Der Verfasser dieser wenig umfangreichen Schrift wünscht
damit nach langjähriger naturwissenschaftlicher und zugleich
philosophischer Beschäftigung gleichsam das Schluss-Ergebniss derselben der
nachsichtigen Aufnahme des Lesers vorzulegen. Sie mag betrachtet werden als ein
wissenschaftliches Glaubens-Bekenntniss, als eine so gewonnene
philosophisch-naturwissenschaftliche Welt-Anschauung; welche hier, gemäss
dem zeitigen Stande des Wissens, kurz und gedrängt sogar nur in
Punctationen und ohne weitere Ausführungen, aber klar, verständlich
und übersichtlich, wie in einem Redeflusse, vorgetragen werden sollte.
Vielleicht wird sie von dem Einen oder dem Anderen auch dienlich gefunden werden
zur Orientirung in der Verworrenheit mancher wichtiger uralter und neuer
Streitfragen.
Wie bei früheren Veröffentlichungen seiner
wissenschaftlichen Untersuchungen hat der Verfasser auch hier als Regel befolgt,
Nachfolger sollten dereinst viel hinzuzufügen, aber wenig oder nichts
hinwegzunehmen, für erforderlich erachten.
Ausdrücklich sei noch erwähnt, dass diese concentrirte
Schrift keine andere Tendenz besitzt als allein die wissenschaftliche (was jeder
unbefangene Kenner schon im Voraus annehmen wird, da ja sonst bei einem jeden
Verfasser der wissenschaftliche Credit sehr leiden muss), dass sie wie eine
gereifte Frucht, zu ihrer Zeit vom Baume [V/VI] gefallen, für diejenigen
welche sie aufheben wollen hier der Kenntnissnahme dargeboten worden ist, und
dass auch nur in solchem Sinne die Kritik der Naturwissenschaft und der
Philosophie für sie erwartet werden kann. Wenn es ihr aber überhaupt
beschieden ist, Zustimmung und Anerkennung für ihren Inhalt zu erfahren,
ist doch zu vermuthen, dass diese nur allmälig und erst in späterer
Zeit eintreten werden; hieran jedoch können und dürfen wir nicht
zweifeln.
Göttingen, im Juli 1877.
Die Bezeichnung zweite Ausgabe" ist hier in dem
besonderen Sinne zu verstehen, dass eine erste Ausgabe nur als Manuscript und
nur in wenigen Exemplaren (100) gedruckt und vertheilt worden war, ohne dem
Buchhandel übergeben zu sein. Dies war geschehen aus Unsicherheit über
die Aufnahme von der Kritik, welche freilich damit nicht vermieden werden konnte
und auch nicht sollte; wie denn auch der Verfasser die Meinung theilt, dass wer
ein Buch veröffentlicht damit einem Jeden das Recht zuerkennt, darüber
sein Urtheil abzugeben, selbst etwaigen systematischen Feinden.
Ausserdem war jene Bezeichnung erforderlich, weil hier wenn auch
keine wesentliche Aenderungen doch an mehren Stellen nicht unbeträchtliche
Zusätze sich finden; diese sind vorzugsweise in Anmerkungen gegeben.
Göttingen, im Juli 1878.
A. Mühry,
Privat-Gelehrter.
Seite
Vorwort.
§ 1. Die natürlichen Verhältnisse müssen die
anerkannte Unterlage bilden für die Philosophie - in der neusten Zeit hat
das Wissen von der Natur grossartige Erweiterung erfahren und ist die Auffassung
der Natur vornehmlich eine kosmologische geworden.1.
§ 2. Es zeigt sich ein Verlangen nach richtiger Vereinigung
der Naturwissenschaft und der Philosophie auf beiden Seiten - es mangelt noch
die Anerkennung der im Weltall sich aussprechenden logischen Gesetze, d. i. des
Denkens oder Geistes, und zunächst der Teleologie, mit richtigem Begriffe
dieser, d. i. Proportionalität der Theile eines Ganzen.5.
§ 3. Zwei beweisende Beispiele von Teleologie aus der
unorganischen Welt, in der Astronomie und in der Geo-Physik.12.
§ 4. Neueres Verleugnen der Teleologie in der organischen
Welt - über die Biologie in der kosmologischen Auffassung.14.
§ 5. Nähere Erörterung des geo-physikalischen
Beispiels.24.
§ 6. Psychologisches, - das im Universum erkannte Gedachte
und Denken sind identischer Art mit dem Denken des Menschen, obgleich letzteres
nur eine minimale Grösse darstellt.28.
§ 7. Unterschied des Instinkts vom menschlichen Denken -
die geschichtlichen Aeusserungen dieses, seit sieben Jahrtausenden, zeigen im
Zunehmen des Wissens und Könnens, mit mehren Cultur-Centren, doch eine Stätigkeit
der natürlichen Fähigkeiten des Geistes - in diesen sind auch keine
erhebliche ethnologische Unterschiede anzunehmen - Zeugnisse für Unabhängigkeit
des Geistes vom Hirn.32.
§ 8. Grundzüge des menschlichen Geistes in rein
naturwissenschaftlicher Auffassung. - Eine Anwendung auf die Ethik.48.
[III/IV]
§ 9. Beispiele mechanistischer Auffassung, und ein anderes
Beispiel mit der unseren übereinstimmender Welt-Anschauung.53.
§ 10. Unsere Auffassung vom Geiste, als beginnend bei
dessen Stellung im grossen Ganzen der Natur, ist realistisch und
naturwissenschaftlich, verschieden von der früheren Alleinherrschaft der
subjectivistischen Auffassung.59.
§ 11. Kurze geschichtliche Erörterung. Unsere
Auffassung ist ein Identificiren des Subjects mit dem objectiven Geiste im
Weltall, aber nicht mit der Natur im engeren Sinne, mit dem Physischen, - unsere
Methode der Forschung ist die inductive, sie betrachtet den Geist in seiner
Stellung im Ganzen der Natur, aber weil sie ihn darin auch unterscheidet
behandelt sie dessen Werke und die Geistes-Wissenschaften nicht mechanistisch,
auch nicht ausschliesslich mathematisch-physikalisch, sondern gemäss der
richtig verstandenen exacten" Natur-Philosophie verkennt unsere
Auffassung nicht das unabhängige, besondere Wesen des Geistes. - Zur
Geschichte der Philosophie, - Zur Lehre von der Sinnes-Wahrnehmung und zur
Erkenntniss-Lehre, - Zur Philosophie der Geschichte.60.
§ 12. Die Philosophie würde in der Zukunft ihren
Ausgang zu nehmen haben, nicht vom subjectiven, sondern vom objectiven
kosmischen Geiste, so analog der Copernicanischen Anschauung.82.
Noten. 1) Ein Beispiel der Pseudo-Teleologie. 2) Abwehr einer
etwaigen Einwendung gegen das angeführte astronomische Beispiel von
Teleologie. 3) Die unzähligen anderen astronomischen Beispiele von
Teleologie, d. i. von bestehender Proportionalität im Weltall.85.
[IV/1]
In der gegenwärtigen Zeit, wo erfreulicher Weise ernstlich
die Rede ist von einer neuen und richtigen Vereinigung der Natur-Wissenschaften
mit der Philosophie, und wo auch wirklich manches dazu Berechtigte neu
vorbereitet vorhanden ist - gilt es zunächst, einer dabei unentbehrlichen,
aber hart bedrängten, ja mit dem Ersticken bedrohten, und doch ewigen,
Wahrheit zu Hülfe zu kommen, so weit deren Ansprüche auf Anerkennung
in der grossen Natur richtig und gerecht sind, das ist die Teleologie. Damit ist
verbunden, auch dem Geiste überhaupt in dessen ewigem Kampfe gegen den eben
jetzt wieder einmal übermächtig und übermüthig gewordenen
Stoff einige neue thatsächliche Argumente zur Unterstützung zuzuführen,
und sogar auf dessen bevorstehende, schon sich ankündigende, und zwar auf
rein inductivem Wege zu erwartende, Anerkennung in der kosmologischen Auffassung
der Natur mit voller Entschiedenheit hinzuweisen. Dies ist die Aufgabe, deren Lösung
hier versucht werden soll.
Wir halten die Meinung für richtig, dass das Wissen von den
natürlichen Verhältnissen immer die Grundlage bilden muss für die
Philosophie - welche ja ist die vom höchsten Standpunkte des zeitigen
Wis-[1/2]sens aus sich ergebende allgemeinste übersichtliche Beurtheilung
der weltlichen und der menschlichen, d. h. auch der dabei vornehmlich in Bedacht
zu ziehenden geistigen Verhältnisse, und darunter vorzugsweise die
Beantwortung gewisser grosser, den Sinn der denkenden Menschen ewig beschäftigender
Grund-Fragen; - und ferner halten wir die Meinung für richtig, dass beide,
sowohl die Kenntniss von der natürlichen oder realen Grundlage wie die
allgemeinsten darauf erwachsenden Ideen, immer ein gewisses gegenseitiges
Gleichgewicht bewahren müssen. Aber es ist bekannt, dass die Geschichte der
Philosophie und der Naturwissenschaften lehrt, es könne gleichzeitig die
eine und auch die andere Seite überwiegen, und es seien fast regelmässig
abwechselnd zwischen zwei Extremen schwankende Zeiten sich gefolgt, indem
entweder die reale empirische Unterlage, die Naturkenntniss, vernachlässigt
war, während dagegen ein speculativer Flug der Ideen weit über die
Berechtigung hinaus sich darüber erhob, gleichsam den festen Boden
verlassend und wie ein Luftschiff ohne Steuer in der Region der abstracten
Begriffe sich bewegend - oder aber indem umgekehrt der reale thatsächliche
Inhalt der Naturforschung überwiegend gepflegt wurde, und zwar in der
Weise, dass diese ausschliesslich schätzte und beachtete was sich messen
und wägen lässt, am Stoffe festhielt, rein empirisch bleiben wollte,
zufrieden war mit so gewonnenen vereinzelten Thatsachen, dem Zusammenhange
derselben nachzusuchen unterliess, aber damit auch die höhere, überschauende,
ideale und zugleich die Begriffe richtig hinstellende, [2/3] Behandlung vernachlässigte,
sogar verschmähte, und, wie flügellos geworden, am niedrigen Boden
haften bleibend erschien.
Wir sprechen hier vornehmlich allein von der natürlichen
Grundlage aller Philosophie, von der Naturwissenschaft, welche unstreitig
wenigstens so weit auch selber einer philosophischen Behandlung ihres
Gegenstandes bedarf, dass das Ergebniss genannt werden kann exacte
Natur-Philosophie"*). Ihr sind während der letzten Jahrzehnte neue
Kenntnisse in wirklich ausserordentlicher Menge und von ungewöhnlicher
Bedeutung zugeströmt. Nicht nur neue einzelne Thatsachen, sondern auch neue
principielle Einsichten, Gesetze und Theorien, haben den Umfang ihres Wissens
zugleich im Raume und in der Zeit grossartig erweitert. Man kann sagen, die
Auffassung der Natur sei so eine kosmologische geworden.
Als die in dieser Auffassung sich vereinigenden vorzüglichsten
neuen Einsichten können die folgenden vier namhaft gemacht werden: - dass
im ganzen Weltraume nicht nur dasselbe Gesetz der Gravitation gilt, was man
schon länger weiss, sondern auch dieselben
*) In Betreff dieses Ausdrucks ist noch anzugeben, dass er auch
einen Unterschied bezeichnet von einer berühmten deutschen Naturphilosophie",
welche unter diesem Namen dereinst eine Philosophie aufstellte, aber dabei die
natürliche Unterlage keineswegs auf exacte Weise behandelte, sondern
vorzugsweise speculativ-idealistisch, ja poëtisch, anstatt realistisch und
empirisch mit inductiver Methode der Forschung. Unstreitig muss die vollständige
exacte Methode auch in sich fassen eine scharfe und klare Bestimmung der
Begriffe. [3/4]
physikalischen und chemischen Gesetze, und auch dieselben
Elementar-Stoffe sich finden; - dass nicht nur die Elementarstoffe unvergänglich
sind, was schon länger bekannt war, sondern auch die Kräfte (die
Energie), nämlich dass die Quantität der im Natur-Ganzen vorhandenen
mechanischen Kraft ewig und ungeändert sich gleich bleibt, dass alle Veränderung
in der Natur darin besteht, dass die Arbeitskraft wechselt; zumal geht sie über
in Wärme, und diese, als moleculare Bewegung gedacht, geht über wieder
in Arbeit, indem es sich dabei immer handelt nur um Bewegungen, entweder der
Massen oder der Molekeln*); - dass eine genetische Continuität besteht in
der Bildung der Weltkörper, und auch wenigstens auf der Erde, in der
Aufeinanderfolge der Organismen (wenn auch das Wie hier noch nicht erklärt
ist); - das demnach unser so kleiner Erdkörper im Weltenraume nicht als
eigenartiger anzusehen ist, sondern als ein gleichartiger zugehörender
Theil des Welt-Ganzen, in welchem überhaupt alle vorhandenen Grundstoffe
und Kräfte eine gewisse Gemeinsamkeit, eine ubiquitäre
Uebereinstimmung und Vertheilung besitzen.
*) Dies geltende allgemeine Gesetz ist kurz ausgesprochen, in
den zwei Sätzen, welche freilich schon von Demokritos gedacht und gesagt
sind, (wenn auch noch ohne Berechtigung): nihil fit ex nihilo" und
auch nihil fit ad nihilum", also nichts entsteht aus nichts"
und nichts kann zu nichts werden"; von jenen zwei Sätzen ist der
zweite zu wenig oder gar nicht beachtet geblieben, bis zur neuesten Zeit. [4/5]
So grossartig nun jene kosmologische Natur-Auffassung sich
darstellt, so fehlt ihr doch zur Vollständigkeit und bleibt noch übrig,
ein wichtiges Moment nicht zu verkennen, sondern dies als gleichfalls im
Universum vorhanden, und zwar als gleichfalls auf dem rein inductiven Wege der
Erfahrung erkennbar, in jene Auffassung mit aufzunehmen. Das ist es was hier
eben besonders hervorgehoben werden soll, so befremdend es anfangs erscheinen
mag. Wir meinen das im Weltganzen rein objectiv sich aussprechende Gedachte und
also das Denken. Das Denken pflegt meist nur als subjectiv, und zwar als von der
ganzen übrigen Natur verschieden, ja als dieser, d. i. dem Realen,
Objectiven, entgegengesetzt, von der Philosophie aufgefasst zu werden. Und in
der Naturforschung unserer Tage besteht eine starke Neigung, dies subjective
oder menschliche Denken aufzufassen als einen rein mechanischen oder
physikalischen Vorgang, und demnach, wenigstens in solchem besonderen beschränkten
Sinne, als nicht verschieden von den Naturkräften; ja eben diese Auffassung
findet man zugleich genannt eine philosophische, mit der Bezeichnung der monistischen".
Man erkennt schon aus solchem Widerspruche, wie sehr zu wünschen ist, dass
die beiden Wissenschaften, die Philosophie und die Naturwissenschaft, sich verständigen
und sich vereinigen zu einer exacten Natur-Philosophie, oder doch zu einer
philosophischen Kritik der Naturwissenschaft. Bis jetzt ist diese Vereinigung
noch nicht zu Stande gekommen, aber ein Streben danach ist schon wohl bemerkbar.
[5/6]
In der That man findet, dass die neuere Philosophie ihrerseits
zugesteht, sie müsse bei der Naturwissenschaft über ihre natürliche
Unterlage Belehrung suchen. Die speculative, sonst gerne in abstracten Begriffen
sich bewegende und darin sich verflüchtigende Wissenschaft hat in neuerer
Zeit wiederholt Versuche gemacht, sich mit realem Inhalte zu füllen, und
von der inductiven, auf Thatsachen sich stützenden, sogar von der strengen
Methode der mathematischen Naturforschung anzunehmen. (Als Beispiele mögen
angeführt werden die philosophischen Schriften in Deutschland von Th.
Waitz, J.[!] H. Fichte, H. Lotze, A. Schopenhauer, F. Ueberweg, F. Alb. Lange,
E. v. Hartmann, W. Wundt, ohne zu erwähnen mehrerer jungen Kräfte; in
Frankreich von A. Comte; in England von J. Stuart Mill, Herbert Spencer, G.
