmelsgewölbe. Ob hier nun fehlten und fehlen die excessiven psychischen Fähigkeiten selbst, oder aber ob diese immer vorhanden sind, und nur fehlend waren und sind die sie begünstigenden Umstände, das ist eben noch eine Frage; aber bis jetzt ist man genöthigt anzunehmen, dass es vor allem die excessiven psychischen Fähigkeiten selbst sind, welche zu fehlen pflegen und dass diese in nicht näher zu erklärender völliger Unregelmässigkeit an Menge, Art und Zeit auftreten. [76/77]

mannichfach verschieden in den Völkern und Staaten, räumlich und zeitlich immer eine andere, und ist was deren Gang betrifft eine Gesetzlichkeit nur im Allgemeinen innerhalb sehr weiter Grenzen aufzufinden, ist sie scheinbar regellos, obgleich in den Schwankungen des Wissens und Meinens doch eine gewisse geschichtliche Logik sich ausspricht. Diejenigen, welche der Geschichts-Kunde wegen deren scheinbarer Regellosigkeit absprechen, eine Wissenschaft zu sein, können nicht zugleich den freien Willen des Menschen leugnen, also ihm mechanische Nothwendigkeit zuschreiben, wie es doch vorkommt. Dagegen die Thiere haben keine Geschichte, weil sie kein freies selbständiges, an Inhalt gewinnendes oder aber verlierendes und so sich änderndes, Denken haben, sondern nur ein automatisches; deren Intellekt oder Instinkt, kann man sagen, hat unwandelbaren Inhalt, hat ja Existenz nur für deren nächstes Wohl, für die Erhaltung der Individuen und der Art. Daher ist es auch nur dem Mensehengeschlechte möglich, geschichtlich und gemeinsam Irrthümer zu begehen. Die Irrthümer des menschlichen Denkens, d. h. die im gemeinsamen Wissen und Meinen begangenen, geschichtlich und übersichtlich zu betrachten, wäre sicher eine würdige Aufgabe. Leider pflegt das Verhältniss des fehlerfreien Wissens zu dem fehlerhaften Wissen lange Zeit ein ungünstiges für das erstere zu sein, und hat dieses bekanntlich mit grossen und mannichfachen Schwierigkeiten zu kämpfen. Aber an der Befähigung des Geistes des Menschen-Geschlechts, diese zu überwinden, ist nicht zu zweifeln, und die Grenzen dafür sind nicht [77/78] zu ersehen. In der Psychologie besteht fortwährend das sehr grosse Bedürfniss einer allgemeinen Theorie der Irrthümer*).

*) Von unserem gewonnenen Standpunkte aus können wir in dieser Hinsicht wenigstens nicht annehmen, dass die Irrthümer entstehen weil unsere Erkenntniss-Mittel an sich unrichtige seien, sowohl was betrifft die Sinne, wie auch die geistigen Fähigkeiten selbst, was doch die Skeptiker meinen (und auch Kant, indem er annimmt, unsere Erkenntniss sei Wechselwirkung objectiver Einwirkung und subjectiver Zugabe, aber letztere sei der Art dass die resultirende Erscheinungs-Welt kein adäquates Bild der wirklichen Dinge sei, keine allgemeine Gültigkeit habe). Sondern wir meinen zwar auch, um gelegentlich hier unsere Ansicht kurz zusammenfassend zu wiederholen, der Menschen-Geist erhalte seinen Inhalt, seine Kenntnisse, sein Denk-Material, erst aus der Erfahrung, mittels der Sinne und mittels seiner dabei mitwirkenden rein geistigen Erkenntniss, und beide Mittel können freilich täuschen in einzelnen Fällen, aber diese Täuschungen seien zu erkennen und zu berichtigen. Ein grosser Theil unserer Irrthümer entsteht weil und wo unsere Erkenntniss-Mittel unzureichend sind (ein grosser Unterschied von unrichtig), dann weil diese unvollkommen angewendet werden, und dann weil die Summe der zum vollständigen Urtheile über grosse allgemeine Fragen nöthigen Kenntnisse nur erst allmälig in den sich folgenden Generationen der Menschheit gewonnen werden können. Dass nun in solcher Weise in den Aenderungen des Wissens ein Fortschritt für die Menschheit besteht, ist schon in der kurzen Zeitspanne der Geschichte unzweifelhaft zu erkennen, und von der Philosophie der Geschichte (s. auch § 7) anzuerkennen; wenn man will besteht so eine „Erziehung des Menschen-Geschlechts". Was sich aber dabei nicht mit Fortschreiten ändert, [78/79]

In solchem Sinne verstehen wir eben den Aus-

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 78] sind die natürlichen Fähigkeiten des Menschen-Geistes (worin auch inbegriffen ist dessen instinctive Zugabe), diese wiederholen sich im Laufe der Zeit ohne Progression. - Die philosophische Ansicht vom Werthe der Welt-Ordnung, oder sagen wir vom Menschen-Leben auf der Erde, welche Ansicht bekanntlich sich trennt in zwei einander entgegengesetzte Beurtheilungen, in den Optimismus und in den Pessimismus, kann darüber keine bestimmte objective Entscheidung abgeben, denn es fehlt hier ja zur Bestimmung des Werthes die dazu immer nöthige Vergleichung, in diesem Falle mit einer anderen Welt. Aber mit den vergangenen Zeiten lässt sich die Gegenwart wohl vergleichen. Will die Philosophie der Geschichte über die Frage entscheiden, ob die Menschheit im Verlaufe ihrer Geschichte sich gebessert habe, und ferner sich bessere, so kann sich dies zunächst beziehen auf die ethischen Zustände, mit welchen dann auch die Zustände des Lebens in dem besonderen Sinne des Wohlseins oder des Glücks, bis zu gewissem Grade Schritt halten. Aus einer wenigstens im grossen europäischen Cultur-Gebiete angestellten Vergleichung jener Zustände ergiebt sich unverkennbar, dass trotz manchen Rückschritten stellenweise, zeitweise und auch allgemein, dennoch im Ganzen eine grosse Verbesserung stattgefunden hat und noch ferner, vorzugsweise aber eben in der Gegenwart, sich fortsetzt. Rohere Zeiten sehen wir hinter uns liegen. Es gründet sich die Verbesserung auf der Zunahme des Wissens, und man kann sagen, mit dieser Zunahme hat im Allgemeinen der Instinkt an Herrschaft verloren, dagegen die Vernunft an Herrschaft gewonnen. Im praktischen Leben muss man immer unterscheiden diejenigen Dinge, welche sich nicht ändern lassen, und diejenigen, welche sich ändern lassen; dies gilt nicht nur für das Leben des Einzelnen, sondern auch der Menschheit. Die ersteren muss man über sich er-[79/80]

druck „exacte Natur-Philosophie"; ihr liegt unsere

gehen lassen, in Ergebung. Aber in den letzteren, in den Dingen, welche sich ändern lassen, kann und muss der Mensch sich thätig verhalten. Nachdem er in solchem Unternehmen seine vorhandenen inneren Mittel, und zwar sowohl die verliehenen wie die erworbenen, richtig abgeschätzt hat, muss er über den Werth der Dinge auch in der äusseren Welt ein richtiges Urtheil zu gewinnen suchen. Der innere Besitz freilich ist unstreitig der werthvollere, und dem alten Rathe ist beizustimmen, vor allem diesen inneren Besitz zu vermehren; „das Glück, so sagte ein Weltweiser, ist nicht leicht zu erlangen, es ist schwer in uns zu finden, aber es anderswo zu finden ist unmöglich", d. h. das äussere Glück bedarf immer auch der inneren Zustimmung als Bedingung. Was aber betrifft die richtige Abschätzung des Werthes der äusseren Dinge, so kann nicht zweifelhaft sein, dass die Lehre davon vor allen die wichtigste ist unter den Lehren der einfachen praktischen Lebens-Weisheit. (Und, gelegentlich gesagt, diese Lehre wird dennoch sehr vernachlässigt, namentlich zeigt auf befremdende Weise auch die in das Leben tretende, sonst wohl ausgebildete, Jugend meist sehr mangelhafte Ausrüstung in dieser Hinsicht). Die Summe der Lebens-Weisheit und zugleich eines grossen Theile der positiven Ethik (im Gegensatz zur negirenden) lässt vielleicht zusammengefasst sich aussprechen in dem kurzen Satze: „die Menschen müssen sich unter einander gegenseitig das Leben leichter machen". Auch dies gilt nicht nur für das Privat-Leben, sondern auch für das öffentliche Leben, und die Philosophie der Geschichte kann es sogar anerkennen als eine geeignete Lehre für den Fortschritt in der Geschichte der Menschheit. - Freilich jener Satz kann fürerst nur eine ideale Geltung haben; in der Wirklichkeit muss der praktisch gebildete Philosoph anerkennen und immer gewärtig sein, dass sowohl im Privat-Leben wie im Staats-Leben dem unfehlbar [80/81]

Weltanschauung zu Grunde, von der Identität des subjectiven und des objectiven Denkens, der Art nach; das Denken gehört zur Natur in deren kosmologischen Ganzen, aber es ist darin wesentlich verschieden vom eigentlichen Physischen (was namentlich auch die s. g. „positive Philosophie" verkennt). Daher ist es uns nicht möglich, im Sinne des monistischen Materialismus,

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 80] vorkommenden Andrängen und Durchbrechen der instinktiven Selbstsucht der Menschen nicht allein mittels der Vernunft sondern auch mittels des Widerstandes Schranken anzuweisen sein werden. Es besteht ja wirklich in den socialen Verhältnissen, mehr oder weniger verborgen, ein unablässiger Kampf der materielen Interessen unter einander, und es wird manchmal Pflicht der Vernunft, daran Theil zunehmen zur Vertheidigung des Rechts. Indessen dabei muss nicht verkannt werden, dass auch dieser Kampf zum grossen Theile ist ein Kampf um die ebenfalls bestehende gegenseitige Hülfsleistung, also doch vorgeht innerhalb einer allgemeinen Solidarität. In Beziehung auf den Staat ist gewiss räthlich, in jenem ewigen socialen Kampfe der materielen Interessen (welcher übrigens eben in jetziger Zeit die tellurische Verbreitung der Völker befördert) vor allem festzuhalten, nachdem der Gerechtigkeit und der Weisheit Genüge geleistet ist, am Erbrechte; denn schliesslich bildet doch die Bestimmung durch die Geburt immer die festeste, weil durch die Natur gesetzte, Schranke, auf welche die sonst unaufhaltsamen Wünsche und Klagen der Einzelnen verwiesen werden. - Bleibend zufrieden sind bekanntlich die einzelnen Menschen niemals. Aber die Philosophie der Geschichte, von welcher wir hier jetzt sprechen, hat wohl zu beachten, dass auch die Menschheit bleibend zufrieden gar nicht werden darf und kann. Denn das Wünschen ist zu vergleichen mit [81/82]

das Denken erklären zu wollen durch Schwingungen der Hirnfasern des Menschen*), auch nicht, es zu den-