Lewes, Alex. Bain). Ein neuerer Philosoph, welchem wir hierin beistimmen, sagt
in dieser Beziehung: Auf dem Standpunkte der Gegenwart ist keine
Philosophie mehr denkbar ohne die exacte Forschung" (F. Alb. Lange, Gesch.
des Materialismus, 1866, S. 333). - Anderseits hat auch die beobachtende, möglichst
messende und wägende, Naturwissenschaft wenigstens den Wunsch gezeigt und
auch einige ernstliche Versuche gemacht, zu einer denkenden, sogar speculativen,
Betrachtung ihres Gegenstandes sich zu erheben. (Findet man doch z. B.
ausgesprochen, 1872, von einem deutschen Astro-Physiker: die Speculation
ist in der gegenwärtigen Entwickelungs-Phase der Naturwissenschaft ein tief
empfundenes Bedürfniss". Aehnliches giebt sich zu erkennen bei anderen
deutschen [6/7] und auch bei französischen und englischen Naturforschern;
genannt mögen werden E. H. Weber, G. Fechner, J. Liebig, B. Riemann, F. Zöllner,
J. R. Mayer, H. Helmholtz, H. Henle, E. Dühring; Claude Bernard, M.
Berthelot; J. Tyndall, Th. Huxley*). Aber sie hat vorwiegend Neigung, die
philosophische Behandlung durchaus zu beschränken auf die sichereren weil
einfacheren Verhältnisse, an welche sie selber gewöhnt ist, am
liebsten auf die rein quantitativen, und man kann hinzufügen, welcher
Beschränkung sie ihre realen Entdeckungen zunächst verdankt und immer
vorzugsweise verdanken wird. Die exacte Methode der Naturwissenschaft selbst
kann und soll hier in ihrem Werthe nicht verkannt werden. Es ist hier jedoch die
Rede von der richtigen Beurtheilung der allgemeinen Stellung, welche deren
Gegenstand im Weltganzen einnimmt, wie sie nur ein philosophischer Ueberblick
ergiebt, und von dem Gewinn, der daraus hervorgeht für die
Naturwissenschaft selbst, nicht nur für die Läuterung ihrer Begriffe,
sondern auch für die Bestimmung ihres Verhältnisses zu den
Geistes-Wissenschaften, für welche sie zwar die Grundlage bildet, aber von
welchen sie im Wesen verschieden bleibt, was eben jetzt
*) Die exacte Forschung", so lautet ein neueres
anerkennenswerthe Urtheil, bedarf der beständigen Läuterung
durch die philosophische Kritik"; und ferner: die Metaphysik, dieser
allgemeine Theil der Philosophie, bedarf einer Reform, die zum Theil schon
eingetreten ist, nämlich dass sie ihre Aufgabe erkenne nur in der
Bearbeitung der zu jedem wissenschaftlichen Denken unentbehrlichen Begriffe".
[7/8]
vielfach verkannt wird. - Dazu kommt dass es einigermassen erklärlich
ist, wenn auf Seiten der Naturforschung durch das Gefühl des Besitzes von
fast plötzlich erworbenem Reichthume an neuen thatsächlichen
Kenntnissen, welche ausserdem im praktischen Leben vielfach sich geltend machen,
eine Ueberhebung und sogar die Meinung von einer Hegemonie der
Naturwissenschaften über die Geistes-Wissenschaften hervorgerufen ist,
wenigstens in schwächeren Köpfen. Wirklich werden darüber schon
Klagen geführt, und zumtheil nicht ohne Grund, jedoch anderentheils auch
ungerechter Weise. Der bekannte und charakteristische Ausspruch eines sterbenden
Naturforschers: das Individuum gilt nichts in der Natur" ist
sicherlich ein Ausdruck der Bescheidenheit. Aber auch in Hinsicht auf den Werth
der Naturwissenschaft selbst fehlt den umsichtigen Denkern unter ihren Pflegern
nicht das richtige Maass der Schätzung. Was die Naturforscher mit Recht
verlangen können, ist, in ihrem Fürwahrhalten nicht durch äussere
Gründe, sondern allein durch innere, wissenschaftliche Argumente und Belege
sich bestimmen lassen zu dürfen. Was sie dagegen nicht verlangen dürfen
und doch öfters annehmen, ist, dass ihr Naturwissen, zumal unter
mechanistischer Herrschaft, im Stande sei, das ganze Gebiet der Wahrheit, auch
die vom Menschen-Geiste selbst erst vorgebrachten Bildungen, die
Geistes-Wissenschaften zu umfassen, und demnach allen Forderungen des
Wissensdranges und auch des Gemüths des Menschen-Geschlechts Genüge zu
leisten. Und noch weniger [8/9] dürfen sie annehmen, dass mehr als tausendjährige
Lebens-Anschauungen, Sitten und moralische Gesetze den Schwankungen ihres
Wissens und ihrer Theorien sich unterordnen und nachschwanken sollen. Eben bei
solchen Ansprüchen ist die richtige Selbstschätzung noch nöthiger.
Zunächst aber besteht in der neuesten Naturwissenschaft der
besondere schon angedeutete Mangel; und dieser ist es, welcher uns hier
vorzugsweise beschäftigt. Sie hält eine Wahrheit von sich fern, welche
in der unbefangenen Betrachtung des Naturganzen als eine unabweisbare Thatsache
sich geltend macht; wir meinen, es fehlt ihr die Anerkennung der Teleologie in
der Natur-Auffassung.
Wir sind weit davon entfernt, wie schon gesagt, die
Naturwissenschaft von ihrer inductiven und strengen Methode der Forschung
abziehen zu wollen; im Gegentheil. Jedoch muss der Fehler vermieden werden,
welcher die exacte Methode der Art versteht, dass nur die einfachsten und
unmittelbar durch die Sinne wahrnehmbaren, messbaren und wägbaren Dinge für
reale Gegenstände angesehen werden und daher allein beachtet werden; während
dagegen solche, welche nur mittelbar, nämlich allein durch ihre Wirkungen,
sich den Sinnen zu erkennen geben, aber doch als bestehende Ursachen sicher zu
folgern und anzuerkennen sind, ganz ignorirt werden. Selbst die strengste
naturwissenschaftliche Methode muss zugestehen, das zu den im Weltall
enthaltenen realen Gegenständen ihrer Beachtung gehört auch ein darin
mittelbar sich kund [9/10] gebendes objectives Denken. Anders ausgedrückt,
wir meinen in der kosmologischen Anschauung sei enthalten auch die Einsicht, es
gelten im ganzen Weltall nicht nur dieselben mathematischen, mechanischen,
physikalischen und chemischen Gesetze, sondern auch dieselben logischen Gesetze.
Dies äussert sich zunächst in der Teleologie. Freilich tritt nun vor
allem die Forderung auf, diese als wirklich vorhandene Thatsache in der Natur
nachzuweisen; und damit sind wir zu dem Kernpunkte unserer Aufgabe gelangt, d.
i. auf inductive Weise thatsächliche entschieden beweisende Beispiele von
der Teleologie in der grossen Natur vorzulegen. Zur Zeit gehört sogar
einiger Muth dazu, dies Wort auch nur auszusprechen; grossentheils aber liegt
dies nur an der Entstellung des Begriffs, und es kommt sehr darauf an, darüber
zuvor sich zu verständigen*).
*) Wenn es sich darum handelt, thatsächliche Beweise zu
liefern, können zwar blose Meinungen selbst von Autoritäten nicht genügen.
Indessen mag hier doch ein bestimmter Ausspruch eines unserer grössten
Denker wörtlich angeführt werden, weil dessen Autorität auch in
der Naturwissenschaft zur Zeit vorzugsweise gern, und in unserer Frage öfters
in entgegengesetztem Sinne, angerufen zu werden pflegt. J. W. Goethe sagt
einmal: Als man die teleologische Erklärung verbannte, nahm man der
Natur den Verstand; man hatte nicht den Muth, ihr Vernunft zuzuschreiben und sie
blieb geistlos liegen" (s. Geschichte der Farbenlehre, bei Robert Boyle).
An einem anderen Orte findet sich sogar folgender Ausspruch: die Natur hat
gedacht und sinnt beständig" (s. Ueber Naturwissenschaft im
Allgemeinen, aphoristisch, 1870). [10/11]
Unter Teleologie in der Natur verstehen wir keinen Deus ex
machina", auch nicht willkürlich angenommene äussere Zwecke, was
als antecipirende, leicht missleitende Annahme mit Recht von der Naturforschung
verworfen wird, oder gar eine verlangte allgemeine unmittelbare Nützlichkeit
der Natur für den Menschen, was bezeichnet werden könnte als falsche
oder egoistische Teleologie, sondern wir verstehen darunter: die in einem
Gegenstande der Untersuchung bestehende Proportionalität, quantitative oder
qualitative, der Theile eines Ganzen, besonders in Bewegung befindlicher Theile,
welche immer den Beweis enthält, dass in dem Gegenstande auch logische
Gesetze wirksam sind. In der That wo sich Proportionalität findet, da ist
auch gedacht worden; dies ist so sicher wie ein Beweis irgend sein kann. In
einem solchen Falle sind die einzelnen Theile abgemessen und angeordnet zu einem
gemeinsamen Ziele, dienend einer einheitlichen Idee, einem vernünftigen
Zwecke, als Wirkung eines Denkens, welches letzteres als Ursache nicht selber
von unseren Sinnen wahrgenommen werden kann, aber dennoch mit vollkommener
Sicherheit aus den Thatsachen, als den ihm allein möglichen Wirkungen,
gefolgert werden kann und anerkannt werden muss. So verhält es sich auch in
einer Maschine von Menschen gebaut, welche zwar nicht selber denkt, aber immer
gedacht worden ist, und in welcher, wenn sie zerbrochen ist, dieselben
mechanischen Gesetze geltend bleiben, aber der Sinn, der gedachte Zweck ihrer
pro-[11/12]portionalen Vereinigung, die Teleologie, verloren gegangen, also ihr
logisches Gesetz aufgehoben ist. In solchem Sinne hat eine jede Maschine ihre
Teleologie. Demnach enthält die Anerkennung der Teleologie zugleich die
Anerkennung des Denkens oder des objectiven Geistes in der Natur, und hat diese
sehr weit reichende Bedeutung (s. Note 1).
Hier sollen nur zwei, aber entschieden beweisende, Beispiele von
Teleologie; und zwar in der grossen unorganischen Natur enthalten, vorgelegt
werden; das erste ist genommen aus der Astronomie, das andere aus der Physik der
Erde.
1) Das astronomische beweisende Beispiel von Teleologie findet
sich angegeben von F. W. Bessel, und ist von diesem Astronomen ersten Ranges
erkannt und anerkannt worden in dem auffallenden Verhalten der Umdrehung des
Erd-Mondes mit folgenden Worten (s. dessen Populäre Vorlesungen über
wissenschaftliche Gegenstände, herausg. von. H. Chr. Schumacher, 1848, S.
606): Die Erscheinung der Gleichheit beider Bewegungen unseres Mondes, nämlich
des Umlaufs um die Erde und die eigene Axendrehung des Mondes, welcher, eine
unvollkommene, Kugel, an seiner der Erde bleibend zugewandten Seite mehr Masse
besitzt als an der abgewandten Seite, ist eine der Merkwürdigkeiten des
Weltsystems, indem jene Gleichheit nicht die Folge ist eines allgemeinen
Gesetzes, aber durch ihr wirkliches Vorkommen auf das Stattfinden primitiver
besonderer [12/13] Bedingungen deutet, deren Vorhandensein eines der Daten ist,
gegen welche jede genetische Erklärung des Weltsystems nicht verstossen
darf. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der blosse Zufall zwei Bewegungen,
welche in jeder beliebigen Verschiedenheit neben einander bestehen können,
innerhalb so enger Grenzen einander gleich gemacht haben sollte, dass sie durch
die Wirkung der Anziehung völlig gleich werden mussten. Es wird noch
unwahrscheinlicher, da auch andere Monde unseres Planeten-Systems dieselbe
Gleichheit beider Bewegungen zu besitzen scheinen, und der äusserste Mond
des Saturn sie gewiss besitzt. Bei den Planeten selbst findet Aehnliches nicht
statt" (s. Note 2 u. 3).
2) Das zweite Beispiel von Teleologie in der grossen Natur,
nehmen wir aus der Geo-Physik. Wie es eine Mécanique céleste"
giebt, um diesen Ausdruck des P. A. Laplace zu gebrauchen, so giebt es auch eine
Mécanique tellurique; aber diese ist noch nicht geschrieben. In dieser
kann die Teleologie zunächst nur in dem elastisch und in dem tropfbar Flüssigen
erkannt werden, weil nur in diesen permanente Bewegungen vorgehen. Darüher
[Darüber] kann nicht länger Unsicherheit bestehen, dass in den beiden
flüssigen Hüllen, in der Atmosphäre und im Ocean, Vorgang habende
fundamentale Strömungen eine regelmässige und beständige
allgemeine Circulation darstellen, als directe Wirkung theils der Axendrehung
der Kugel, theils der auf jeder Halbkugel zwischen dem Pole und dem Aequator
bestehenden Temperatur-Differenz. Man kann [13/14] aber noch weiter gehen und
auf der Erd-Oberfläche auch eine gewisse zu dem oceanischen
Circulations-Systeme in einem proportionalem Verhältnisse stehende
Gestaltung erkennen. Was auf dem Erdenrunde vom Flüssigen gilt, warum
sollte es auf dies allein beschränkt bleiben und nicht auch Geltung haben für
das Festland? Die Geologie darf sich für berechtigt halten, ja sie wird
dereinst sich genöthigt finden, die Erdkugel wenigstens für etwas mehr
anzusehen als für eine verglühende Schlacke, mit abgeschwemmtem
Erdreiche bedeckt. Darüber ist noch etwas mehr zu sagen.
In der Paläontologie berühren sich die unorganischen
Gebilde mit den organischen, aber auch die Lehren beider, die Geologie und die
Biologie und so ist ein Kampf entstanden zwischen den beiden Wissenschaften um
die Herrschaft eben in jenem Gebiete. Anfangs überwog die Biologie (seit G.
Cuvier) und wurde die damalige biologische Teleologie mehr als billig übertragen
auch auf die andere Wissenschaft, die Geologie, namentlich als aus dem in der
Reihenfolge der sedimentären Erdschichten sich findenden abrupten Wechseln
der Typen der Organismen gefolgert wurden, zur Erklärung derselben,
vorgekommene plötzliche allgemeinere Umwälzungen (Revolutionen) oder
Katastrophen auf der Erd-Oberfläche, denen dann neue Schöpfungen
folgten. Dagegen in gegenwärtiger Zeit (seit Ch. Lyell und Ch. Darwin,
1859) überwiegt die Geologie, und ist mit der extremen Annahme von nur
[14/15] allmälig vorgehenden Umänderungen der Erd-Oberfläche*)
eine gleiche, nicht-teleologische" Auffassung übertragen worden,
mehr als billig, von den geologischen Formationen auch auf die in diesen
enthaltenen Organismen, und dann von der Paläontologie weiter ausgedehnt
worden auf die Zoologie und die Biologie überhaupt. Man kann sogar sagen,
dort und so sei eine anti-teleologische Auffassung neu hervorgerufen und gross
gezogen, und versucht worden, die Teleologie überhaupt der Missachtung, ja
dem Spotte, zu überweisen, nur weil der richtige Begriff derselben fehlte,
und wirklich ein deus ex machina" daraus gemacht wurde. Indessen ist
vorauszusehen, dass in nicht ferner Zukunft in dem erwähnten gleichsam
subterranen Kampfe eine Reaction sich geltend machen wird, welche allein schon
mit dem richtigen Begriffe auch hier das gerechte Gleichgewicht bringen wird.
Und nicht unwahrscheinlich wird diese Vermittelung ausgehen zunächst von
der Geo-Physik, in Verbindung mit der exacten Natur-Philosophie. Schon vor mehr
als einem Jahrzehnt ist von einem auf der Höhe der Naturwissenschaft
Stehenden der Ausspruch gethan: das Ziel der physischen Geographie ist,
die gesammelte und angehäufte Menge von Einzelnheiten als ein harmonisches
*) Diese Annahme ist extrem zu nennen, wenn sie grosse
Katastrophen auf der Erd-Oberfläche für durchaus unmöglich hält;
für diese Frage ist auch zu erinnern, dass auf der Mond-Oberfläche in
neuester Zeit wenigstens einige (fünf) eingetretene sehr bedeutende
Aenderungen als beobachtet anerkannt werden (nach Herm. J. Klein, Das Ausland,
1877). [15/16]
Ganzes bildend darzulegen, vereinigt durch wechselseitige
Beziehungen und Einwirkungen, und einem grossen Plane unterworfen" (s. John
Herschel, Physical Geography, 1861, p. 3).
Freilich seitdem sind in der Biologie die glänzenden
Erfolge der Darwin'schen Evolutions-Theorie mit der selectiven Vererbung sogar
von blossen Angewöhnungen eingetreten (seit 1859), und scheinen der eben
ausgesprochenen Erwartung geradezu entgegenzustehen. Obgleich die Biologie nicht
innerhalb unserer näheren Gesichtsfelder liegt, dürfen wir ihr doch
nicht wohl ganz ausweichen, sondern müssen von unserem Standpunkte aus ein
allgemeines Urtheil abgeben. Man kann nicht verkennen, das zu den Ergebnissen
der neuen, in Raum und in Zeit einen erweiterten Ueberblick besitzenden
Natur-Anschauung gehört auch die Einsicht, es offenbare sich in der
geologischen Schichtenfolge im Laufe der Aeonen eine successive Steigerung in
den Typen der darin sich findenden Organismen, Thiere wie Pflanzen, obgleich
nicht aller*). Auf welche Weise jene progressive Succession zu Stande kommt, das
ist jedoch noch unbekannt, und wird vielleicht noch sehr lange unbekannt
bleiben; es gehört und wird gehören
*) Mit solchem Befunde wäre die Annahme berechtigt, und
dieser Gedanke soll schon vor zwei Jahrhunderten ausgesprochen sein, von Bl.
Pascal, dass der gegenwärtige Menschen-Typus dereinst ersetzt werden könne
durch einen vollkommeneren. Dieser könnte dann auch freier sein von einigen
Bestialitäten, welche unstreitig dem jetzigen Typus noch angehören.
[16/17]
zu den Fragen, von denen wir bekennen müssen, dass wir sie
nicht zu beantworten wissen, was schon A. v. Humboldt entschieden ausgesprochen
hat (bei Gelegenheit der damit eng verbundenen Frage über die Vertheilung
der Pflanzen auf der Erde (s. Essai sur la Géographie des plantes, 1805).
Auch die von Darwin davon aufgestellte Erklärung, durch Annahme allmäliger
Transformation des Typus im Laufe der Generationen mittels Vererbung von dem im
Kampfe um das Dasein dem Leben günstigeren Eigenschaften (das ist Selection
der Lebenskräftigeren, wovon sich die frühere Lamarck'sche Erklärung
unterscheidet nur dadurch, dass diese annahm Vererbung von durch Gewöhnung
erworbenen Eigenschaften, und eine andere neuere Erklärung nur durch das
Hinzufügen, Bedingung solcher Transformationen sei Migration und Separation
der Organismen) muss man noch immer für unbewiesen*)
*) Es fehlt unter den Beweisen vor allem die Grund-Bedingung, d.
i. der Beweis für die Möglichkeit, dass von den Variationen und Varietäten
die Zwischengrenze der Typen überschritten werde in der Continuität
der Generationen, dass also in den nie fehlenden vielfachen individuellen
Variationen enthalten sei eine Progression, und jene demnach mehr seien als nur
Oscillationen. Dafür sind noch keine empirische Belege gewonnen (wie überhaupt
bei der Evolutions-Theorie fehlt die inductive Methode der Forschung, welche
zuvor den thatsächlichen Grund legt, sondern die deductive Methode
angewendet ist, welche die empirischen Belege erst nachträglich aufsucht);
diese Belege sind nicht gewonnen weder bei den vieltausendjährigen
Erfahrungen über die Varietäten der Hausthiere, namentlich der Rinder,
Pferde, Kameele, Schaafe, Hunde, [17/18]
und auch für ungenügend halten, trotz allem
bewunderns-
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 17.] Katzen, Hühner,
Tauben Enten u. s. w., noch auch in der Paläontologie durch Nachweiss der
Uebergangs-Formen. Diese Uebergangs-Formen müssten, wenn die Hypothese eine
Wahrheit wäre, ja in zahlbarer[!] Menge sich vorfinden, und zwar nicht nur
in der zeitlichen Folge der geologischen Schichten, sondern auch in der
gleichzeitigen räumlichen Vertheilung der darin enthaltenen Organismen; da
sie aber fehlen so wären nun zu erklären, umgekehrt, die so scharfen
Abgrenzungen der verschiedenen Typen unter einander. Die vermeintlich gefundenen
Uebergangs-Stufen sind so spärlich, gezwungen und unsicher, (auch die
Anthropologie hat in den vorgeschichtlichen Menschen-Knochen bis jetzt keine
Transformation gefunden, nach Virchow), dass der Mangel an Beweisführung
nicht verkannt werden kann. - Dies gilt in gleichem Masse, vielleicht noch mehr,
von der besonderen für die Darwin'sche Evolutions-Theorie zu Hülfe
genommenen, völlig unerwiesenen und unberechtigten Uebertreibung der
Wirkung der Vererblichkeit, indem sogar angenommen wird, dass nicht nur lebenskräftigere
Eigenschaften durch Vererbung sich fortpflanzen, sondern auch bloss individuel
entstandene, also zufällige, Angewöhnungen zunächst nachgeahmt,
aber bei längerer Fortsetzung der Nachahmung auch vererbt, und zu
bleibenden Eigenschaften in den späteren Generationen werden könnten.
(Als starkes Beispiel von Gegen-Zeugniss bieten sich dar die seit mehren
Jahrhunderten künstlich verkrüppelten Füsse der Chinesinnen, von
deren Vererblichkeit doch nichts bekannt geworden ist). Jene Uebertreibung ist
zu erklären aus einer eigenthümlichen Scheu vor der Teleologie. Und
diese, welche nicht gesucht sondern im Gegentheil geflohen wird, sie eben stellt
sich überall ein, und konnte auch nur deshalb geleugnet werden, weil sie
missverstanden war im Begriffe, zu dessen Feststellung es an philosophischer
Bildung gefehlt hatte. Denn man meinte, mit [18/19]
würdigen Aufwande von Genie, Wahrhaftigkeit und
Kenntnissen, womit die Frage, welche im geschichtlichen Gange der Wissenschaft,
zunächst in der Geologie, vorlag, und nicht wohl umgangen werden konnte,
von ihm aufgenommen und behandelt worden ist, und auch trotz dem grossen
Impulse, welcher durch seine Hypothese der biologischen Forschung in einer
gewissen Richtung gegeben worden ist. Dabei muss man gestehen, noch erhält
sich der Credit des Gründers jener Erklärung ungeschwächt,
gleichsam wie bei einem begonnenen Bergbaue, obgleich freilich jeder Credit,
wenn er nicht durch Realitäten gedeckt ist, sich verzehren muss. Weit
entfernt aber davon, der Meinung zu sein, die Darwin'sche Schule möge ihre
Nachsuchungen nach Belegen für ihre besondere Deutung der anerkannten
successiven Steigerung der Typen in
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 18] der Teleologie müsse
man einen deus ex machina" anerkennen, also Wunder. So drängte
man in das andere Extrem über; so wählte man, ja so betrieb man, die
Annahme einer Herrschaft des Zufalls bei Bestimmung der Gestalt der Organismen.
Daher können wir eben von unserem Standpunkte aus nicht anders, als über
die mit dem Namen der Darwin'schen Evolutions-Theorie bezeichnete Erklärung
der in der zeitlichen Reihenfolge der geologischen Schichten sich darstellenden
Aufeinander-Folge verschiedener Typen von Organismen, des Pflanzen- und des
Thierreiches, das Urtheil fällen, jene Erklärung sei gegen den
Charakter der Natur und sie sei deshalb unannehmbar, obgleich bis jetzt eine genügende
Erklärung überhaupt noch nicht besteht, d. h. das Mittel dessen die
Teleologie sich hier bedient noch nicht gefunden ist (Als zoologische Gewährmänner
für das Gesagte erlauben wir uns anzuführen die Namen E. von Baer und
A. Kölliker). [19/20]
der Zeitfolge aufgeben, wünschen wir in geradem Gegentheil
sie möge darin fortfahren; jedoch in der Erwartung, sie werde Erfolg haben
können nur dann, wenn sie ein Moment anerkennt, was sie eben bei ihrem
Ausgange entschieden und ausdrücklich verschmäht, und sie werde diese
Bedingung des Erfolgs in der Fortsetzung ihrer Untersuchungen auch selber
finden, das ist die richtig verstandene Teleologie. Ohne die Anerkennung dieser
können wir kein Heil für ihre Untersuchungen hoffen*). Schon in dem
Vorhandensein der Steigerung der Typen ist, da ein Gesetz darin sich darstellt,
unstreitig eine Teleologie ausgesprochen. Da ferner als zur Vererbung
erforderlich gedacht werden muss eine Differenzirung der Geschlechter, so ist um
so mehr auch in der Vererbung eine Teleologie, wenn auch im allgemeineren Sinne,
unbewusst schon anerkannt. Und ferner, welcher unbefangene, nicht durch eine
irreführende, Prämisse gebunden oder erhitzt, die Natur-Verhältnisse
Betrachtende kann in freiem und ruhigem Ernste seine Einsicht verschliessen vor
der Anerkennung der Teleologie auch in der organischen Welt, bei biologischen
Einzelnheiten, wie sie sich kund giebt namentlich im Baue des Auges und des
Ohrs, welche Organe ganz unmöglich als absatzweise im Laufe
*) Es soll hier nicht übersehen werden, dass für die
Forschung im Einzelnen Gewinn entsteht, wenn sie sogar die richtig begriffene
Teleologie vermeidet, insofern sie damit zu unrichtigem Antecipiren verleitet
werden kann. Aber zur vollständigen Beurtheilung des Ganzen gehört die
teleologische Auffassung, richtig verstanden, nothwendig. [20/21]
der Generationen mittels Selection und Vererbung höher
gewordener Stufen zu Stande gekommen gedacht werden können, da sie auf den
gedachten untersten Stufen noch gar kein Auge und Ohr sein, noch gar nicht
gebraucht werden könnten; und ferner wie sie sich kund giebt in den
Metamorphosen z. B. in der so plötzlichen Transformation der Raupe zum
Schmetterling, mit völlig geänderter Gestalt und Lebensweise. - Weiter
können wir auf das Gebiet der Biologie*) nicht ein-
*) Als oben die Rede war von der im Universum bestehenden
allgemeinen Gültigkeit der Natur-Gesetze, nämlich der mathematischen,
der mechanischen, der physikalischen, der chemischen und der logischen, sind
darunter nicht genannt auch die biologischen, weil wir darüber keine
Erfahrung haben (ausser den in Meteorsteinen gefundenen und als organischen
Ursprungs gedeuteten Kohlenstoff-Verbindungen). Als möglich können
[kennen?] wir das organische Leben nur innerhalb sehr beschränkter
Temperatur-Grenzen (zunächst für die Vegetation zwischen 0° und
60° C.), und über die Temperatur-Verhältnisse anderer Weltkörper
sind wir nicht unterrichtet. Sicherlich aber giebt es ausser den leuchtenden
Fixsternen, d. s. glühende Sonnen, in noch weit grösserer Zahl
unsichtbare kühle Planeten und Trabanten, deren Temperaturen Organismen
gestatten. Namentlich ist die Bewohnbarkeit des Mars für den Bewohnern der
Erde ähnliche Organismen kaum zweifelhaft. Nicht jedoch sollte die
Besonderheit der organischen oder biotischen Dynamik, in Vergleichung mit der
unorganischen, verkannt werden. Jene vereinigt, gebunden an einen Keim, Stoffe
und Kräfte zu einer specifischen Gestalt, vergleichbar zwar mit einer
Maschine, welche aber sich selber aufbauet, und auch mit dem Unterschiede, dass
ein Organismus dabei zugleich eine Composition und eine Decomposition [21/22]
gehen. Wir kehren nun zurück auf das unorganische
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 21] in seinem Innern ausübt,
ohne Aenderung der Form, Stoffe aufnimmt und wieder entlässt, sie ersetzend
durch völlig gleiche, ferner dass nicht nur mechanische Kräfte so
vereinigt werden, zumal auch dass bei der im Organismus vorgehenden Erwärmung
oder Heizung ein ungeändert beständig gleich bleibender Grad von
Temperatur unterhalten wird, auch bei grossen Aenderungen der Temperatur in der
äusseren Umgebung und auch bei sehr geänderten Mengen von Heizstoff,
und endlich dass der sehr complicirte, mit unablässiger innerlicher
Bewegung und mit Stoffwechsel bestehende, Bau nur eine gewisse Grösse
erreicht und nur eine gewisse Zeit hindurch Bestand hat, offenbar nicht weil die
Stoffe fehlten, sondern weil die deren Composition bestimmende biotische Dynamik
erlöscht, als ein Process, und dann erfolgt sofort eine unorganische
Zerstreuung der Stoffe und Kräfte. Nicht sind bei dem biotischen Processe
die physikalischen und chemischen Gesetze selbst irgend geändert, aber man
muss gestehen, sie reichen nicht aus zur Erklärung; zumal auch ist so nicht
erklärlich der Heilprocess nach eingetretenen Beschädigungen und
Defecten des Organismus. Die physikalischen und chemischen Gesetze sind hier
offenbar nicht das Bestimmende, sondern das Bestimmte, und eben dies specifisch
Bestimmende ist es auch was allein nach einer gewissen Zeit den Organismus verlässt,
oder auch übergeht in einen neuen Keim, der potentiel die künftige
Gestalt schon enthält. Ein anschauliches Zeugniss für den Unterschied
des biotischen Princips giebt das Ferment, in neuster Zeit als Pilz anerkannt,
so verschieden von einem leblosen Reagens; denn wo ist sonst ein Reagens, das
sich selber vermehrt? Auch erscheint als eine besondere Mechanik, die sonst
nicht bekannte Contraction der Muskelfasern. Auch ist charakteristisch die
Thatsache, dass nur Organismen faulen, d. h. leblos geworden, jene eigenthüm-[22/23]
Gebiet, wo die Teleologie nicht getrübt, verdeckt oder
umgangen werden kann durch die ausbiegenden Annahmen von Accommodation,
Vererbung u. s. w., welche aber dennoch selber wieder teleologisch sind.
Vielleicht wird dereinst die Geschichte von der gegenwärtigen Zeit
aussagen: während damals die Teleologie in der Biologie verleugnet wurde flüchtete
sie sich in die Geo-Physik, und begeistigte diese, deren Forschungs-Weise
weniger eine analysirende ist als eine synthesirende, indem sie, nicht wie die
Biologie zuerst das
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 22]liche Decomposition
erfahren; warum dies nicht schon früher geschieht, ist
chemisch-physikalisch gar nicht zu beantworten. Indessen soll auch hier nicht
verkannt werden, dass für die biologische Forschung das Ignoriren der
Lebenskraft von Nutzen gewesen ist, insofern dadurch an Präcision sehr
gewonnen wird, jedoch nur für die Theile. - Was aber die Teleologie
betrifft, so ist, sie zu verkennen in den Organismen, unmöglich, sobald der
Begriff derselben richtig und klar geworden ist. - Uebrigens stimmen wir bei dem
Ausspruche guter Autoritäten auch für den ewigen, d. i. anfangslosen
und endlosen, und auch für den kosmischen Bestand der Biosis (J. Liebig, H.
Helmholtz, Will. Thomson u. a.). Der Gedanke dass die Meteoriten organische
Keime überbringen könnten, ist zulässig, da darin schon gefunden
sind Kohlenstoff und Wasserstoff, und deren Glühen erst in der Atmosphäre
der Erde erfolgt, daher nur oberflächlich bleiben kann. Die Annahme, dass
zwischen den Weltkörpern eine materielle Vermittelung unterhalten werde,
liegt nahe, und auch dass dann eine solche kosmische Bedeutung zugetheilt ist
den Meteoriten und Kometen, deren Bahnen ja nach allen Richtungen hin gehen;
jedenfalls ist unannehmbar die Meinung von initiativer Entstehung von
Organismen, die s. g. Heterogenese oder Abiogenese. [23/24]
Ganze wahrnimmt und dann in die Theile zerlegt, sondern im
Gegentheil zuvor die Theile wahrnimmt und dann zu dem sie vereinigenden Ganzen
zu componiren hat, wobei auch das darin enthaltene Gedachte leichter der
Erkenntniss sich offenbaren muss.