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 81] dem Hunger, welcher ja nach der Befriedigung immer bald neu wieder sich einstellt, und die Unzufriedenheit bildet das allgemeinste Motiv des Strebens und Handelns, und zwar nicht nur des schlechten, selbstsüchtigen, sondern auch des guten, selbstlosen und edelen. Dies Motiv würde also mit dem Eintreten allgemeiner Zufriedenheit erlöschen, ein Stillstand eintreten, gleichsam wie in den Elementen der Luft und des Wassers bei dem Zustande völligen Gleichgewichts, und ein solcher Quietismus der Seelen würde auch vom nützlichsten Wirken nachtheilig empfunden werden. In solcher Auffassung kann man demnach sagen, die unter den Menschen fortwährend sich erhaltende Unzufriedenheit sei eine Nothwendigkeit, gehöre zur allgemeinen Teleologie, und sei daher anzuerkennen nicht nur vom Pessimismus, sondern auch vom Optimismus, wobei man dann freilich nicht versäumen darf, die extremen Unterschiede fest zu halten, sowohl der Gründe welche bestehenden Unzufriedenheiten unterliegen, wie auch der Dinge, welche Wünsche veranlassen.
*) Der Materialismus wird klarer verstanden wenn man ihn unterscheidet nach seinen verschiedenen Gebieten (und es ist wohl keine unrichtige Bemerkung, dass diese Unterscheidung sehr gewöhnlich versäumt wird); so erhält man. 1) den psychologischen Materialismus, (Gegensatz davon ist der Spiritualismus[)], 2) den naturwissenschaftlichen und kosmologischen (Gegensatz ist die Teleologie), 3) den biologischen oder physiologischen (Gegensatz ist der Vitalismus und Teleologie), 4) den ethischen und des praktischen Lebens (Gegensätze, Sensualismus oder aber Idealität), 5) den religio[!]sen (Gegensatz ist der Theismus), 6) in der Kunst (Gegensätze, Naturalismus oder aber Idealität). Selten ist ein Materialist ein solcher auf allen jenen Gebieten. [82/83]

ken als allmälig entstanden und fortgesetzt sich steigernd mittels Vererbung mit Auswahl des Fähigsten (das ist die Selections-Theorie angewendet auch auf die Geschichte), auch nicht als erheblich verschieden, was die natürlichen Fähigkeiten des Geistes betrifft, weder in den verschiedenen vergangenen Zeiten, noch gleichzeitig in den verschiedenen Völkern und Stämmen, obgleich der vorhandene, aber immer nur äussere, Bestand an Cultur bei Völkern wie bei Individuen so grosse Schwankungen erfahren und so grosse Unterschiede erreichen kann.

§ 12.



Voraussichtlich kann für die ganze Philosophie die hier besprochene Vervollständigung ihrer natürlichen Unterlage nicht wohl ohne Einwirkung bleiben, zunächst für die Psychologie, und dann auch für alle Geistes-Wissenschaften überhaupt. Aber jene weitere Einwirkung schon jetzt übersehen oder gar näher bestimmen und weiter verfolgen zu wollen, ist nicht wohl thunlich. Hier ist die Rede gewesen nur von der allgemeinen Stellung des Geistes im grossen Ganzen der Natur, im Universum (aus[s]er den kurzen psychologischen Andeutungen in § 6, 7 und 8), als der Grundlage jeder Philosophie. Wenn die Philosophie bisher ihren Ausgangspunkt besass im subjectiven Denken, was nicht zweifelhaft sein kann, ausging vom Geiste des Menschen, und davon gelangte auch zum Geiste im Universum, dem s. g. absoluten Geiste, so [83/84] würde sie nun, umgekehrt, ihren Ausgangspunkt zu nehmen haben im objectiven Geiste im Universum, und davon ausgehend gelangen zum subjectiven Geiste im Menschen, diesen erkennend als identisch mit jenem; und sie würde ihn so auch richtiger beurtheilen, weder zu hoch noch zu niedrig, was sich erstrecken muss auch auf die Beurtheilung von dessen Wirken, wie dies im Wissen und im Handeln geschichtlich sich ausgesprochen hat und ferner sich aussprechen wird.
Wir haben schon früher nicht verhehlt, das hier Vorgetragene könne anfangs befremdend erscheinen. Indessen wird hoffentlich von Unbefangenen zugestanden werden, dass darin, durchaus wie es einer Erfahrungs-Wissenschaft und der naturwissenschaftlichen Untersuchung zukommt, niemals der feste Grund der realen objectiven Thatsachen und der dazu gehörenden strengen, inductiven, Methode verlassen worden ist, wenn auch das Joch der ausschliesslich mechanischen Erklärung, und der ungehörigen Beschränkung auf die exacte Methode im zu engen Sinne, nicht aufgenommen worden ist, wie auch die berechtigte Deduction nicht abgewiesen ist; ferner dass darin auch nicht dargeboten sind reine Abstractionen, blosse, leere Begriffe (während jedoch bei allen realen Verhältnissen die richtige Begriffsbestimmung, ohne Spitzfindigkeiten, sehr hoch geschätzt wird), oder, Phantasien, noch auch mystische oder gar übernatürliche Gefühls-Vorstellungen; und endlich dass die nothwendige Harmonie der Argumente in dem dargelegten natur-philosophischen Bekenntnisse, und damit der einzelnen Theile im Ganzen unserer Weltanschauung, nicht fehlt. [84/85]


N o t e n.



Note 1 (zu § 2). Es scheint wohl werth, in einem besonders hervortretenden Beispiele den Beweis zu geben, dass der erwähnte unrichtige Begriff von Teleologie, die „Pseudo-Teleologie", welche man auch nennen könnte die egoistische Teleologie, wirklich noch ziemlich allgemein gültig ist, wodurch nothwendiger Weise Missverständniss unterhalten werden und die Erkenntniss der Wahrheit verhindert werden muss. Sogar in der Vorrede zu des Aug. Comte „Philosophie positive", 3édit. 1864, p. XXIII, - welches Werk zahlreiche Anhänger besitzt in Frankreich und vielleicht noch mehr in England*), und bezeichnender genannt würde „Philosophie des Sciences", indem es die in Frankreich vorzugsweise so genannten „exacten Wissenschaften" anerkannt sehr geist- und kenntnissreich betrachtet, in der Stufenfolge von den einfachsten zu den complicirtesten, nämlich die Mathematik, Astronomie, Physik, Chemie, dann aber auch

*) Man muss hinzufügen: mit seltsamer Ueberschätzung. Die Geistes-Wissenschaften werden darin gleichbehandelt wie die Naturwissenschaften; dies ist der Haupt-Charakter des Werks. Das Erkennen des Menschen wird geschichtlich unterschieden in ein theologisches, metaphysisches und positives, aber nur als in der Zeit so sich folgend, und indem nur das letztere für das richtige angesehen wird. [85/86]

die Biologie (wo der Verfasser sich zur Phrenologie bekennt, wie er denn das Denken betrachtet nur als Function des Hirns) und in gleicher Weise auch die Sociologie als „Physique sociale", d. i. nach exacter, oder positiver, Methode zu behandeln empfiehlt, mit der Meinung, Alles was nicht der experimentalen Beweisführung fähig sei, müsse streng von der Wissenschaft ausgeschlossen werden -, wird gesagt von E. Littré: „Eines der Beispiele, welches vorzugsweise beliebt ist zum Beweise der Zweckmässigkeit (finalité) ist das Auge; . . . hier hat eine intelligente Ursache einen Plan, einen Zweck, gehabt. Zugestanden; aber es kommt darauf an zu untersuchen, wie diese Annahme sich bewährt in Hinsicht auf andere Verhältnisse. Dieser Hund, der dir die Hand leckt, hat in seinem Speichel einen tödtlichen Stoff, und diese bei ihm erst neu entstandene Eigenschaft beseelt ihn mit dem unheilvollen Verlangen, zu beissen. Was soll man sagen zu dieser eigenthümlichen Zweckmässigkeit? und wie lässt sich die Zweckmässigkeit welche in diesem Falle herrscht vereinigen mit der im Falle des Auges herrschenden?" - In der That hier tritt besonders deutlich hervor der unklare und unrichtige Begriff von Teleologie. Also gesetzt, das Beissen des wuthvollen Hundes gehöre zu den Dingen in der Natur, wodurch den Menschen, oder Thieren, ein Nutzen erwiesen wird (wie z. B. durch die Kuh mittels ihrer Kuhpocke geschieht), dann würde der Verfasser jener Vorrede auch in diesem Beispiele die Finalität anerkennen; wie wenn es sich um Allgüte in der Natur handelte. Dass Menschen, Thiere und [86/87] Pflanzen sich unter einander nicht nur Nutzen bringen, sondern auch, sei es als Völker, sei es als Individuen, Schaden zufügen und dass die Natur ihre Geschöpfe nicht nur erhält, sondern auch wieder zerstört, ist bekannt genug; aber darum handelt es sich gar nicht bei unserer Frage. Um die in der Natur bestehenden Proportion und Ordnung und davon, dass daraus hervorgeht ein Beweis für ein in der Natur bestehendes Denken, darum handelt es sich bei der Teleologie. In beiden von Littré angeführten Beispielen findet sich Gesetzliches ausgesprochen; sie sind von einander verschieden nur darin, dass das erste Beispiel, das Auge, angehört den erhaltenden Zwecken, das zweite dagegen, die Hundswuth, den zerstörenden Zwecken. Offenbar liegt hier vor zugleich ein Beweis, dass „exacte Natur-Philosophie" einschliessen muss Exactheit nicht nur in den Thatsachen sondern auch in den Begriffen*). - In

*) Auch jene andere, uralte, Leugnung der Zwecke in der Natur (seit Demokritos, Epikuros, Lucretius u. A. bis zu Spinoza, Diderot, Holbach und zu den Materialisten der neusten Zeit) mit der Argumentation: da Alles in der Natur gesetzmässig ist, sei demzufolge auch Alles was geschieht nothwendig und nichts zufällig, und seien Ordnung oder aber Unordnung, auch gut oder aber böse, Recht oder aber Unrecht, gesund oder aber krank (man könnte auch hinzufügen: wahr oder aber unwahr, richtig oder aber unrichtige Zahlen) nur relative Begriffe, hervorgehend nur aus der besonderen Vorstellungs-Weise des menschlichen Denkens, - hat doch einzugestehen, dass, nach richtigem Begriffe, mit der Anerkennung eines Gesetzmässigen zugleich schon anerkannt ist ein Zweck, eine immer nur als Wirkung des Denkens zu [87/88]

demselben angeführten Werke (Vol. II. p. 25) findet sich folgender, dem Verfasser, A. Comte, selber angehörender, das Werk charakterisirender Ausspruch: „keine Wissenschaft hat der Lehre von der Finalität ärgere Schläge versetzt als die Astronomie. Heutigen Tages wissen die mit der wahren astronomischen Philosophie vertrauten Geister, dass die Himmel keine andere Ehre erzählen als die von Hipparchos, Kepler, Newton, und aller derjenigen welche beigetragen haben, deren Gesetze festzustellen (établir)". Charakterisirend ist jener Ausspruch um so mehr, da überhaupt in der „positiven Philosophie" der Verfasser die Gottheit verlegt und annimmt als bestehend in der Menschheit.
Note 2 (zu § 3). In Betreff des, nach Bessel, zum Beweise der Teleologie angeführten astronomischen Beispiels, enthalten im Verhalten des Mondes bei seinem Umlaufe um die Erde, muss es rathsam erscheinen, hier einer etwaigen Einwendung zu-

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 87] Stande kommende Proportionalität, eine Teleologie. Auch hat sie nun einzugestehen, dass das menschliche Denken wenigstens an sich kein besonderes ist, sondern identischer Art ist mit dem allgemeinen im grossen Ganzen der Natur, im Weltall, sich äussernden Denken, dieselben logischen Gesetze anerkennend (obgleich dagegen vielfach fehlend), und endlich dass wie in jeder Maschine eine Störung ihrer Proportionalität nicht etwa eine nur relative und ideale ist, sondern eine absolute reale Existenz haben kann, so auch in der Ordnung des Weltalls. In diesem aber ist zu unterscheiden von dem eigentlich Physischen das Gedachte oder das Denken, und damit auch der Menschen Geist, mit seiner Freiheit und Selbständigkeit. [88/89]