Das hier in Rede stehende zweite beweisende Beispiel von
Teleologie, zu welchem wir nun zurückkehren und welches wir als in der
Geo-Physik enthalten vorzulegen beabsichtigen, findet sich, wie schon gesagt, in
dem erst in jüngster Zeit in die nähere Beachtung gezogenen im Ocean
bestehenden Systeme einer allgemeinen beständigen Circulation. Wenn
erforderlich war, was angenommen werden darf, dass im Ocean ein permanenter
Austausch vorgehe zwischen den kältesten Wässern am Pole und den wärmsten
Wässern längs dem Aequator, mit dem Erfolge wechselseitiger Mässigung
der dortigen Temperaturen, womit auch verbunden ist ein Austausch der Wässer
in vertikaler Richtung in jenen beiden extremen Räumen (nämlich eine
Ascension beim Aequator und eine Descension beim Pole, und damit muss hier auch
atmosphärische Luft in die Tiefe geführt werden, und dort vielleicht
Kohlensäure nach oben hin), dann musste, in Proportionalität damit,
die Landbildung in der Richtung zwischen Nord und Süd den jenen Austausch
vermittelnden Meeresströmungen eine freie Verbindung offen lassen. Und so
findet es sich wirklich auf der Erdoberfläche. Gewiss ist die Thatsache
denkwürdig, dass der Ocean [24/25] zwar in der Richtung zwischen Ost und
West mehrmals durch zwischentretendes Festland in seiner Continuität
unterbrochen wird, dagegen in der Richtung zwischen Nord und Süd der freien
Communication nicht entbehrt. Dies wird deutlicher, wenn man einmal annimmt, die
Drehungs-Axe der Erdkugel bilde einen Durchmesser des jetzigen Aequatorkreises;
dann würde die jetzige Landbildung für eine allgemeine oceanische
Circulation zwischen den dann geltenden Pol und Aequator sehr wenig geeignet
sein, sie erschweren oder gar nicht gestatten; dann würde die
Wasser-Verbindung zwischen den beiden Polen nicht in direkter gerader Linie
bestehen, sondern durch zwischenliegendes weithin gestrecktes Land gehindert
sein. Ausserdem aber war erforderlich zu einer allgemeinen Circulation, dass
auch in vertikaler Richtung das Festlaud [Festland] auf der Oberfläche der
Erdkugel eine Gestaltung besitze, welche dem oceanischen Wasser zur Aufnahme
eine gewisss [gewisse] Tiefe gewähre und eine geeignete Excavation
darstelle ; und auch dies findet sich verwirklicht. Die oceanische Wassermenge
ist zwar verhältnissmässig nur eine geringe, sie bildet nur eine
schmale Schicht ; indem sie etwa zwei Drittheile der Oberfläche bedeckt
verhält sich ihre Tiefe zum Halbmesser der Erdkugel im Mittel nur etwa wie
1 zu 1000; demnach würde sie auf einer 2 Meter im Durchmesser haltenden
Kugel betragen ungefähr nur 1 Millimeter. Aber diese so schmale
Wasserschicht ist dennoch nicht in vereinzelten gesonderten Flecken zerstreut
(wie doch leicht möglich wäre, ja sehr wahrscheinlich sich
er-[25/26]geben haben würde auf einer einfach verglühenden und dabei
stellenweise verschieden sich zusammenziehenden Schlacke), sondern sie bildet
ein zusammenhangendes einheitliches Ganzes. Es dient sehr zum anschaulichen
Verständniss, diese vertikalen Proportionen noch genauer zu bestimmen. Die
mittlere Tiefe des Oceans können wir annehmen zufolge den neusten
Untersuchungen (in den Schiffen Challenger, Tuscorara, Gazelle u. a.) nahe zu
4500 Meter, oder 13,500 Fuss, und das über dem Meere[s]spiegel
hervorragende Festland hat (nach Humboldts anerkannter Berechnung) eine mittlere
Höhe von nicht ganz 330 Meter oder 1000 Fuss. Daraus tritt deutlich vor
Augen, dass der Ocean auf der Erdoberfläche entschieden in einem
einheitlichen Bette, in einer Excavation, sich befindet. Und wenn man ferner
bedenkt, dass eine Minderung der Tiefe des Oceans nur um 1000 Meter (3000 Fuss)
also nur etwa um 1/5 zur Wirkung haben würde eine Ueberschwemmung des
ganzen Festlandes mit Ausnahme des wenigen Hochbodens, welcher mehr als 330
Meter d. i. über 1000 Fuss sich erhebt; oder anders ausgedrückt, wenn
man bedenkt, dass im Falle der ganze die Oberfläche des Meeres überragende
Theil des Continents hineingeworfen würde, dies den Grund erhöhen würde
nur etwa um 160 Meter (500 Fuss) also nur um 1/25, - dann kann jene Austiefung
auch wohl für eine angemessene gelten*). So ergiebt sich unstreitig
*) Man könnte einwenden, der Ocean habe sein Bett sich
selber ausgegraben, mittels seiner bis auf den Grund reichen-[26/27]
sowohl aus der horizontalen wie aus der vertikalen Gestaltung
des auf der Oberfläche der Erdkugel für die Aufnahme des Meerwassers
bestimmten Raumes und zwar in besonderer Beziehung zu der in diesem bestehenden
allgemeinen oceanischen Circulation, - welche hervorgeht theils aus der
Centrifugalkraft theils aber aus der Temperatur-Differenz zwischen dem Pole und
dem Aequator auf jeder Halbkugel - eine gewisse Proportionalität, zum
Beweise dass dabei gedacht worden ist. Und wir können auch hier die Worte
anwenden wie bei dem früheren astronomischen Beispiele: es ist sehr
unwahrscheinlich, der blosse Zufall habe auf der Erd-Oberfläche, anstatt
mannichfacher beliebig gerichteter Vertheilung des Festen und des Flüssigen,
gerade jene, für eine allgemeine oceanische Circulation mit
Temperatur-Austausch so geeignete, Vertheilung ausgeführt". - Wir
meinen wirklich in jenem Beispiele aus der Geo-Physik und der Geo-Mechanik einen
Beweis für die Teleologie vorgelegt zu haben, welcher dem früheren aus
der Astronomie nicht unwürdig sich anschliesst, und zwar gleichfalls
hervorgehend, auf rein inductive Weise, aus der Beurtheilung
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 26] den fundamentalen Strömungen,
welche infolge der Axendrehung der Erdkugel beständig von den Polen nach
dem Aequator hin fliessen. Dagegen beweist (ausser der Schwäche der Strömung
am Grunde,) das angegebene ungleiche Verhältniss der mittleren Tiefe des
oceanischen Behälters zur mittleren Höhe des Continents, welches ist
etwa 14 zu 1, denn es müsste doch gleich viel Erdreich aufgeschüttet
sein, wie ausgegraben wäre. [27/28]
von in der grossen unorganischen Natur enthaltenen Thatsachen. -
Dass ausserdem andere Beweise von Proportionalität auf der Erd-Oberfläche
nicht fehlen, ist schon zu folgern.
Darüber kann kein Zweifel bestehen, dass sobald selbst nur
in einem einzelnen Falle die Teleologie in der Natur sicher erwiesen ist, damit
deren Existenz auch in anderen und auf ganzen Gebieten ein weit reichendes
allgemeines Zugeständniss gemacht ist. Dies ist aber was der herrschende
monistische Materialismus in der Naturwissenschaft unserer Tage vor allem
scheuet und niemals annehmen kann, weil er damit sich selber aufgeben würde.
Wir berühren hier das psychologische Gebiet der exacten Natur-Philosophie
und wollen nun wagen, unterstützt durch obiges Ergebniss, darauf etwas
weiter einzugehen, und damit auch auf die Zukunft der Naturwissenschaft, deren
Erweiterung zu einer natürlichen Welt-Anschauung oder Kosmologie oben schon
erwähnt worden ist.
Unstreitig wäre mit der Teleologie ein Denken auch in der
objectiven Natur als erwiesen zugestanden, und es würde zu der
kosmologischen Anschauung nun die grosse Conception noch hinzukommen, dass auch
das Gedachte und also das Denken zu den realen Erscheinungen im Universum gehört,
sowohl wie die Elementar-Stoffe und die Kräfte. Die Philosophie des
Universum", wie schon ein nicht ungeeigneter Ausdruck lautet, würde
dann anzuerkennen haben, was bisher nicht positiv geschehen ist, dass im
Weltall, bis zu den fernsten Weltkörpern, auch dieselben logischen [28/29]
Gesetze gelten. Freilich wer dort denkt und wo dort gedacht wird, dass wissen
wir nicht. Aber mit Sicherheit können wir hinzufügen und aussprechen,
das dort herrschende Denken gebe sich kund als ein einheitliches (und auch als
ein fehlerloses). Weiter wollen wir nicht folgern, wie wir überhaupt nicht
mehr annehmen als solches was die reine Induction aus der Beobachtung und
Erfahrung ergiebt und gestattet, auch hier, wo nur die Wirkungen erkannt werden,
wo aber dennoch aus diesen auf die Ursachen derselben, wenn auch nur mittelbar
und also ohne diese selber messen und wägen zu können, mit Sicherheit
geschlossen werden kann -, und wie wir den rein naturwissenschaftlichen Boden
nicht verlassen wollen. Demgemäss vermeiden wir auch zu
anthropomorphisiren, und sprechen wir hier nicht von einem Allwissenden,
Allweisen, Allmächtigen, Allgütigen, Allgerechten u. s. w. Jedoch auch
in der rein naturwissenschaftlichen Auffassung erscheinen nun schon frühere
Aussprüche grosser und unabhängiger Denker als durchaus berechtigt, ja
in der neuen erweiterten Weltanschauung noch mehr als früher, welche lauten
wie folgt: wer die Ordnung der Natur nachdenkend verfolgt geräth in
Erstaunen über eine Weisheit, deren er nicht gewärtig war" (Kant)
- und eines anderen: wir können uns bei Betrachtung des Weltgebäudes
der Vorstellung nicht erwehren, dass dem Ganzen eine Idee zum Grunde liege"
(Goethe). Gedenken wir nun auch noch jenes Zeugnisses, welches J. Kepler, ausser
dem in seinen drei astronomischen Gesetzen schon enthaltenen, direkt [29/30]
ausgesprochen hat, mit den Worten: ist die Vernunft geschickt Proportion
und Ordnung zu halten, was ein Werk der Vernunft ist" . . . (s. Tertius
interveniens, 1610, Opera omnia, Vol. I. p. 619).
In der That welcher Unbefangene kann das im Weltall sich
aussprechende Gedachte und Denken verkennen, und dann noch ferner im Ernste der
Meinung sein, das Denken habe Existenz, komme zu Stande allein in der Hirnmasse
des Menschen; oder gar die ganze äussere Welt sei nur rein subjective
Vorstellung, wie es doch wirklich von Philosophen behauptet worden ist, oder
auch nur, Raum und Zeit, das sind Umfang und Dauer, seien blosse Formen unserer
sinnlichen Anschauung (und auch die Causalität und die anderen Kategorien,
d. s. reine Verstandes-Begriffe, seien bloss Forderungen unseres Verstandes) und
hätten in solchem Sinne nur ideale aber keine reale Existenz?*) Und wer
kann
*) Die deutsche Philosophie liegt zu einem ansehnlichen Theile
noch jetzt in den Banden dieses skeptischen Lehrsatzes des transcendentalen
Idealismus", betreffend die Idealität (oder die Subjectivität)
des Raumes und der Zeit, weil er dereinst von ihrem Begründer und mächtigsten
Genius aufgestellt worden ist. Wenn es ihr gelingt dies an der Schwelle des
Aufgangs zu ihren Höhen stehende Schreckbild zu entfernen, was Manchen vom
Aufsteigen abhält, würde sie, so scheint es uns, ihre Schwingen freier
geworden fühlen. Ihre grösste Autorität (dass aber eben eine
solche stellenweise auch hemmende Wirkung üben kann, ist eine Lehre der
Geschichte) würde wohl selber jetzt jenen Lehrsatz nicht länger
anerkennen, welcher entstand unter dem Eindrucke eines, freilich nicht
anerkannten, die Causalität betreffenden von Dav. Hume. Gewichtige [30/31]
die Einsicht ablehnen, dass das von Menschen aus-
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 30.] Stimmen (wir nennen J.
Herbart, E. Zeller, F. Ueberweg, J. Baumann, E. von Hartmann), dabei auch
unterstützt von der Geometrie, haben den Muth gezeigt, ihn abzulehnen, es
ist sogar richtig ihn zu bezeichnen als eine der seltsamsten Verirrungen".
Kant's reiferes Werk ist unstreitig seine Kritik der praktischen Vernunft"
(1788), und dies zeigt sich frei von jener Lehre; dagegen in seiner
Erkenntniss-Lehre oder Kritik der reinen Vernunft" (1781) ist er
weder zur Reife noch zur vollen Klarheit gelangt, was schon erwiesen wird durch
die Zwiste seiner Ausleger, indem diese darin ihren Ursprung haben. Wir sind so
dreist hier in weiterem Umfange zu Kant's Verirrungen zu zählen, nicht die
Behauptung, dass die äussere Welt für uns zunächst nur als eine
Erscheinung sich darstelle, d. h. eine Wahrnehmung sei, wohl aber die skeptische
Behauptung, dass dies keine allgemein gültige Erscheinung sei, d. h. eine
andere sei für andere Intelligenzen, dass also unsere Erkenntniss-Mittel
nicht teleologisch richtig der Aussen-Welt angemessen seien, dass sie gleichsam
falschen Spiegeln ähneln, angelegt seien auf Täuschung, welche zwar
vorkommt, aber auch als solche zu erkennen und zu berichtigen ist. Für uns
gleicht eine solche Auffassung der Annahme, es könne die allgemeine in der
Welt bestehende Teleologie, d. i. Proportionalität, partiel aufgehoben
sein, und dies scheint uns ähnlich wie wenn man annehme, die allgemeine
Gravitation könne irgendwo local aufgehoben sein. (So sagte dereinst auch
der Sophist Protagoras, zugleich der erste psychologische Sensualist und
Skeptiker, der Mensch ist das Maass aller Dinge;" freilich ist wahr,
dass dies Maass oft auf unrichtige Weise gebraucht wird und zu Täuschungen
veranlasst, aber wir dürfen annehmen, an sich ist es nicht unrichtig,
sondern richtig, wenn auch nicht immer genügend). - Die Wurzel und zugleich
der Schlüssel zu jenem eigenthümlichen, befremdenden, Satze in Kant's
Erkenntniss-[31/32]
geübte Denken, so schwach und so leicht irregehend es ist,
doch wenigstens völlig identischer Art ist, dieselben logischen Gesetze mit
Bewusstsein befolgt, wie das im Universum sich kund gebende Denken? Denn es kann
keine verschiedene logische Gesetze geben. Auch werden die logischen Gesetze im
Menschen-Geiste erkannt und anerkannt nicht erst aus der Erfahrung, sondern a
priori, sie sind gültig unmittelbar, und mit fester Sicherheit bestehend,
wie die arithmetischen Gesetze, obgleich Verrechnungen vorkommen können bei
beiden. Das logische Gesetz ist der begleitende unsichtbare Wegweiser im
Gedankengange, ähnlich wie das moralische Gesetz, mit dem Gewissen, im
Handeln.
Man kann ungefähr die Vergleichung machen und sagen, das
Denken im Universum verhalte sich ähnlich
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 31] Lehre sind enthalten in
dessen folgenden eigenen wenigen Worten in der Vorrede zur Kritik der
reinen Vernunft:" Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntniss müsse
sich nach den Gegenständen richten, . . . . man versuche es einmal, dass
wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntniss
richten". Man wird zugeben, dass diese Auffassung nicht analog ist der
Copernicanischen Vorstellung vom Weltsysteme, womit jedoch Kant selber sie
verglich, sondern dass im Gegentheil sie analog ist dem alten, auf
geocentrischer (d. i. subjectivistischer) Täuschung beruhenden, Weltsysteme
des Ptolemäus. - Uebrigens mag hier nicht unerwähnt bleiben, dass da
auch Kant annahm, der Inhalt unseres Wissens entstehe allein aus der Erfahrung,
hierin zugleich schon enthalten ist eine Anerkennung der Realität der
Aussen-Welt. [32/33]
wie das Licht; wie dies Ubiquität besitzt und von uns
mittels unseres Licht-Organs, des Auges, wahrgenommen wird, so auch werde das im
ganzen Weltall vorhandene Gedachte oder Denken wahrgenommen mittels unseres
Denk-Organs, des Hirns. Jedoch die Vergleichbarkeit reicht nicht sehr weit; die
Aehnlichkeit würde vollständiger und die Vergleichung richtiger sein,
wenn unser Auge noch einigermaassen selbstleuchtend wäre, wie unser
Denk-Organ, oder vielmehr der Geist, welchem es dient, einigermaassen
selbstdenkend ist. Darin besteht zugleich der grosse und durchaus radicale
Unterschied des Denkens oder der Intelligenz des Menschen vom Intellekt der
Thiere. Der letztere ist nicht nur ein sehr beschränktes und dürftiges
Denken, sondern auch nur ein automatisches (wie schon Descartes bezeichnet hat),
in dem Sinne, dass er ein unbewusstes, unselbständiges, unproductives, nur
im Dienste des Instinkt stehendes, und diesem angemessenes Denken ist; freilich
ist es immer ein Denken, aber es ist zu vergleichen ungefähr mit dem
reflectirten Lichte. Der Intellekt der Thiere reicht nicht hinaus über den
Instinkt, mit dessen Affecten, und damit ist er gerichtet und beschränkt
nur auf zwei bestimmte Ziele, auf die Erhaltung des Individuums und auf die
Erhaltung der Art.
Dagegen das Denken oder der Geist des Menschen, dies hat die
Anthropologie fest zu halten, geht weit hinaus über den blossen Dienst des
Instinkts und damit der Selbsterhaltung obgleich nicht verkannt werden darf,
dass auch im Menschen mit dessen Den-[33/34]ken verbunden ist ein mächtiger
instinktiver Theil, für den Zweck der Selbsterhaltung bestimmt, und
unbewusst dafür wirkend. Der Mensch besitzt ausserdem einen völlig
selbstlosen Drang, sein Wissen in das Unbegrenzte hinaus zu vermehren; der
Spruch unseres grossen Dichters sagt wahr: nichts ist so hoch und nichts
so ferne, wohin sein Flügel ihn nicht trug, bis an des Aethers bleichste
Sterne erhebt ihn der Gedanken Flug"; und er besitzt eine natürliche
geistige Befähigung dazu von unvergleichlich höherer und reicherer
Ausstattung. Ferner aber sein erworbenes Wissen wird den folgenden Generationen
überliefert, freilich nicht durch Vererbung, sondern durch Annahme von
Belehrung. Und so sammelt sich und bildet sich im Laute der Jahrhunderte ein
gemeinsamer Schatz des Wissens und Könnens für das Menschengeschlecht,
zunehmend reicher werdend, freilich auch Irrthümer aufnehmend, jedoch auch
zunehmend von diesen sich wieder befreiend; von welchem Schatze dann ein Jeder für
sich nehmen kann, während zu dessen Vermehrung nur sehr wenige beitragen.
Dabei ist (dies ist wohl zu unterscheiden) nichts zu bemerken von einer
Steigerung der natürlichen geistigen Befähigung selbst im Gange der
Geschichte des Menschen-Geschlechts in der Folge der Generationen, und auch eben
so wenig von einer Minderung derselben. Man unterscheide doch immer scharf die
natürlichen geistigen Fähigkeiten der Menschen von jenem möglicher
Weise zu erwerbenden und erworbenen, wie auch verlierbaren und manchmal wieder
verlorenen, äusseren, gemeinsamen, geschicht-[34/35]lich sich bildenden,
Wissens-Schatze. Dessen Steigerung bis zu einem gewissen hohen Grade ist es was
Cultur genannt wird; und eben deswegen kann diese einem Volke auch sehr rasch,
ja fast plötzlich wieder verloren gehen*)[.]