vorzukommen, welche vorgebracht werden könnte von denjenigen welche der hier und da geäusserten Vermuthung beistimmen, dereinst könne eine eigene Axendrehung des Mondes bestanden haben, diese könne aber allmälig zum Stillstande gebracht sein infolge der ihr entgegenwirkenden Fluth-Bewegung des Meeres (mit dem Hinzufügen, dasselbe könne dereinst auch der Erdkugel begegnen). Hierauf muss erinnert werden, dass die ganze Gestalt des Mondes dagegen spricht, es habe überhaupt jemals eine Rotation bei ihm bestanden, ausser der mit Revolution um seinen Planeten verbundenen; dagegen spricht nicht nur die einigermaassen conische Gestalt des Mondes, indem, wie oben schon angegeben ist, dessen der Erde bleibend zugewandte Seite beträchtlich schwerer ist als die abgewandte, sondern auch das Fehlen jener Abplattung an den Polen. Ausserdem ist ein Ocean auf ihm ja gar nicht vorhanden, und wahrscheinlich auch niemals gewesen. Und endlich ist es sehr fraglich, ob überhaupt, auch auf der Erdkugel, die oceanische Fluthbewegung - deren infinitesimal geringe Gegenwirkung vollständig zu berechnen, früher ohne nähere Kenntniss der Meeres-Tiefe und der Meeres-Strömungen, nicht möglich war, und noch von Niemand ausgeführt ist - die ihr zugemuthete hemmende Wirkung auf die Axen-Rotation wirklich ausübt. Dabei wäre das System der Meeres-Strömungen wohl zu beachten, in welchem wahrscheinlich für jede Strömung eine Compensation besteht in einer Rückströmung, so dass den westlichen entsprechen gleich viele östliche, welche bei der Berech-[89/90]nung nicht ausser Acht zu lassen wären (wie denn selbst bei den Gezeiten die Ebbe compensirt die Wirkung der Fluth). Auch hat schon bei der Fluth allein Airy, gegen Delaunay, gefunden, dass die verschiedenen Frictionen sich aufheben, und deren Gesammt-Wirkung auf die Erdrotation gleich Null sei.
Note 3 (zu § 3). Es ist zu erwarten, dass ausser dem vom Erd-Monde hergenommenen, von Bessel erkannten und gedeuteten, Zeugnisse für die Teleologie, in der Sternen-Welt noch unzählich viele andere in gleichem Sinne mehr oder weniger anschauliche Zeugnisse vorhanden sind, welche für eine in der Anordnung der Weltkörper bestehende Proportionalität sich aussprechen, zum Beweise dass „nicht der blosse Zufall" bei deren Zustandekommen waltete, sondern dass dabei gedacht worden ist. Wären nicht noch andere Zeugnisse vorhanden, dann würde jenes einzelne Beispiel kaum Werth behalten, im Gegentheil es würde dann um den astronomischen Beweis überhaupt doch misslich aussehen. Zu erinnern, dass solcher Erwartung in der Wirklichkeit reichlich entsprochen wird, muss daher noch räthlich erscheinen, und dass es wahrlich daran nicht fehlt, mag hier noch angedeutet werden.
Bleiben wir zunächst bei den Monden. Nicht vom Erd-Monde allein gilt das besprochene, von dem der Planeten so verschiedene, Verhalten. Man kann sogar aussagen, noch bei keinem der 20 Monde welche sich in unserem Planeten-Systeme befinden (sie vertheilen sich folgendermaassen: Erde 1, Mars 2, Ju-[90/91]piter 4, Saturn 8, Uranus 4, Neptun 1) sei ein anderes erkannt worden; nämlich alle vollführen ihren Umlauf um ihren Planeten, indem sie diesem immer dieselbe Seite zukehren, also gemeinsam einem besonderen Gesetze folgend, was schon P. Laplace für wahrscheinlich hielt (1808). In dieser Beziehung findet sich von den Monden des Jupiter bestätigend gesagt von John Herschel (s. Astronomy, 1839, § 467): „Durch emsige Beobachtungen ist sicher gestellt, dass die (4) Jupiters-Monde deutliche Fluctuationen ihres Lichtglanzes besitzen, und zwar dass diese periodisch sich ereignen, entsprechend ihrer Stellung zur Sonne. Daraus ist geschlossen, und wie es scheint mit Grund, dass sie, wie unser Mond, nur eine derartige Rotation haben, deren Periode zusammenfällt mit ihren respectiven Stern-Revolutionen um den Planeten". - Ferner bestätigt wurde diese Meinung in jüngster Zeit wieder für den 4ten Jupiter-Mond*), durch Cam. Flammarion (s. Compt. rend. Ac. Sc. Paris 1875, Aug. 2). - Vornehmlich aber findet sich der hier in Rede stehende Beweis für die Teleologie dargeboten im Systeme der 8 Monde des so eigenartigen Planeten Saturn, in den folgenden Proportionen (auch diese sind in neuster Zeit bestätigt

*) Wenn in diesem Verhalten etwa einer der Monde eine Ausnahme zeigte, würde die angegebene Beweiskraft für das Gedachte in der Anordnung der Weltkörper nicht im mindesten schwächer, im Gegentheil eher stärker. Ein neuer Beobachter (Secchi) meint schliessen zu dürfen, dass der dritte Jupiters-Mond eine eigene Rotation habe, zu deren Erkennung ein wahrgenommener Flecken das Mittel gewährte. [91/92]

worden): von dessen 8 Monden wird der 1ste in seiner Umlaufszeit übertroffen vom 3ten gerade um das doppelte, und der 2te vom 4ten gleichfalls um das doppelte, und zwar mit einer Genauigkeit, die sich erstreckt bis auf l/800 der Periode. Nun aber widerspricht eben diese Proportionalität dem sonst im ganzen übrigen Planeten-Systeme anzutreffenden Verhalten durchaus, und ist sehr überraschend exceptionel. Denn sonst gilt im Gegentheil unter den Bürgschaften, welche man für den dauernden Bestand unseres Planeten-Systems aufführt, dass die Umlaufs-Zeiten von zwei Planeten niemals in einem (im mathematischen Sinne) so genannten rationalen Verhältniss stehen und stehen dürfen, d. h. niemals Vielfache von einander sein dürfen; weil die Folge einer solchen Proportion sein würde, dass die Stellungen der Planeten zu einander in regelmässigen Perioden wiederkehren würden, und in fernerer Folge hiervon, dass die Störungen welche sie auf einander ausüben nicht sich aufheben, oder doch schwächen, würden, sondern im Gegentheil sich verdoppeln müssten. So unbedeutend jede einzelne Störung wäre, sie würde doch im Laufe der Jahrhunderte durch Anhäufungen eine so ungeheure Grösse erreichen, dass sie das ganze System mit Umsturz bedrohen würden. Wo sich sogar nur eine Annäherung an jenes angegebene verderbliche Verhältniss zeigt, z. B. zwischen Jupiter und Saturn, da treten auch wirklich bedeutende Störungs-Anhäufungen ein, welche erst in langen Perioden ihre Ausgleichung finden. Hier aber nun, im Monden-Systeme des Saturn, [92/93] scheint eben jenes gefährliche Verhältniss Geltung zu haben; daher ist begreiflich dass die gegenseitigen Störungen seiner Monde wirklich bisweilen bis zu Schrecken erregenden Graden sich steigern müssen. Und dennoch ist vielleicht eben in diesen exceptionel und einzig dastehenden Proportionen eine jener Bedingungen enthalten, mittels welcher das schwankende Gebäude des so eigenthümlichen Ringes, oder der Ringe (welche wie der Hauptkörper an Dichte nicht die des Wassers erreichen, und mit jenem auch in der Rotations-Zeit, wie es scheint, übereinstimmen, etwas über 10 Stunden, jedoch, entsprechend der richtigen Mechanik, nicht völlig mit ihm concentrisch sind) erhalten wird. Demnach finden wir in der so ungewöhnlichen Welt des Saturn auch eine angemessene ungewöhnliche Anordnung, und was anderswo zum Umsturz führen würde sichert hier wahrscheinlich den Bestand. Man kann wohl nicht ablehnen, ganz besonders eben in dieser Exception der Proportionen in der Anordnung der Saturn-Monde abermals mehr als einen blossen Zufall zu erkennen, sondern Beweis, dass dabei gedacht worden ist*).

*) In einer Geschichte der Himmelskunde aus neuster Zeit (von J. H. von Mädler 1873 II. S. 437) findet sich darüber gesagt: „dies ist wohl eben so wenig Zufall wie die schon früher bekannte und theoretisch bearbeitete Proportion der drei inneren Jupiters-Monde". - Bei dieser Gelegenheit mag hier auch inbetreff der Ewigkeit der Proportionalität in den astronomischen Gesetzen folgender Satz angeführt worden (daselbst Bd. I, S. 7): „Die Theorie belehrt uns, dass das side-[93/94]

Sehen wir nun auch nach den Planeten, so lässt sich bei diesen die Einsicht gewinnen, dass es überhaupt eben die s. g. „Störungen" sind, welche die sichersten Zeugnisse enthalten für die Gesetzlichkeit in der Mechanik der Himmelskörper. Z. B. die grössten Störungen im ganzen Planeten-System unserer Sonne gehen aus vom Jupiter, schon deshalb weil dessen Stelle einigermaassen in der Mitte sich befindet - die Entfernung von der Sonne beträgt etwa 107 Millionen Meilen - und dessen Masse die überwiegende ist. Die von ihm bewirkten Störungen würden den Bestand des Ganzen gefährden, wenn ihm nicht als Gegengewicht der Saturn entgegengestellt wäre. Der Saturn, nahe gleich dem Jupiter an Grösse, wie auch an der sehr geringen Dichte, Rotations-Zeit und an der sehr grossen Abplattung, hat im Planeten-Systeme eine so eigenthümliche Stellung, dass er seine Attractions-Kraft niemals mit der des Jupiter vereinigen kann (er ist freilich etwa 90 Millionen Meilen davon entfernt), sondern dass er vielmehr diesem stets mehr oder weniger entgegenwirkt, und so dessen Störungen um fast 19/20 verringert. Uebrigens ist unter allen Störungen der Planeten niemals einbegriffen, sondern bleibt immer sich gleich,

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 93]rische Jahr der Erde bis auf den letzten Secunden-Theil stets dasselbe war und stets dasselbe sein wird - obgleich es noch heute Phantasten giebt, die um jeden Preis das Gegentheil zu erweisen bemüht sind". Es scheint wohl werth, nun die Länge des siderischen Jahres der Erde hier genau anzugeben wie sie im Jahre 1870 galt (S. 178) - 365 Tage, 6 Stunden, 9 Minuten, 10,7496 Secunden.[94/95]

die grosse Axe ihrer Bahn, und damit auch ihre mittlere Entfernung von der Sonne, und damit ferner auch ihre Umlaufszeit, welche in der That völlig ungeändert und unfehlsam dieselbe bleibt, in diesem sich selber regulirenden Uhrwerke. Ueberhaupt sind alle Störungen darin selber periodisch.
Die eben angeführten, besonders anschaulichen, astronomischen Verhältnisse sind freilich an sich nichts Neues; dies versteht sich von selbst; aber es schien nicht überflüssig, sie hier ausdrücklich anzugeben. Auch die bei Gelegenheit des Erd-Mondes von Bessel so entschieden ausgesprochene teleologische Deutung ist nicht allein stehend; im Allgemeinen ist sie in der Mechanik der Himmelskörper seit den ältesten Zeiten von grossen Astronomen anerkannt*). Oben ist schon ein