*) Gewiss ist anzunehmen richtig, dass die sehr grossen
Aenderungen des Cultur-Zustandes, welche ein und dasselbe Volk erfahren kann im
Verlaufe seiner Geschichte, durchaus nicht Folge sind und nicht begleitet sind
von Aenderungen in dessen natürlicher geistigen Befähigung. Die
Culturen, welche jetzt in so manchen Landschaften begraben liegen unter Ruinen
und Schutthügeln z. B. in Aegypten, Griechenland, Klein-Asien,
Mesopotamien, Arabien, Persien, Central-Asien, Siam, Amerika u. a. sind wirklich
zu betrachten nur wie verlorene Schätze, welche die Vorfahren der jetzigen
Bewohner besassen. Wenn auch letztere nicht einmal die in Stein und Felsen
eingegrabenen Schriftzeichen noch verstehen, wodurch jene ihnen den
Wissens-Schatz überliefern wollten, kann ihnen doch die gleiche natürliche
geistige Befähigung mit ihren Vorfahren nicht abgesprochen werden. Die
jetzigen Nachkommen sind häufig wieder ein wanderndes Hirten-Volk geworden,
aus dem Grunde weil die meisten Ruinen untergegangener Cultur-Stätten
vorkommen im Subtropen-Gürtel, wo diese wegen der mangelnden Sommer-Regen
nur längs den Flussbetten der Steppe sich bilden und sich erhalten konnten,
und auch nur mit Hülfe, ja unter der Bedingung, künstlicher Bewässerungen,
welche aber sehr leicht und rasch zu zerstören sind, dagegen schwer und
langsam wieder herzustellen. Eben so wenig liefert uns ein vergleichender
Ueberblick über die Geschichte der Menschheit eine empirische Berechtigung
zu der Meinung, es seien in den ersten uns bekannten geschichtlichen Zeiten die
natürlichen geistigen Fähigkeiten der [35/36]
Im Laufe der geschichtlichen Zeit, so weit wir sie zu überblicken
vermögen, kann man auf der ganzen Erde unterscheiden an Zahl acht grösste,
mehr oder weniger getrennt und unabhängig von einander entstandene und
gebliebene, zu einer gewissen bedeutenden Höhe gelangte, Cultur-Centren. Es
sind folgende: in der Alten Welt, das chinesisch-japanische, das
indisch-malaiische, das eranisch-semitische, das ägyptische, das
griechisch-europäische (heidnische und christliche), das arabische, und in
der Neuen Welt, das aztekische und das peruische. In der Gegenwart bestehen
davon vier: das chinesisch-japanische, das indisch-malaiische, das arabische
oder islamitische, und das europäische. Darunter ist bei weitem das überlegenste,
das productivste und das activste das europäische, und dieses ist es auch
allein, welches bewirkt, dass, anstatt der früheren Trennung, nun alle in
Verbindung unter einander gebracht sind und noch werden, erst seit jüngster
Zeit auch China und Japan, austauschend ihre Waaren, Gedanken und Geschicke.
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 35] damaligen Menschen schwächer
gewesen als in der Gegenwart (z. B. man denke an die alten Aegypter und deren
jetzige Nachkommen), oder aber im Gegentheil es habe seitdem eine innere
Fortbildung der geistigen Fähigkeiten selbst stattgefunden, anstatt nur
eine äussere Ausbildung des mittels derselben erworbenen Wissens, womit
freilich auch eine Entfaltung, d. i. Anwendung, der natürlichen Fähigkeiten
verbunden ist. Dies gilt z. B. für die alten Germanen, Gallier und
Britannier, in Vergleichung mit deren jetzigen Nachkommen, wie für die
jetzigen Kaffern, Polynesier u. s. w. in Vergleichung mit deren zukünftigen
Nachkommen. [36/37]
Denkwürdig, für die Vergangenheit wie für die
Zukunft, sind besonders zwei Thatsachen, erstens, dass wir geschichtlich die
Existenz des Menschen auf der Erde nicht weiter nachweisen können als für
die sehr kurze Spanne Zeit von etwa 7000 Jahren (also kaum mehr als 200
Generationen umfassend), und auch geologisch, mit grösster Kühnheit,
nur von 100,000 Jahren (nach Lyell)*); zweitens, dass erst seit einigen
Jahrzehnten die Erdkugel, unser kleiner Wohnstern, gleichsam sich selber im
ganzen Umfange ihrer Oberfläche kennen gelernt hat, womit begonnen hat ein
Zusammentreffen aller ihrer Völker, der cultivirten sowohl mit anderen
cultivirten wie mit uncultivirten Völkern, und damit auch eine gemeinsame
Geschichte des Menschen-Geschlechts. Dies ist gewiss eine wichtige Epoche für
die weitere Entfaltung von dessen mannichfachen natürlichen geistigen Fähigkeiten,
- wir sagen wohl bewusst Entfaltung, und nicht Ausbildung weil wirklich manche
vorhandene geistige Fähigkeiten nur unangewendet, d. i. unentfaltet,
bleiben bei Völkern und bei Individuen, aber keine selber gesteigert wird,
und für fernere Vermehrung und Ausbildung des gemeinsamen Wissens und Könnens.
In solchem Sinne kann man sagen, dass nun der Menschen-Geist die
*) Wie fast verschwindend kurz diese Zeit ist in Vergleichung
mit dem Alter der Erde und anderer Organismen, tritt deutlicher hervor wenn man
auch diese Zeit zu bestimmen sucht, aus der Temperatur und der Mächtigkeit
der geologischen sedimentären azoïschen Schichten, wofür viele
Millionen Jahre anzunehmen vollkommen gestattet ist (nach J. Croll u. a.).
[37/38]
ganze Erde in Bezitz [Besitz] zu nehmen in Begriff ist und dass
nun erst die eigentliche Geschichte d. h. eine gemeinsame zusammenhängende
Geschichte der Menschheit, begonnen hat, nachdem die Vorspiele auf getrennten
Gebieten beendigt sind. Und diese Wirkung macht sich sogar schon geltend in
solchem Maasse, dass man den Charakter unserer Zeit nicht ungeeignet kurz
bezeichnen könnte als tellurisch".
Was eben angedeutet ist für die zeitliche Folge bestätigt
sich bei der Vergleichung der Völker als geltend auch in der räumlichen
Vertheilung. Die uncultivirten Völker zeigen freilich einen sehr grossen
Contrast zu den cultivirten Völkern, indessen es wäre unrichtig, wenn
man damit auch sehr grosse Unterschiede annehmen wollte in den natürlichen
geistigen Fähigkeiten. In dieser Hinsicht ist eine ziemlich gleiche
Vertheilung im Menschen-Geschlechte anzuerkennen, bestehen zwar Unterschiede,
aber keine sehr erhebliche ethnologische Unterschiede. Wäre es nicht so,
dann wäre dies schwierig zu erklären sowohl vom materialistischen wie
vom spiritualistischen Standpunkte aus; für jenen wäre schwierig, zu
erklären, warum bei sonst gleich kräftiger Körperbildung das Hirn
allein durch sehr schwache Function sich auszeichnen sollte von den übrigen
Organen, und für letzteren Standpunkt, warum bei der Vertheilung von Geist
gewisse Völker so auffallend geringer bedacht worden sein sollten. Auch
empirisch ist das eben Gesagte erwiesen, zunächst bei Kindern durch die
Erfahrungen in den Schulen der Missionäre, sogar in Australien; und im
reiferen Lebensalter ist namentlich in Jamaica, Vene-[38/39]zuela und Brasilien
Gelegenheit, es bestätigt zu finden. Es ergiebt sich ganz besonders schon
aus der Sprache, welche doch jedes Kind zu erlernen hat, und welche bekanntlich
bei den uncultivirten Völkern nicht weniger reich ist an Wurzeln und Formen
als bei den cultivirten Völkern, ja mehr die primäre Unterlage, die
vorhergehende Bedingung, der Cultur darstellt als umgekehrt erst nachher als
Ergebniss der Cultur sich bildet*). Man kann daher sagen, der Mensch hat überall
sehr mannichfache geistige Befähigungen; diese kommen aber sehr selten oder
niemals sämmtlich zur Entfaltung. Sogar in keinem Individuum gelangen die
geistigen Fähigkeiten, welche es besitzt, sämmtlich oder vollständig
zur Entfaltung, am wenigsten aber im Zustande der Uncultur, welche eben nur
darin besteht, dass jener gemeinsame geschichtlich erworbene Wissens-Schatz
entweder im Volke überhaupt noch nicht sich gebildet hat, oder vom
Einzelnen nicht benutzt worden ist. Man kann aufstellen, dass mit dem Tode eines
jeden Menschen ein grösserer oder geringerer Theil seiner geistigen Fähigkeiten
ohne Entfaltung erfahren
*) Für diese wichtige Thatsache bedarf es der Zeugnisse von
Autoritäten. H. Steinthal sagt darüber: es ist merkwürdig,
dass die Sprachforscher immer wieder von gut gebildeten Missionären sich
belehren lassen müssen, wie feinfühlig die den Affen nahe stehen
sollenden Racen ihre Sprachen, nach der begrifflichen und auch nach der
lautlichen Seite hin, entwickelt haben." (s. Zeits. f. Völker-Psychologie
und Sprachwissenschaft 1877, S. 165). Gleichlautende Angaben finden sich in O.
Peschel's Völkerkunde" 1874, S. 155, in J. Lubbock's Origin of
civilisation, 1870, p. 316, u. A. [39/40]
zu haben mit ihm abscheidet; dagegen bei den Thieren kommt der
ganze Intellekt zur Entfaltung, und bleibt nichts übrig weiter zu
entfalten. Jedoch, wie gesagt, in den natürlichen geistigen Fähigkeiten
des Menschen-Geschlechts selbst ist weder eine geschichtliche Steigerung oder
aber Minderung, noch auch ein gleichzeitiger erheblicher ethnologischer
Unterschied wahrzunehmen, wenn man wohl trennt, im Begriffe, die Fähigkeiten
von deren Anwendung und dem damit Erworbenen. Die Cultur ist äusserer
Erwerb, die so entsteht und so vergeht.
Dagegen in der Thierwelt ist von jenem oder einem ähnlichen
gemeinsamen, allmälig in den Generationen sich ansammelnden, sich
fortsetzenden, sich ändernden und sich ausbildenden, Schatze von Wissen und
Können nicht einmal eine Spur zu finden. Deren Instinkt, oder Intellekt,
ist vollendet in sich, der Belehrung weder bedürftig noch fähig, und
der Mensch ist auch nicht vermögend, dafür eine Verbesserung zu
ersinnen und zu lehren, z. B. eine Verbesserung für die Baukunst des
Bibers, für die Jagdkunst des Fuchses oder des Falken, für den Bau der
Bienenzellen (so richtig geometrisch und zwar in collectiver Weise ausgeführt;
gelegentlich kann man sagen, analog sei die Bildung der Sprachen erfolgt) oder
der so einfachen Schwalben-Nester. Wenn auch diese Künste nicht absolut die
vollkommensten sind, so sind sie es doch für die Thierarten. Was der Mensch
den Thieren[!] lehrt, z. B. dem[!] Hunde, Pferde, Falken u. a. dient auch
niemals zum Nutzen dieser selber, sondern zu seinem [40/41] eigenen; und ferner
das von den Thieren auf solche Weise Angenommene kann von diesen gar nicht übertragen
werden auf ihre Nachkommen. Deutlicher zeigt sich die zwischen der Intelligenz
des Menschen und dem Instinkte des Thiers ohne Uebergang bestehende schroffe
Grenze, sobald es selbständiges eigenes Denken ist worauf es ankommt, und
dies beim Thiere als völlig mangelnd versagt. Der Mensch kann z. B. einem
Affen oder einem Elephanten lehren, automatisch einen Bratspiess zu drehen, aber
nicht den Zweck davon einzusehen, und auch nicht einmal das Feuer darunter zu
unterhalten durch einfaches rechtzeitiges Nachlegen eines Stückes bereit
liegenden Holzes. Hier besteht eine Grenze der Gelehrigkeit, welche unüberschreitbar
und permanent ist; sie trennt wesentliche Verschiedenheiten, nicht nur
graduelle; qualitative, nicht nur quantitative. Der Instinkt oder Intellekt der
Thiere ist nicht fähig, die geringste Erfindung zu machen, unfähig zu
jedem Fortschritte; aber er bedarf dessen auch gar nicht und strebt auch nicht
danach, er ist vollendet in sich, für seinen Zweck, dieser ist die
Selbsterhaltung. Dies muss eben zu jetziger Zeit stark hervorgehoben werden.
Dagegen der Mensch ist offenbar nicht vollendet in sich, dessen
Zweck ist noch nicht erreicht, er kann lernen, entdecken und erfinden, und,
nicht zufrieden, strebt er fortwährend danach, den eigenen und den
gemeinsamen Schatz des Wissens und Könnens selbstlos zu vermehren und
weiter auszubilden. Wie weit ihm dafür Grenzen gesteckt sind, ist gar noch
nicht zu er-[41/42]sehen, obgleich zahlreich Gelegenheiten geboten sind, den
grossen Abstand zu erkennen, in welchen die uncultivirten Völker und
Individuen zurückbleibend sich halten von den mit einer Menge von Wissen
erfüllten und damit sich beschäftigenden cultivirten Völkern und
Individuen. Fürerst wird voraussichtlich diese geschichtliche
intellectuelle Entfaltung und Ausbildung in solchem Sinne noch weithin sich
fortsetzen, und zwar indem sich zugleich, wie schon angedeutet ist, auch das räumliche
Gebiet dafür erweitert hat und nun die ganze bewohnte Erde umfasst. Diese
Aussicht für die Zukunft des Menschen-Geschlechts kann auch der Pessimismus
nicht leugnen.
Das Denken des Menschen zeigt zwar eine gewisse grosse Abhängigkeit
von seinem Denk-Organe, dem Hirn; wer weiss, nicht, welche Einwirkung auf das
Denken und auf das Gemüth ausgeübt wird durch materielle Angriffe des
Hirns, wie durch Erschütterung, Druck, Fieberzustand, Alkohol, Opium, auch
bleibende, wie im Cretinismus. Dagegen aber ist auch unverkennbar bestehend eine
gewisse Unabhängigkeit des Denkens vom Hirn; und diese wird erwiesen
vornehmlich durch folgende Thatsachen: - durch eine gewisse Initiative in der
Einwirkung, welche vom Denken ausgeübt wird auf sein materielles
Substrat*),
*) Zu erinnern ist hier an Fr. Hemsterhuy's Argument, dass, nach
anerkannten Gesetzen der Mechanik (von Galilei, Kepler u. Newton aufgestellt),
kein Körper im Stande ist, selbständig eine Bewegung zu beginnen, und
auch nicht zu verstärken oder in der Richtung zu ändern; aber die
beseelten Organismen [42/43]
wie auch umgekehrt durch ein Freibleiben des Denkens und der
Entschliessung selbst bei grossen körperlichen Leiden. - Ferner spricht
wenigstens für jene Unabhängigkeit die Thatsache, dass eine Vererbung
besteht einigermaas[s]en von erworbenen physischen Fertigkeiten, (ein Beispiel
liefert uns der Körperbau der Gebirgs-Bewohner in Vergleichung mit dem
eines Reiter-Volkes), aber nicht von psychischen Erwerbungen, indem Kenntniss
nnd [und] Ideen nicht Theil nehmen an der Vererbung, was schon oft beklagt
worden ist. Die anerkannte Familien-Aehnlichkeit giebt Gelegenheit zu bemerken,
dass sie weit weniger gilt für die geistigen Fähigkeiten als für
die physische Gestalt; dies ist wohl nicht zu bestreiten; die Glieder einer
Familie, auch Geschwister, zeigen in den ersteren ganz gewöhnlich sehr
grosse Unterschiede. - Gesetzt ferner, die Körper-Gestalt des Menschen wäre
hundertmal grösser als sie jetzt ist, dann würden zwar kaum
zweifelhaft in demselben Maas[s]e auch dessen physische Kräfte grösser
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 42] vermögen es; dies
Vermögen ist enthalten in deren Willen. (Beiläufig gesagt, daher ist
unannehmbar das Verfahren einer neueren Philosophie, den Ausdruck Wille"
auszudehnen auf alle Bewegungen in der grossen Natur überhaupt, und so
jenen mit diesen, d. i. die Energie, zu identificiren, s. Schopenhauer, Die
Welt als Wille und Vorstellung"). - Man kann ferner sagen, für die
durch den Willen bewirkten Bewegungen in den Organismen, zunächst der
Muskeln, gilt nicht das Gesetz von der Erhaltung der Kraft; der Wille ist kein
mechanischer Impuls, er giebt den Muskeln initiativ Anregung zur Contraction
mittels Innervation, und jene Bewegungen verwandeln sich auch nicht wieder in
Willen. [43/44]
sein, aber wer wird annehmen mögen, dass dann auch dessen
natürliche geistige Fähigkeiten im Verhältnisse zum Umfange des
Hirns irgend zugenommen haben würden? eine Biene oder eine Spinne oder gar
eine Ameise, zeigen sie nicht mehr Intellekt als eine Kuh? - Ein ganz besonderes
Zeugniss ist enthalten in der Thatsache, dass allein bei dem
Menschen-Geschlechte die Genies vorkommen, wenn man diese auch nur betrachtet
als in excessiver Weise über den mittleren Stand der geistigen Befähigung
sich erhebende absolute Extreme; solche excessive Extreme sind völlig
fehlend in den physischen Verhältnissen. Dazu kommt, dass bei dem
wirklichen Genie keine Vererbung bekannt ist, wenigstens nicht bei den grössten
Dichtern, Künstlern und Denkern. - Sehr deutlich besitzt die Annahme von
Immaterialität des Geistes eine starke Stütze in der Thatsache, dass
bei dem Affen, diesem körperlichen Anthropoïden, das Hirn in seiner
anatomischen Structur und Textur kaum eine Verschiedenheit von dem des Menschen
erkennen lässt, nach Aussage der besten Autoritäten, und das[s]
dennoch dies vierhändige Kletterthier keine Spur zeigt von selbständigem
Denken, oder Geist, oder Intelligenz, sondern durchaus nur den thierischen, auf
den Dienst des Instinkts, also der Selbsterhaltung, beschränkten Intellekt,
ja auch darin nicht einmal andere Thiere erreicht, z. B. den Elephant, Hund,
(dessen Klugheit unstreitig mehr hervortreten würde, wenn er ausser den Füssen
auch Hände hätte, wie der Affe), Raben, Papagei. Auch fehlen ihm zur
Sprache nicht durchaus die Sprach-[44/45]Werkzeuge, (obgleich er freilich doch
keine besonderen Mittel zur Stimmbildung zu besitzen scheint, nicht mehr als
andere Thiere, wie denn auch die menschlichen Articulationen nicht zu den
Gegenständen seiner Nachahmungen gehören), folglich fehlt ihm dazu nur
das selbständige Denken. - Das stärkste Argument für Unabhängigkeit
des Denkens vom Hirn ist für uns freilich schon verbunden mit unserem
kosmologischen Standpunkte, da wir doch erkennen müssen aus dem kosmischen
Denken, dass zum Denken ein Hirn nicht durchaus nothwendig ist.