*) Für das griechische Alterthum ist wenigstens schon der Eleate Xenophanes in solchem Sinne anzuführen, insofern er durch die Betrachtung der Gestirne schon damals zum Mono[no]theismus geführt sein soll. - Indessen konnte nicht wohl vor der richtigen Erkenntniss des Weltgebäudes ein competentes Urtheil über dessen teleologische Anordnung entstehen und abgegeben werden, und so war es erst Nicolas Köpernik, welchem auch dies zufallen konnte und von welchem ein solches auszusprechen auch wirklich nicht verfehlt worden ist. In dessen die Welt-Anschauung umkehrenden Werke: „De revolutionibus orbium coelestium". Norimb. 1543, findet es sich in folgenden Worten der Vorrede: „es begann mich zu kränken, dass den Philosophen nicht sicherer die Vernunft bekannt war, welche in den Bewegungen der grossen Welt-Maschine enthalten ist" ([„]coepit me taedere, quod nulla certior ratio motuum machinae mundi, qui ab optimo et regularissimo omnium opifice conditus esset, philosophis constaret"). [95/96]

Wort von Joh. Kepler hierüber angeführt, was wahrlich denkwürdig ist. - Die Meinung Is. Newton's ist noch immer gültig, welche lautete (s. Phil. natural. princ. mathem. edit. 2, Cantabr. 1713, Scholium gener p. 482): „alle so regelmässigen Bewegungen im Sonnen[-]Systeme verdanken ihren Anfang nicht mechanischen Ursachen, - sie konnten nicht beginnen (oriri) ohne den Beschluss (consilium) eines intelligenten Wesens". (Demnach fehlt wenigstens hier nicht eine Uebereinstimmung mit G. Leibniz)*). - Auch P. Laplace, ob-

*) Auch folgender Ausspruch, der an einer anderen Stelle des selben Werks von Is. Newton sich findet, ist hier der Anführung noch besonders werth: „Die sechs Planeten drehen sich um die Sonne in der Sonne concentrischen Kreisbahnen, mit gemeinsamer Richtung der Bewegung, fast in derselben Ebene. Die Monde drehen sich um Erde, Jupiter und Saturn in concentrischen Kreisen, in derselben Richtung der Bewegung fast in der Ebene der Planeten-Bahnen. Aber die Kometen bewegen sich ganz frei, in sehr excentrischen Bahnen und nach allen Seiten des Himmels hin, von überall her und überall hin; sie gehen mit dieser Art der Bewegung die Bahnen der Planeten hindurch, ganz schnell und leicht, und sind in ihren Aphelien, wo sie langsam sind und länger verweilen, sehr weit von einander entfernt und ziehen sich gegenseitig sehr wenig an. Diese sinnvolle (elegantisima) Anordnung der Sonne, der Planeten (der Monde) und der Kometen . . . zuzuschreiben einem blinden Zufalle ist allerdings unmöglich. Eine so wundervolle Einhelligkeit im Planeten-Systeme - das muss man nothwendiger Weise zugestehen - ist mit Ueberlegung hergestellt worden." (Dem ist dann noch hinzugefügt, was für die noch weiter sich erstreckende Auffassung Newton's von der allgemeinen Teleologie uns hier wichtig ist ["]: „Das [96/97]

gleich diesem missverständlich eine Aeusserung von ganz entgegengesetztem Sinne unterzuschieben sehr üblich ist, sagt (s. Exposition du système du monde, 1818, p. 389), indem er von der genetischen Theorie der Sonnen-Systeme spricht: „man kann wetten viertausend Milliarden gegen eins, dass eine solche Anordnung nicht die Wirkung eines Zufalls ist . . . .; wir müssen also meinen, dass eine primitive Ursache die Bewegungen der Planeten bestimmt hat"; und ferner (pag. 172): „um zu erklären die doppelte Bewegung der Erdkugel, nämlich deren Fortbewegung in der Bahn und die eigene Axendrehung, genügt anzunehmen, dass sie ursprünglich bekommen habe eine Impulsion, deren Richtung in einiger Entfernung von ihrem Mittelpunkte der Gravitation vorüberging"*).
Was die übrige Sternenwelt betrifft, so wird anerkannt, dass auch die s. g. Fixsterne, nachdem in neuster Zeit deren Eigenbewegung, vor allem deutlich bei den Doppel-Sternen, in Erfahrung gebracht ist,

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 96] Gleiche kann man sagen von der Uebereinstimmung, welche in den Körpern der Thiere besteht").
*) In der Anschauung und Ausdrucksweise der neusten Astro-Physik ist dasselbe Urtheil ausgesprochen in folgender Gestalt: „Eine der Grund-Ursachen des Bestandes des Weltalls liegt darin, dass die Energie in einem Punkte desselben mehr concentrirt ist als in anderen Punkten, wofür wir niemals einen anderen Grund auffinden werden als den Willen des Urhebers" (s. P. A. Secchi, L' unità delle forze fisiche, 1876 C. I. c. 7, welchem grossen Forscher auch die wissenschaftliche Unabhängigkeit nicht fehlte). [97/98]