Es wäre zu viel verlangt, wenn man nun auch angeben sollte,
wie beim Menschen die Verbindung zwischen dem Denken, oder dem Geiste, und dem
Denk-Organe, dem Hirn, besteht; dies geht über unser Wissen*). Sicher ist,
dass zunächst die Erkenntniss-Mittel, die Sinne, an dies Organ geknüpft
sind (welchem sich anschliesst das übrige Nerven-System, zunächst der
s. g. sensitivo-motorische Apparat); anstatt darin einen Sitz der Seele"
anzunehmen, ist uns deren unverstandene Verbindung damit zusagender. Es ist aber
eben so sicher, dass dann in der Hirnmasse eine räumliche Ver-
*) Zu gedenken ist hier der in unserer Zeit, begonnenen sehr
werthvollen Versuche unter dem Namen Psycho-Physik auf exacterem Wege als früher
auf das Problem der Beziehungen von Körper und Seele einzugehen; dort
werden physische und psychische Grössen einerseits von einander
unterschieden, anderseits mit einander in Beziehung gesetzt, und womöglich
in ihren Verhältnissen sogar mathematisch bestimmt, zunächst die
Proportion der Reize und der Empfindung. [45/46]
theilung, oder Localisationen, der verschiedenen geistigen Fähigkeiten
zu erkennen und nachzuweisen, nicht gelungen ist, trotz den vielen Bemühungen,
weder pathologisch, noch phrenologisch, noch experimentel-physiologisch (s. auch
F. A. Lange, Geschichte des Materialismus, 1866, S. 427). In der neueren exacten
Physiologie wird jetzt von Forschern ersten Ranges die Existenz der Seele, das
ist des Geistes, anerkannt*). Besonders bestimmend ist dabei der Grund, dass das
von den Sinnen Empfundene, um eine Wahrnehmung zu werden, noch bedarf einer
instinktiven Beurtheilung (der unbewussten Schlüsse", nach
Helmholtz), und weil eine Einheitlichkeit des Bewusstseins besteht
(hervorgehoben namentlich von J. Herbart, H. Lotze, J. Henle u. a.),
obgleich doch die einwirkenden Eindrücke so vielfach sind, und obgleich es
doch eigentlich zwei Gehirne giebt. Hier müssen wir den Satz wiederholen,
wie oben in der Sternen-Welt, dass aus der Existenz einer Wirkung geschlossen
werden darf auch auf die Existenz
*) In der That es liesse sich eine ganze Reihe von Physiologen
ersten Ranges anführen (beginnend mit Joh. Müller, E. H. Weber,
Purkinje u. a.), welche die Psyche direkt als einen Gegenstand der strengen
physiologischen Forschung betrachten und behandeln, und zwar mit sicherem und
zunehmendem Erfolge. Unstreitig gehört auch diese Thatsache zu jenen grössten
der in neuerer Zeit gewonnenen Einsichten, durch deren Erwerb der allgemeine
Wissens-Schatz in unseren Tagen so ausgezeichnet worden ist, und an die oben als
solche angegebenen vier (s. § 1,) reiht sich wahrlich würdig an, als fünfte,
diese Anerkennung der Psyche in der neueren Physiologie. [46/47]
einer vorhandenen Ursache derselben, sogar dann wenn dies Agens
selber für unsere Sinne unmittelbar völlig unerkennbar ist, und dass
dies dem richtigen inductiven Verfahren angehört. Dagegen muss entschieden
für unannehmbar erklärt werden der gewaltsame und zur Zeit von
namhaften Biologen und Philosophen unternommene oder gebilligte Versuch, auch
hier sinnliche Vorstellung zu erzwingen, und die bei physikalischen Vorgängen
(wo rein quantitative Unterschiede mit Aenderungen der Lage genügen zur
Erklärung) mehrfach bewährt gefundene, mechanische Vorstellung,
mittels Schwingungen von Molekeln oder Atomen, auch im Hirne anzuwenden, zur
Erklärung des Denkens. Diese Erklärung ist zwar sehr einfach, aber in
der That gar zu einfach, entweder aus Naïvetät*) oder aus
Verzweifelung. Folgerichtig müsste dann dabei auch das Gesetz von der
Umsetzung der Kräfte in Anwendung kommen, und auch gefordert werden, dass
es möglich sei, das Denken zu messen. So schwierig es ist, selbst das
Denken sich vorzustellen ohne Stoff, weil unser Denken ja vorwiegend vom Sinne
des Sehens entlehnte, anschauliche, bildliche Vorstellungen enthält, - ob-
*) Ist es nicht naïv zu nennen, wenn, wie eben jetzt
besonders üblich ist, der Grundsatz ausgesprochen wird: man muss
nicht Unbekanntes erklären wollen durch Unbekanntes", aber dies dann
dahin verstanden wird: man muss Unbekanntes immer nur durch Bekanntes erklären",
wozu dann vorzugsweise das aller Einfachste und deshalb Bekannteste gewählt
zu werden pflegt, oder das dem Einzelnen nächst bekannt Gewordene ? [47/48]
gleich auch die Physik in neuester Zeit geneigt ist, anzunehmen
atomistische Kraft-Centren und Kraft-Linien, unverbunden mit Stoff (Faraday) -
so ist doch noch weit schwieriger, das Denken zu erklären als Vibration von
Atomen oder der Ganglien oder der Fibern der Hirnmasse. In der That, wenn man
vor eine solche Alternative gestellt sich entscheiden muss, dann müssen
wir, zumal gestützt auf die gewonnenen thatsächlichen Beweise für
die Teleologie oder das Denken im Weltall, uns entscheiden für die erstere
Auffassung, als vorläufig die allein annehmbare. Ganz unmöglich aber
ist es für uns, noch ferner zu meinen, dass in der Welt das Denken Vorgang
habe allein in den Hirnmassen der Menschen und der Thiere.
Nachdem im Universum das einheitliche Denken und die fehlerlose
Aeusserung der logischen Gesetzlichkeit, der Geist, aufgefasst worden ist, muss
als die Aufgabe für die Philosophie erscheinen, von solchem Ausgange her,
auch den Geist des Menschen in dessen allgemeiner natürlichen Stellung und
auf rein naturwissenschaftliche Weise aufzufassen und zu bestimmen. Folgende
Grundzüge scheinen dafür schon annehmbar. - Zuvor muss man immer
unterscheiden vom Denken selbst, oder vom Geiste, dessen körperliche,
anatomisch-physiologische, die Aufnahmen und die Aeusserungen vermittelnde,
Unterlage, den sensitivo-motorischen Apparat, das Hirn- und
Nerven-[48/49]System*); dann muss man unterscheiden im Geiste, oder in der
Seele, die damit verbundene geistige automatische, instinctive Zugabe, welche
unbewusst wirkend nur dem Zwecke der Selbst-Erhaltung dient, wie bei den Thieren
**), welche aber beim Menschen von dem bei ihm hinzukommenden selbständigen
Denken, von der Vernunft, beherrscht werden kann; und endlich muss man
unterscheiden dies eigentliche, bewusste, selbständige Denken, den
eigentlichen menschlichen Geist ***). Diesen, also das selbständige
menschliche Denken, wenn auch ein Ganzes bildend, ist es
*) Man muss hinzufügen, dass ohne diese Vermittelung die
Geister der Menschen gar nicht, auch nicht auf einander, wirken können;
wenigstens haben wir darüber keine Erfahrungen.
**) Der Instinkt ist freilich, was die damit verbundenen
angeborenen Fertigkeiten betrifft, beim Menschen weit geringer ausgestattet als
bei den Thieren. Z. B. ein junges Huhn, das eben das Ei verlassen, ist sofort fähig
die Entfernung richtig mit den Augen abzumessen bei dem Laufen, Sehen und
Ergreifen der Hörner; eine junge Ente kann sofort schwimmen, und auch ein
junger Affe richtig springen, gleichsam a priori. Aber beim Menschen-Kinde
bedarf es jahrelanger Erfahrung und Uebung, um die nöthigsten Fertigkeiten
zu erwerben, und kommen diese schliesslich doch erst zu Stande nach, unter
Mitwirkung der Vernunft, langsam erworbenen Kenntnissen und Urtheilen.
***) Es mag hier ausgesprochen werden, dass eine Differenz der
beiden Geschlechter nicht auch in den natürlichen geistigen Fähigkeiten
selbst angenommen werden kann, jedoch zunächst noch in der instinctiven
Zugabe des Geistes sich äussert. (Auch der Jäger und der Vogelfänger
finden ja keinen derartigen Unterschied in der Gelehrigkeit der Hunde und der Vögel).
[49/50]
geeignet einzutheilen: in Wahrnehmen, Urtheilen*) und Handeln
(wie es auch bei Kaut, in dessen drei Kritiken, der erkennenden, der
urtheilenden und der praktischen Vernunft, und anderen Philosophen sich findet,
und wie ja dem entsprechend und dienend das physiologische Substrat, der
Nerven-Apparat. angeordnet sich erweist). - Daraus geht hervor auch die Frage
von der moralischen oder ethischen Eigenschaft der menschlichen Handlungen,
welche Frage bei dem Instinkte der Thiere noch gar nicht besteht. Das moralische
Böse wird verschieden vom Guten erst beim Menschen; es entsteht erst im
Streite des menschlichen Instinkts, welcher nur der Selbsterhaltung, und damit überhaupt
der Selbstsucht, dient, mit der Vernunft, wenn diese ihre Herrschaft über
jenen nicht ausübt, in den Fällen, wo der
*) Das Urtheilen ist hier in weiterem Sinne gemeint; vielleicht
ist nicht ungeeignet, dabei einen neueren Ausdruck Ideation", zu
gebrauchen. Denn es ist noch erwähnenswerth, dass des Menschen Denken
(welches wesentlich besteht in Vergleichen und Unterscheiden, in Verbindungen
neuer Eindrücke mit den zahlreichen früheren durch die Erinnerung
hervorgerufenen Gedanken und Bildern, und im Aufbauen mittels der Phantasie) ein
unablässig sich fortsetzender Process ist, indem auf dem Grunde fester und
bleibender Kenntnisse und Meinungen ein beständiges Wogen von Gedanken
Vorgang hat, ein Verarbeiten von Denk-Material, wonach der Geist verlangt, und
dessen er bedarf, gleichsam wie eine Mühle des Aufschüttens von Korn,
(daher kann Langeweile bildlich genannt werden der Hunger des Geistes).
Verbunden damit ist auch stärker oder geringer ein Wogen von Gefühlen
und Affecten. [50/51]
Instinkt sein berechtigtes Maas überschreitet. Die Vernunft
ist es welche jenem, mit Unterstützung des Gewissens, Beschränkung
auferlegt und so Entsagung ausübt, und schon damit unstreitig dem Menschen
eine edelere Stellung giebt, denn etwas Edeles liegt immer in der Entsagung*). -
Bei allen jenen angenommenen
*) Hier wird das Gebiet der Ethik berührt und die folgenden
kurzen Bemerkungen von unserem naturwissenschaftlichen Standpunkte aus wollen
wir darauf uns erlauben. So ist es wirklich das Wissen was erst die Bedingung
wird zur Entstehung des moralisch Bösen (woher auch das Wort Gewissen"
- conscientia - ein so überaus treffender Ausdruck ist; es ist das mit dem
Wissen unmittelbar verbundene, und nicht ohne dieses bestehende, moralische Gefühl).
Damit stimmt ja überein auch im biblischen Symbol des Sündenfalls der
sinnvolle Ausspruch der Schlange: Ihr werdet wissen was gut und böse
ist." Wir wünschen aber hier mehr hervorzuheben als es gewöhnlich
geschieht, dass mit dem Wissen nicht nur das moralisch Böse zu Stande
kommt, sondern auch das moralisch Gute. Und wir finden, dass auch in dieser
uralten Frage über den Ursprung jener beiden Gegensätze, welche die
Philosophen von jeher beschäftigt hat, es wieder die richtig verstandene
Teleologie ist, welche uns bei der Erklärung die beste Hülfe leistet.
Der Instinkt ist den Thieren gegeben zum Zwecke der Selbsterhaltung, und er enthält
damit wesentlich Selbstsucht; so auch ist er gegeben dem Menschen, diesem
frelich [freilich] neben der Vernunft, d. h. neben dem bewussten selbständigen
Geiste, welcher wesentlich die Selbstsucht ablehnt und Selbstlosigkeit besitzt.
(Da die Fähigkeiten des Menschen-Geistes auf der Erde immer nur unvollständig
zur Entfaltung kommen (s. früher § 7), nicht aber die des Instinkts
der Thiere, liegt darin unstreitig eine gewisse Berech-[51/52]
drei Eintheilungen des eigentlichen Geistes macht sich
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 51] tigung zur Folgerung, dass
der Zweck des Menschen-Geistes nicht allein auf die Erde beschränkt sei,
wohl aber der des Instinkts). Jedenfalls erkennen wir so im Menschen gleichsam
zwei verschiedene teleologische Gebiete neben einander bestehend; und wenn bei
ihm eine Handlung des Instinkts diese Zwischengrenze überschreitet, so kann
entstehen auf dem Gebiete des bewussten Denkens ein Conflict zunächst nur
dadurch, dass hier der ursprüngliche selbstsüchtige Zweck der Handlung
seine Geltung verliert und eine missbilligende Beurtheilung erfährt vom
Wissen und Gewissen auf dem Gebiete mit selbstloser Teleologie; in diesem Falle
wird die Handlung erst hier eine moralisch böse. Sie kann aber auch
gebilligt werden, und dann wird sie erst hier eine moralisch gute. Kinder sind
wie die Thiere schuldlos aus Unwissenheit, aber damit auch frei von Tugend. Da
nun auch die Tugend erst entsteht mit dem bewussten Wissen, würde, so
verstanden, gleichzeitig mit dem ersten Sündenfall auch erst entstanden
sein, - und dies ist eben was hier, wie schon gesagt, besonders hervorgehoben
werden soll - die Möglichkeit einer Erhebung in die Tugend; neben der Erbsünde
würde stehen auch eine Erbtugend, und damit würde dem Menschen von der
Ethik, ausser der angenommenen beständigen, unabtragbaren und drückenden
Sünden-Schuld auch ein gewisses Anrecht auf Gerechtigkeit zu erkannt werden
müssen. Für die bewusste und gefühlte Existenz dieses Anrechts
ist unzweifelhaft ein unabweisbares Zeugniss enthalten schon in der einfachen
Thatsache, dass es nicht nur ein böses, sondern auch ein gutes Gewissen
giebt, und dass letzteres auch ein ruhiges heisst, indem dessen Besitzer sich
bewusst ist, dem inneren moralischen Gesetze genügt zu haben und damit der
Achtung seiner selbst werth zu sein, welches Bewusstsein ihm nicht nur die stärkste
Stütze gewährt im Kampfe gegen Unrecht, sondern worin er auch [52/53]
bemerklich, Gefühl, mit den Affecten, vor allem freilich in
dessen instinctiver Zugabe.
Wenn wir nun einen Rückblick werfen auf die Ergebnisse, zu
welchen wir uns in Hinsicht auf die neue kosmologische Natur-Auffassung bekannt
haben, so geben wir als solche kurz folgende an. Im Weltall ist eine Teleologie
auf rein inductivem, naturwissenschaftlichem Wege zu erkennen und anzuerkennen,
und damit ist verbunden, das im Weltall Gedachtes und ein Denken mit logischen
Gesetzen besteht. Mit dem im Universum sich offenbarenden Denken ist das Denken,
oder der Geist, des Menschen identischer Art, und unterworfen denselben
logischen Gesetzen, wenn es auch nur ein schwaches Minimum darstellt in
Vergleichung mit jenem. Das Denken, oder der Geist, gehört demnach auch zur
realen objectiven Natur, in deren weitestem vollständigen Sinne, und das
mensch-
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 52] seinen Lohn findet, und
welches sogar die Bedingung ist eines jeden Glückes. - Soweit uns bekannt
ist, ist der Ursprung des moralisch Bösen und die Antinomie des moralisch
Guten und Bösen nicht schon früher so zu erklären versucht
worden, und zwar in Eintracht mit der allgemeinen kosmologischen Teleologie, wie
es hier eben angedeutet worden ist. Durch diese Erklärung ist auch die
Annahme des Teufels zur Entstehung des Bösen unnöthig geworden; denn
dieser ist nun der selbstsüchtige Instinkt, wenn dieser von seinem Gebiete,
auf welchem er völlig berechtigt ist, gelangt auf das Gebiet der Vernunft,
und hier der Missbilligung des bewussten, selbständigen und selbstlosen
Wissens und Gewissens begegnet. [53/54]
liche Denken bleibt nun gleichfalls nicht beschränkt auf
die engen Grenzen unserer kleinen Erdkugel, insofern es selber einen Theil des
im Universum wirkenden Geistes darstellt, ähnlich wie die erdischen
Elementarstoffe und die Kräfte Theil nehmen an der allgemeinen Vertheilung
im Weltall. Daraus darf, ja muss gefolgert werden, theoretisch, dass der Geist
auch Theil nehme an der allgemeinen Unvergänglichkeit, und damit auch an
der Anfangslosigkeit, wie es allem real in der Welt Seienden zugesprochen werden
muss, vorausgesetzt dass es nicht nur ein Zustand ist*). In der That gemäss
unserer auf Beweisen der Induction
*) Schon früher hatte der Verfasser dieser Zeilen
gelegentlich geäussert, wie die Elementarstoffe und die Kräfte, so würden
auch die Geister im Welt-Systeme unvergänglich sein und gleichbleibend an
Zahl und an Menge. Diese Aeusserung wird nun verständlicher sein. Es mag
noch hinzugefügt werden, dass dabei nicht gedacht war an Gespenster und
auch nicht an die Geister und Mediums" der Spiritisten, von welchen
man noch niemals etwas Gescheidtes mitgetheilt vernommen bat, und noch weniger
hat man erfahren, dass von ihnen dem allgemeinen Wissens-Schatze irgend etwas
Neues zugebracht worden ist (wenn man nicht etwa dazu rechnen will, dass sie z.