nicht ohne Ordnung und Sinn im Weltraume ausgestreuet sind; sie bilden Systeme und kaum zweifelhaft gehören dazu auch uns nicht sichtbare Planeten in noch grösserer Zahl. Es darf sogar vermuthet werden, dass auch in der physischen Beschaffenheit der Weltkörper Proportionalität besteht, dass diese sich in verschiedenen Stufen der Bildung befinden, und vielleicht in einer Art von Circulation, mit immer neuen Combinationen, begriffen sind, auch was anbetrifft eine Umsetzung der unvergänglichen Stoffe und die molekularen Bewegungen, also auch die Wärme und die Kräfte.
Nun aber stellt sich die Frage ein, wenn die Anerkennung schon so alt ist, dass nicht Zufall sondern Sinn und Ordnung in den Stellungen und Bewegungen der Himmelskörper herrschen, warum dies nicht auch schon seit alten Zeiten dahin geführt hat, darin ein Gedachtes und ein Denken anzuerkennen von gleicher Art, mit denselben logischen Gesetzen, wie das im Menschen wirkende Denken; oder, anders gesagt, warum nicht schon lange der Mensch folgerte, sein eigenes Denken finde sich auch im Weltsysteme und sei wenigstens gleicher Art damit, da logische Gesetze nicht verschieden unter sich sein können; warum also beide so lange getrennt gehalten sind und keine Verbindung in solchem Sinne geschlossen wurde zwischen Himmel und Erde. Unstreitig ist dies nicht geschehen, weder von denen welche mit dem menschlichen Denken näher beschäftigt waren, noch von denen welche sich mit der Sternenwelt näher beschäftigten. - Waren doch die ersteren eifrig bestrebt, vorzugsweise eben den Unter-[98/99]schied des subjectiven Denkens vom Objecte, von der Aussenwelt, festzustellen, und zwar ohne in dieser zu unterscheiden den Geist; und oben sind Beispiele angeführt, dass noch die neusten philosophischen Schulen subjectivistisch die Meinung pflegen, das bischen Denken was der Mensch besitzt, sei das einzige in der Welt, ja die Welt sei, wenn nicht vollständig, doch grossentheils nur eine Form von dessen eigenthümlichem Denken, oder der im Universum zu erkennende Geist komme doch erst im Menschen zur Existenz, zum Bewusstsein (noch nach einigen der neusten Philosophen mittels Schwingungen der Hirnfasern)*). Offenbar war der eigentliche Grund jener bleibenden Trennung ein allgemeiner. Man dachte sich überhaupt die am Himmel so hoch und fern stehende, unabsehliche und unerreichbare, Staunen und Ehrfurcht erregende, Sternenwelt allgemein als unvergleichbar verschieden, also wirklich „himmelweit (toto coelo) verschieden" von den erdischen Verhältnissen, und indem man letztere so entschieden davon getrennt hielt, was die physische Beschaffenheit betrifft, wurde darin auch einbegriffen das eigene Denken und dachte man wenig an das im Weltsysteme bestehende**) - Was

*) Diese Anschauung, oder diesen Standpunkt, kann man wahrlich ptolemäisch nennen, im Gegensatze zur copernicanischen, oben vorgetragenen, wenn man überhaupt diese Analogie gelten lassen und anwenden will, was doch unzweifelhaft richtig ist.
**) Dass die Psychologie wirklich bisher sich beschränkt hat auf die Psyche des Menschen, ohne zuvor eine naturwissenschaftliche Auffassung von deren allgemeiner Beziehung [99/100]

darin die Astronomie betrifft, so hat sie zwar, wie schon gesagt ist, von jeher und wiederholt ihr Zeugniss abgegeben für ein Gedachtes und also für ein Denken in der Sternenwelt, und zunehmend mehr in der neueren Zeit je genauer sie die Verhältnisse darin kennen lernte; aber dabei blieb sie stehen, an die Psyche des Menschen dachte sie dabei nicht.
In solcher Denkweise ist in neuster Zeit wenigstens die Veranlassung zu einer sehr raschen, ja fast plötzlichen Aenderung eingetreten, seitdem die Astronomie, ausser den mechanischen Verhältnissen der Gestirne auch deren physikalische Beschaffenheit zum Gegenstande ihrer Beobachtung und Forschung gemacht hat, die Astro-Physik entstanden ist, und diese die Vermuthung gebracht hat - zunächst aus der Beobachtung der Sonne - von einer Wiederholung der erdischen Natur-Verhältnisse sogar auf den fernsten Gestirnen. Vor allem aber seitdem die chemische Spektral-Analyse (1859) die ubiquitäre Anwesenheit derselben erdischen Elemente in der Sternenwelt, „man kann wohl sagen unerwartet"*), entdeckt und in sichere Erfahrung ge-

[Fortsetzung der Anmerkung von S. 99] zum Weltsysteme zu Grunde zu legen, bedarf nicht weiterer Belege aus der Litteratur. Aehnlich in der Optik liess die älteste Meinung dereinst subjectivisch die Lichtstrahlen ausgehen vom Auge aus nach den gesehenen Objecten hin, z. B. bei Epikuros, Hipparchos, zum Theil auch bei Platon, Eukleides und Ptolemaios; doch nicht bei Aristoteles, dieser erklärte sich gegen Alle welche das Auge als Lichtquelle betrachteten, und war so der Copernicus in der Optik.
*) So heisst es in einer neusten Geschichte der Himmelskunde, 1873. [100/101]

bracht hat, und so eine „Chemie der Gestirne" oder Astro-Chemie entstanden ist, ist eine besondere Veranlassung eingetreten, die Ubiquität noch weiter auszudehnen und zu folgern auch für die logischen Gesetze; man könnte also sagen, und anzuerkennen auch eine „Astro-Logik". Es bedarf dann wirklich nur noch des Versuches, gleichsam nur des Schliessens zweier Ketten, um deutlicher zum Bewusstsein zu bringen, was schon lange vorbereitet nahe lag, dass auch das Denken oder der Geist des Menschen diese Ubiquität theile, oder, anders gesagt, dass das in der Ordnung des Weltensystems schon lange erkannte Gedachte und Denken sich auch finde auf der Erde, dass das Denken des Menschen identischer Art damit sei, wenn auch nur ein sehr schwaches und geringes in Vergleichung mit jenem. Es kann dann nicht wohl fehlen, dass auch die Beweise dafür sehr bald sich einzufinden und einzuleuchten beginnen, und es wird wohl Niemand verkennen, dass diese Conception, nach weiterer Ausbildung und Anwendung, der Philosophie eine Aussicht in die Zukunft gewährt mit Folgerungen von sehr grosser Bedeutung. Einige Versuche, solche Folgerungen zu ziehen, oder wenigstens anzudeuten, sind in dieser concentrirten Schrift schon gewagt worden, und der Verfasser muss der Meinung sein, denn sonst würde er die Veröffentlichung unterlassen haben, dass dies niemals ohne Berechtigung geschehen ist, und daher auch nicht ganz ohne Zustimmung bleiben werde, wenn auch erst in späterer Zeit, wahrscheinlich erst nach Verlauf von Jahrzehnten.

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