B. Tische gerückt haben oder in Bindfaden Knoten geschlungen haben, u. s.
w.). - Es mag erinnert werden an die Aussage von G. E. Lessing, in dessen
grossartigem Torso, die Erziehung des Menschen-Geschlechts", (1780, §
92): Warum könnte jeder einzelne Mensch auch nicht mehr als einmal
auf dieser Welt vorhanden gewesen sein - ohne Erinnerung der vorigen Zustände?"
Bekanntlich ist die Weisheit der hinduischen Brahmanen seit lange mit der
Vorstellung [54/55]
sich gründenden Vorstellung vom realen Vorhandensein des
objectiven Geistes im grossen Ganzen der Natur, mit welchem der Geist des
Menschen identischer Art ist, müssten wir sonst für diesen eine
Ausnahme gelten lassen. Freilich empirisch haben wir in dieser Hinsicht keine
individuelle weder unmittelbare noch mittelbare Zeugnisse für den
letzteren.
Es kann nicht überflüssig erscheinen, die
Verschiedenheit der augenblicklich in der Naturwissenschaft herrschenden
Natur-Auffassung von der hier angedeuteten noch deutlicher hervortreten zu
lassen, und zu solchem Zwecke von der ersteren hier einige sie gewissermaassen
bezeugende Beispiele authentisch kurz
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 54] von der Ewigkeit der
Seele, nicht nur in der Zukunft sondern auch in der Vergangenheit, völlig
vertraut, und war es so auch die der alten Aegypter. Freilich dort ist diese
Vorstellung hervorgegangen gewesen, nur aus der Hoffnung und der Phantasie. Nun
aber ist der Versuch berechtigt, ihr einigen naturwissenschaftlichen Grund zu
geben, insofern nun gefolgert werden darf, die Unvergänglichkeit gelte im
Weltall nicht nur für das Physische, sondern auch für das Geistige. (Für
uns versteht sich dabei von selbst, dass hier in dieser Metempsychose oder
Seelenwanderung nicht auch die Thiere mit ihren Instinkten einbegriffen gedacht
werden). Auch Descartes anerkannte bekanntlich ausgedehnte Substanzen",
d. i. Körper, und denkende Substanzen", d. i. Geister, freilich
verbunden mit seiner mechanistischen Welt-Ansicht, und die neureren Psychologien
können jener Vorstellung nicht ganz widersprechen. - Es darf durchaus zulässig
erscheinen auch auf anderen Planeten im Weltraume denkende Wesen zu vermuthen,
auch vollkommenere als die erdischen, wenn man so sagen will, Engel. [55/56]
anzuführen. In einer angesehenen Schrift (1874), welche in
der Philosophie des Universum" dem wissenschaftlichen Materialismus
huldigt, heisst es: der Materialismus leugnet nicht den Geist, d. h. den
Inbegriff der geistigen Hergänge im einzelnen Menschen, so wenig wie die
Physik das Licht leugnet; aber er leugnet einen Geistesstoff wie einen
Lichtstoff, und erklärt den Geist wie das Licht" (also wirklich durch
Schwingungen des Aethers). In einer vielgerühmten Rede eines so genannten
philosophischen Physiologen heisst es oder hiess es: die Seele ist als ein
allmäliges Ergebniss gewisser materieller Combinationen entstanden, und
vielleicht im Kampfe um das Dasein gesteigert und vervollkommnet". In einer
hochgepriesenen Anthropogenie" (1874) wird gesagt, durch die
Selections-Theorie Darwin's (als Erklärung der Arten-Entstehung) sei aller
teleologischen Beurtheilung der Organismen der definitive Todesstoss"
gegeben. - Sicherlich legen jene drei Beispiele Zeugniss ab, dass bis jetzt die
exacte Naturwissenschaft noch nicht sich erhoben hat zur Philosophie, vielmehr
diese zu sich herunter ziehen will, was wohl gelingen kann und muss, wenn diese
arglos, den imponirenden Behauptungen sonst in ihrer Wissenschaft hochgestellter
Naturforscher gegenüber, bei ihrem Creditgeben nicht wohl unterscheidet.
Davon sind leider schon Beispiele vorgekommen (sollen wir eines anführen,
so nennen wir David Fr. Strauss mit seinem letzten Geisteswerke)*).
*) Es mag noch erwähnt und gerühmt werden, dass in
[56/57]
Dagegen ist hier um so mehr am Orte, mit verstärkter
Zustimmung zu erinnern an den sehr verschieden lautenden, zu wenig berühmten,
Ausspruch unseres unsterblichen Philosophen, Immanuel Kant, welchem die
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 56] A. Schopenhauer's grosse
Beachtung geniessender philosophischer Welt-Anschauung die Teleologie, als
unmittelbar in der Welt enthalten, Anerkennung findet. Leider aber hat dieser
sehr geistvolle Kenner der Welt und der Literaturen und gedankenreiche
Schriftsteller, welcher einige Capitel geschrieben hat, die ihm bleibend einen
Platz geben in der Reihe der Classiker (s. Parerga und Paralipomena, 1851), für
sein System den Ausgang genommen von der Prämisse, dass die Welt für
uns nur subjective Vorstellung sei (seine Worte lauten: wir sind nicht im
Raume und in der Zeit, sondern diese sind in uns"); und von dem Geiste oder
dem Denken des Menschen hat er die Vorstellung, es sei nur eine Function des
Hirns, analog mit der Function des Magens. - Auch dessen sehr talentvoller,
rasch berühmt gewordener, aber für einen Philosophen noch als zu
juvenil sich erweisender Nachfolger, E. von Hartmann, würde wegen seiner
auf Induction gegründeten Anerkennung der Teleologie in der Natur (s. Philosophie
des Unbewussten", 1867) gleichfalls grösseren Ruhmes würdig sein,
ohne die Ansicht, welche lautet oder wenigstens lautete: es besteht
zwischen Geist und Materie eine Wesen-Gleichheit, und wir haben es in den Fällen
des bewussten Denkens mit Hirn-Schwingungen zu thun, welche das Unbewusste
afficiren." Also beide Philosophen sind, trotz ihrer Teleologie, seltsamer
Weise, Verleugner des Geistes, der sich doch in ihnen in nicht gewöhnlichem
Maasse äussert. Ihnen gegenüber mag hier unsere Anschauung bezeichnet
werden in dem kurzen Satze: wir sind ein minimaler Theil des Weltalls,
aber auch ein minimaler Theil des im Weltall enthaltenen Geistes. ["]
[57/58]
Kenntniss der Naturwissenschaft und namentlich auch die
kosmologische Natur-Anschauung, wenn auch nur in deren damaliger unvollständigeren
Gestalt, nicht fremd war. Am Schlusse seines reifsten Werkes, Kritik der
praktischen Vernunft", 1788, sagt er die erhebenden Worte.- Zwei
Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung
und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt,
- der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. Beide
darf ich nicht als ausser meinem Gesichtskreise suchen und bloss vermuthen; ich
sehe sie vor mir, und verknüpfe sie unmittelbar mit meiner Existenz. Das
erste fängt an von dem Platze, den ich in der äusseren Sinnenwelt
einnehme, und erweitert die Verknüpfung worin ich stehe in das unabsehlich
Grosse, mit Welten über Welten, überdem noch in grenzenlose Zeiten
ihrer periodischen Bewegungen, deren Anfang und Fortdauer. Das zweite fängt
an von meinem unsichtbaren Selbst, meiner Persönlichkeit, und stellt mich
in einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verstande spürbar
ist, und mit welcher (damit aber zugleich auch mit allen jenen sichtbaren
Welten) ich mich, nicht wie dort in bloss zufälliger, sondern in
allgemeiner und nothwendiger Verknüpfung erkenne. Der erstere Anblick,
einer zahllosen Weltenmenge, vernichtet meine Wichtigkeit als eines thierischen
Geschöpfes, das die Materie, woraus es ward, dem Planeten (einem kleinen
Punkte des Weltalls) wieder zurückgeben muss, nachdem es eine kurze Zeit
(man [58/59] weiss nicht wie) mit Leben versehen gewesen ist. Der zweite
Anblick, des moralischen Gesetzes, erhebt dagegen meinen Werth als einer
Intelligenz unendlich durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische
Gesetz mir ein von der Thierwelt unabhängiges Leben offenbart, wenigstens
so viel sich aus der zweckmässigen Bestimmung meines Lebens durch dies
Gesetz abnehmen lässt, welche Bestimmung nicht auf die Bedingungen und
Grenzen dieses Lebens eingeschränkt ist, sondern in das Unendliche geht".
Am Anfange dieser kleinen Abhandlung hatte der Verfasser sich zu
der Meinung bekannt, das Wissen von den natürlichen Verhältnissen müsse
für die Philosophie die Grundlage bilden. Nun näher dem Schlusse meint
er sich nicht zu täuschen, wenn er dafür hält, dass diese
Grundlage, welche in unserer neusten Zeit eine so grosse Erweiterung zu
kosmologischer Anschauung erfahren hat, erst vervollständigt und auch
vertieft werde durch die Annahme, im Universum sei auch das Denken oder der
Geist in objectiver realer Existenz vorhanden, was sich zunächst nur
indirekt, als Wirkung, ausspricht und erkennen lässt, durch die Teleologie;
und ferner dass der Nachweis der Teleologie, nach richtiger Begriffs-Bestimmung
derselben, in rein naturwissenschaftlicher Auffassung und auf rein inductivem
Wege, durch Thatsachen und in Beispielen aus der unorganischen Natur, auch
wirklich geliefert [59/60] worden sei. Man könnte diesen der Anschauung des
Universum hinzukommenden Theil geeignet bezeichnen als die Anschauung vom
objectiven realen Geiste in diesem. Es ist die allgemeine Stellung des Geistes
im grossen Ganzen der Natur, im Weltsysteme, welche darzulegen hier versucht
worden ist. Wer aber so einen Ausgang nimmt vom objectiven Geiste im Universum,
und von dort übergeht zum eigenen subjectiven Geiste, wird einen Weg
einschlagen, welcher ganz entgegengesetzt ist dem bisher bei der Philosophie üblichen,
indem diese (hier ist zu erinnern sowohl an R. Descartes, wie auch an J. Locke,
diese beiden Gegensätze in der Erkenntniss-Lehre) unstreitig gewohnt
gewesen ist, auszugehen bei der Beurtheilung der Welt vom subjectiven
menschlichen Geiste, und dabei mehrmals mehr oder weniger sogar dahin gelangt
gewesen ist, den objectiven Geist, ja die ganze übrige Welt, zu leugnen.
Hier bedarf es noch einer kurzen geschichtlichen Erörterung.
Bekanntlich und unbestritten hat die Philosophie der Neuzeit, als auch sie
begann vom Zwange der Autorität, zunächst von der Scholastik, sich zu
befreien und selbständig zu werden, ihren Ausgangspunkt genommen in R.
Descartes' berühmten, Grund legenden und die Richtung anweisenden, Axiome
seit 1637): je pense, donc je suis", also, ich zweifle, aber
ich denke und mithin so bin ich". Damit wurde für sicher vorhanden
gehalten zunächst das Denken [60/61] selbst, dagegen die Existenz der äusseren
oder objectiven oder realen Welt wenigstens für unsicher; überhaupt
aber wurde das Subject streng unterschieden vom Object, und das Denken allein im
Subjecte berücksichtigt*). Bald darauf aber wurde mit der näheren
*) Zum Verständnisse ist erforderlich noch folgendes
Weiteres hinzuzufügen. Der Titel von Descartes erstem Werke lautet: Discours
de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la vérité
dans les sciences", 1837 [1637]. Freilich die Wahrheit wurde hier gesucht,
nicht wie einige Jahrzehnte früher von Fr. Bacon für die Methode der
realistischen Forschung in glänzender geistreicher Weise wenigstens
empfohlen war, auf inductivem Wege, sondern im Gegentheil vom Begriffe aus, auf
deductivem Wege, und zwar in einer der mathematischen analogen Methode. Dazu gehörte
wesentlich die Meinung (das ist der in solchem Sinne verstandene Rationalismus",
im Gegensatze zum Empirismus), Alles was sehr klar und deutlich begriffen sei, müsse
auch wahr sein ([]illud omne esse verum quod valde clare et destincte
percipio"); dies galt als Kriterion der Wahrheit; dagegen seien die Sinne öfters
trügerisch. Und hier ist zu erinnern, dass damals überhaupt geltend
war die schon bei Platon bestehende Annahme, das Erkennende im Menschen sei die
immateriele Seele, dagegen sei der Leib ein Hinderniss für die Erkenntniss,
und daher sei alle durch die Sinne vermittelte Erkenntniss trüglich; diese
komme zu Stande wahr und sicher allein in dem von aller Sinnlichkeit freien
Denken, im reinen Denken, d. h. in dem, ohne Anschauung, mit abstracten
Begriffen erfolgenden Denken (z. B. nach der Weise des Sokrates, dialektisch,
mittels logischer Operationen); denn dies verrichte die Seele ganz aus eigenen
Mitteln, und folglich geschehe es am besten sogar erst nach Trennung der [61/62]
Prüfung des menschlichen Denkens namentlich durch J. Locke
eine Epoche machende Wendung in der Erkenntniss-Lehre bewirkt und wurde im
geraden Gegen-
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 61] Seele vom Leibe. Dagegen
Aristoteles hatte schon den in der ganzen Geschichte der Erkenntniss-Lehre sich
erhaltenden oder sich wiederholenden Gegensatz festgehalten, nämlich die
Annahme, unsere Erkenntniss komme zu Stande nicht ohne Mitwirkung der
Anschauung, also der Sinne, also des Leibes. Die scholastische, oder die
kirchliche, Philosophie anerkannte jene Platon'sche Annahme; sie meinte, es gebe
reine Vernunft-Erkenntniss, d. h. ein Wissen, welches auf keine Anschauung oder
Erfahrung Bezug habe, sondern allen seinen Stoff aus dem Denken selbst nehme,
(s. g. Erkenntnisse a priori, veritates aeternae); daraus wurde auch die
Unsterblichkeit der Seele gefolgert. Diese a priori Erkenntniss-Lehre nun sollte
bei Descartes zunächst fester begründet werden, gesichert vor der
Skepsis, und zwar mittels einer der mathematischen analogen Demonstration. Aber
damit wurde auch die Berechtigung des Menschen, auf seine geistigen wie
sinnlichen Erkenntniss-Mittel sich zu verlassen, auf's neue in Zweifel gezogen
und diese grosse Vorfrage der Philosophie vorzugsweise als Aufgabe der
philosophischen Untersuchung aufgepflanzt, und zwar nicht nur in neuer Form
gestellt, sondern sie wurde nun auch behandelt in dem selbständiger sich fühlenden,
die Kritik und die originale Forschung anerkennenden und anwendenden, Geiste der
angebrochenen neuen Zeit. So wurde die neuere Erkenntniss-Lehre begründet,
damit aber auch die neuere kritische Philosophie überhaupt, auf diesem
Ausgangs-Punkte, und zwar zunächst in idealistischer Auffassung und mit
deductiver Methode, welche man bezeichnen kann als: logische Zergliederung der
Begriffe, anstatt sachlicher Zergliederung des realen Inhalte der Vorstellungen.
- [62/63]
satze als einzige Quelle der Erkenntniss hervorgehoben die
sinnliche Erfahrung, der Empirismus, freilich in Verbindung mit dem Nachdenken
(reflection); dazu gehörten die Aussprüche: es giebt keine
angeborene Vorstellungen" (no innate ideas) und: nichts ist im
Intellekt was nicht vorher in den Sinnen gewesen wäre". Gegen Locke
wurden von G. Leibniz*) die angeborenen Ideen, d. i. Vorstellungen vertheidigt,
und man kann hinzufügen, damit im Voraus auch schon der psychologische
Materialismus bekämpft und das später sich einzustellen nicht
verfehlende äusserste Extrem des Empirismus,
*) Was Leibniz betrifft, so muss ihm, wenn auch dessen Monaden"
naturwissenschaftlich nicht annehmbar sind, doch eine rein
naturwissenschaftliche allgemeine kosmologische Auffassung des Denkens zuerkannt
werden, wie sie sich äussert in folgendem Ausspruche: J'accorde que
les effets particuliers de la nature se peuvent et se doivent expliquer mécaniquement,
sans oublier pourtant leurs fins et usages admirables; mais les principes généraux
de la physique et de la mécanique même dependent de la conduite et
d'une intelligence souveraine, et ne sauroient être exliqués sans
le faire entrer en considération" (Lettre à M. Bayle, 1867,
Op. philosoph., instr. J. E. Erdmann, 1840, p. 106). Hier ist rein empirisch in
der Natur die Teleologie anerkannt, wie in einer Maschine als die Ursache der in
ihr bestehenden Proportionalität in der Anordnung der Theile, das Denken,
die Vernunft, anzuerkennen gar nicht unterlassen werden kann. Auch Leibniz
'
berühmter Satz vom zureichenden Grunde (raison
suffisante), d. i. ein vernünftiger Grund in der Weltordnung anstatt
einfach Ursache (cause), ist zusammenstimmend mit unserer ganzen Anschauung.
[63/64]
der psychologische Sensualismus (mit dem Spruche Condillac's penser
c'est sentir"). Auf der anderen Seite wurde das äusserste Extrem auch
im Subjectivismus oder im Spiritualismus erreicht (von G. Berkeley und später
von J. Fichte), und das Denken des Subjects als allein vorhanden ohne die äussere
Welt gedacht. Eine besondere skeptische Meinung über die Richtigkeit
unserer geistigen Erkenntniss-Mittel wurde ausgebildet (von Dav. Hume)
betreffend zunächst das Causalitäts-Verhältniss. Dadurch wurde
Im. Kant bestimmt, ([!] obgleich in Widerspruch damit, indem er es doch als a
priorisch, subjectiv, anerkannte, in seinem Grund legenden Werke über die
Erkenntniss-Lehre (Kritik der reinen Vernunft") den Subjectivismus zu
übertreiben und zugleich unseren Sinnen und dem Sinne in der Natur so weit
das Vertrauen zu versagen, dass er, wenigstens theoretisch und speculativ, dem
Raume und der Zeit die Realität absprach und sie nur als Formen und rein
subjective Forderungen der Wahrnehmung ansah, wie auch die Causalität und
die anderen s. g. Kategorien. Er dachte dabei nicht an das objective im
Weltenraume sich äussernde Denken, seltsamer Weise, da ihm sonst das
Weltensystem und die vernünftige Ordnung am Himmel so wohl bekannt, ja ein
besonderer Gegenstand seiner Beschäftigung gewesen war. Dann wurde die
Identität des Geistes und der Natur ausgesprochen in J. Schelling's absolut
idealistischer" Natur-Philosophie, (als Pantheismus ähnlich dem des B.
Spinoza, welcher damit streng mathematisch und mechanistisch die Welt und den
Menschen-Geist auffasste, jedoch naturwissenschaftlicher Kenntnisse [64/65]
ermangelte) und so zwar der Geist auch objectiv im grossen Ganzen der Natur
anerkannt, aber in dem Sinne, dass er in diesem identificirt wurde mit dem
eigentlich Physischen (wie auch bei Spinoza), indem der Cardinal-Satz lautete: der
Geist ist die unsichtbare Natur, die Natur ist der sichtbare Geist". Daraus
ging hervor das System (der Panlogismus) G. Hegel's, welches zwar als System
sich nicht erhalten kann, wie überhaupt kein alle Aufgaben der Philosophie
speculativ umfassen wollendes System, aber dessen grossartiger Auffassung der
allgemeinen Geschichte als des gemeinsamen dialektischen Ganges des freien
menschlichen Denkens oder Geistes, mit dem charakterisirenden Ausspruche: Alles
was wirklich ist, ist vernünftig", unvergängliche Wirkung,
wenigstens im Allgemeinen, zugesprochen werden muss. Jedoch auch dessen
Auffassung ist sehr stark zu bezeichnen als zu subjectiv, oder, wenn der
Ausdruck erlaubt ist, als zu hominel, da sie annimmt, der Geist, welchen wir im
Universum erkennen, sei dort ohne Bewusstsein, er realisire sich, er erkenne
sich selber, nur im Menschen, ja in diesem komme er erst zur Existenz. (Diese
kaum glaubliche Annahme ist hier richtig angegeben. Sie findet sich auch schon
bei Schelling. Es waren dann nur wenige Schritte weiter gethan als L. Feuerbach
für seine Religions-Philosophie auch die ganze Gottheit in die Menschheit
versetzte). In J. Herbart's Philosophie muss uns zusagen die darin der
objectiven realen Welt, zunächst auch der Objectivität des Raumes,
zugewendete Vertheidigung und zugestandene Berechtigung; indessen [65/66] von
unserem Standpunkte aus fehlt dort noch, dass zu den objectiven realen Dingen
auch gerechnet werde der im Universum sich äussernde Geist.
Bei dem eben gegebenen kurzen geschichtlichen Ueberblick konnte
nicht unsere Absicht sein, die verschiedenen hervorragenden philosophischen
Systeme erschöpfend zu charakterisiren, sondern nur zur Anerkennung zu
bringen, dass bei ihnen inbetreff der Auffassung und Beurtheilung des Geistes
gemeinsam der Subjectivismus Alleinherrscher ist, weil sie unmittelbar ihren
Standpunkt nahmen und behielten im menschlichen Denken, nicht aber im objectiven
im Universum sich offenbarenden Denken. Wenn dies aber geschieht, dann tritt
hervor, in Unterschiede von jener homino-centrischen Auffassung, wenn es erlaubt
ist diesen Ausdruck zu gebrauchen, der Objectivismus des Geistes, die nach
unserer Meinung richtige Einsicht, um dies hier zu wiederholen, dass das Denken
des Subjects oder der Geist, des Menschen identischer Art ist mit dem im Weltall
sich kundgebenden Denken, und diesem so angehört, wenn auch nur als ein
minimaler, und in der Anwendung seiner Fähigkeiten manchen Fehlern
unterworfener, Theil. Dann wird dem Menschen-Geiste eine in der Art weit höhere,
aber doch nur secundäre Stellung angewiesen, woraus Folgen für die
philosophische Betrachtung sich ergeben müssen (ähnlich wie sie
dereinst für das Verständniss der Schwere der erdischen Dinge aus der
allgemeinen Gravitation sich ergeben haben).
Unstreitig würden lange Irrwege im Subjectivis-[66/67]mus
von der Philosophie vermieden sein*), wenn diese
*) Man hat der Philosophie den Vorwurf gemacht, sie unterscheide
sich von anderen Wissenschaften zu ihrem Nachtheile dadurch, dass in ihr ein
eigentlicher Fortbau fehle, indem fortwährend von neuem ein anderer Bau
begonnen werde; sie baue gleichsam mächtige Häuser, indessen diese
blieben nachher unbewohnt stehen, wenn auch bewundert; sie gewähre so
gleichsam den Anblick einer schönen Ruinen-Stadt; oder sie mache zeitweise
riesenhafte Fortschritte, aber bald nachher eben so grosse Schritte wieder zurück.
In Bezug hierauf kann man aussagen: Die Geschichte der Philosophie lehrt uns,
dass gewisse ewige Grundfragen der Philosophie sich finden lassen und dass die
bleibenden Grundlinien gewisser philosophischer Gebiete sich ziehen lassen, auch
bei einem noch sehr schwachen Bestande der Kenntnisse von den Natur-Verhältnissen.
Beweise dafür giebt nicht allein die griechische Philosophie (in ihren
beiden Seiten, in der materialistischen, mit Demokritos, Straton und Epikuros,
wie in der spiritualistischen, mit Sokrates, Platon und Aristoleles), indem sie,
so mannichfach deductiv sich ausbildend, die verschiedenen philosophischen
Gebiete entdeckte, bezeichnete und auch anzubauen unternahm, und daher, zumal
auch wegen der Bestimmung der Begriffe, für die Nachwelt bleibend belehrend
und erbaulich ist; - sondern auch giebt Beweise die alt-indische brahmanische
Philosophie, so mächtig speculativ, so erhaben in der Gesinnung, und das
Wissen selbst so hochschätzend, jedoch im Naturwissen (ausgenommen
Astronomie und Arithmetik) unverkennbar noch schwächer als die hellenische
Philosophie, und überhaupt vom Realismus abgewandt. Aber dass und wie für
die Beantwortung jener Grundfragen und für die Ausfüllung jener
philosophischen Gebiete mit realem, empirisch und inductiv erworbenen, Inhalte
das Wissen von den Natur-Verhältnissen [67/68]
auch in der objectiven Welt das Denken anerkannt hätte, wie
es sich ergiebt aus der richtig begriffenen Teleologie rein empirisch und auf
inductivem Wege, d. i. aus der im Weltsysteme fehlerlos herrschenden logischen
Gesetzlichkeit und vernünftigen Ordnung. Dann wäre es nicht möglich
gewesen, den Gedanken zu hegen, das absolute" Denken komme zum
Bewusstsein erst im Menschen auf der Erdkugel, und gar, dieser könne
Erkenntniss-Mittel haben ohne dass es etwas zu Erkennendes gebe, ferner zu
verkennen, dass dessen Erkenntniss-Mittel angemessen sein müssen der zu
erkennenden äusseren Welt, und dass das Erkennen dieser nicht umgekehrt abhängig
sein kann von einer be-
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 67] nothwendig ist und
sicheren Gewinn bringt für den wirklichen Fortbau der Philosophie, das
erleben wir erst in der neueren Zeit, in der europäischen, neueren
Philosophie, jedoch nach zahlreichen Versuchen vorzugsweise erst in der neusten
Zeit; und wir dürfen erwarten, es werde noch zunehmend mehr erlebt werden
in der Zukunft, Schritt haltend mit der Zunahme des gemeinsamen positiven
Wissens-Schatzes, und auch mit der richtigen Vereinigung der inductiven und der
deductiven Methode der Forschung. Hier scheint nicht überflüssig, den
Satz zu wiederholen, womit oben am Eingange dieser Schrift der Begriff (S. 2)
von Philosophie zu bestimmen versucht ist, die Philosophie ist für uns: die
vom höchsten Standpunkte des zeitigen Wissens aus sich ergebende
allgemeinste übersichtliche Beurtheilung der weltlichen und der
menschlichen, d. h. auch der dabei vornehmlich in Betracht zu ziehenden
geistigen, Verhältnisse, und darunter vorzugsweise die Beantwortung
gewisser grosser, den Sinn der denkenden Menschen ewig beschäftigenden,
Fragen". [68/69]
sonderen, ihr nicht entsprechenden, wohl gar falschen Spiegeln
zu vergleichenden, Beschaffenheit der Erkenntniss-Mittel des Menschen. Aber noch
immer findet man in deutschen weiten philosophischen Kreisen die Vorstellung
geltend, wovon oben die Rede gewesen ist, der Mensch bringe den Natur-Objecten
die Beziehungen zu Raum, Zeit und Causalität erst hinzu, indem diese nur
subjective Formen seines Denken seien*).
*) Für die reale Existenz der Aussenwelt fehlt es auch
nicht an empirischen Beweisen. Uns scheint ein unabweislicher experimentaler
Beweis ist enthalten und wird geliefert in den einfachen Thatsachen des alltäglichen
Lebens; z. B. indem ein in einer Landschaft stehender Mensch bei jeder Wendung
seines Körpers, oder nur seines Kopfes oder nur seiner Augen unfehlbar ein
anderes Bild erblickt, und zwar wiederholt dasselbe nur in derselben Richtung.
Mag man dessen Geiste ein so mächtiges schöpferisches Vermögen
zuschreiben, die Aussenwelt ideel zu construiren, jener empirische Beweis für
die äussere reale Existenz des Wahrgenommenen bleibt, abgesehen von der
Bestätigung ausserdem, welche enthalten ist in der Uebereinstimmung der
Zeugnisse der verschiedenen Sinne unter sich. (Die Uebereinstimmung der Sinne
unter sich lässt auch folgern, gelegentlich gesagt, dass unsicher ist, ob
ein neuer, ein sechster, Sinn, uns durchaus neue Gegenstände zur Kenntniss
bringen würde). Was die oben berührte Frage von der Uebereinstimmung
unserer Erkenntniss-Mittel mit der zuerkennenden Aussen-Welt näher
betrifft, so ist auf unserem gewonnenen Standpunkte eine solche teleologische
Angemessenheit unzweifelhaft, und gültig als prästabilirte
Harmonie", vorausgesetzt dass man diese Bezeichnung nicht ganz in dem Sinne
und in dem Bilde des grossen Leibniz nimmt, insofern [69/70]
In der That wir stehen hier vor einer auffallenden und
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 69] dieser bekanntlich dabei
eine Vergleichung anwendete mit zwei gleich gehenden, also doch in keiner
direkten Beziehung zu einander stehenden, Uhren. Was vor allem unsere Sinne als
Erkenntniss-Mittel betrifft (wobei wir deren actives, reagirendes, Verhalten gar
nicht verkennen), so muss auffallend sein, dass noch jetzt sogar philosophische
Physiologen, welche sonst die Teleologie anerkennen, eben in der s. g.
specifischen Sinnes-Energie ein Zeugniss finden wollen gegen jene teleologische
Angemessenheit, wie ein Ausdruck lautet, gegen die Uebereinstimmung der
Sinnes-Wahrnehmungen und der äusseren Welt", und demnach annehmen, es
werde unsere Erkenntniss der Aussenwelt bestimmt nach der Einrichtung unserer
Sinne, nicht aber seien diese eingerichtet nach der Aussenwelt. Hier ist die
richtige Bestimmung des Begriffs höchst wichtig, auch für die ganze
Erkenntniss-Lehre (ersteres wäre in der That analog, wie wenn das Firmament
sich noch um unsere Erde drehe). Auffallend muss sein dass ein solches Zeugniss
vornehmlich gesucht wird eben in dem wichtigsten und edelsten unserer Sinne,
welcher allein das Weltall uns erschliesst, d. i. im Verhalten des Sehnerven,
und zwar aus dem Grunde weil auch andere äussere Eindrücke, ausser den
Lichtstrahlen, in diesem Nerven einen Licht-Schein, richtiger jedoch nur eine
rein subjective Helligkeits-Empfindung, erregen können. So namentlich von
H. Helmholtz (s. Popul. wissensch. [Vor]träge 1876, Heft 2, S. 205); man
muss hinzufügen, welche grosse Autorität an jener Stelle, wenigstens
einigermaassen, influirt sich zeigt vom Darwinismus; und in dieser Beziehung
scheint folgende dort sich findende befremdende Aeusserung, als
charakterisirend, hier der Anführung werth (S. 201): Darwin's Theorie
zeigt, wie Zweckmässigkeit der Bildung, in den Organismen, auch ohne alle
Einmischung von Intelligenz, durch das blinde Walten eines Natur-Gesetzes
entstehen kann". [70/71]
unverkennbaren Analogie, welche zwar öfters angerufen
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 70] Indessen Niemand verkennt,
dass von allen Nerven doch allein der Sehnerv es ist, welcher die Fähigkeit
besitzt, das objective Licht, oder die Aether-Schwingungen, oder die
Lichtstrahlen, zu empfinden, d. h. specifisch darauf zu reagiren, und so die
sichtbaren, d. s. die leuchtenden oder beleuchteten, Gegenstände zur
Wahrnehmung zu bringen. Daraus darf, ja muss die specifische Teleologie des
Sehnerven gefolgert werden, dafür bleibt auch die Bezeichnung specifische
Energie" völlig gerechtfertigt, und davon ist doch durchaus
verschieden jene eben erwähnte, schon durch einfachen Druck
hervorzurufende, rein subjective, Helligkeits-Empfindung (wie auch Ohrenklingen
wahrlich kein Hören ist). Noch mag erinnert werden, dass die verschiedene
Farben ja nicht etwa nur subjectiv erst im Auge erscheinen, sondern sich
erweisen als wirklich objectiv bestellend durch ihre verschiedenen, messbaren,
Zahlen und Wellen-Längen der Aether-Schwingungen. Z. B. auch wenn sich bestätigen
würde, dass für die drei Grundfarben besondere, deren Empfindung
vermittelnde, Fasern im Sehnerven beständen, so können wir doch nicht
annehmen, gewisse in der Aussenwelt vorhandene Gegenstände erschienen mit
der Farbe roth oder grün oder violet aus dem Grunde weil diese besonderen
Fasern bestehen, sondern umgekehrt, diese besonderen Fasern seien vorhanden aus
dem Grunde weil jene objectiv bestehenden Farben bestehen und um sie
wahrzunehmen, welche aber bestehen würden auch ohne diese Fasern. Da nun
das Licht im ganzen Weltall verbreitet ist, müssen wir sogar annehmen, dass
auch die dem Sehnerven allein eigenthümliche specifische, freilich in ihrem
physischen Wesen nicht näher zu bestimmende, Beziehung zum Lichte
gleichfalls eine allgemeine kosmologische Gültigkeit habe (während die
vier übrigen Sinne vielleicht, ja sehr wahrscheinlich nur tellurische Gül-[71/72]
wird, aber hier völlig berechtigt ist. Wie seit Nikolas Köpernik
nicht länger unser kleiner Wohnstern geocentrisch den Mittelpunkt bildet um
welchen die Sonne und die ganze Sternenwelt sich drehen, sondern umgekehrt in
dieser nur seinen bescheidenen Theil einnimmt, in Beziehung nicht nur auf seine
Grösse, sondern auch auf seine Stellung und Bewegung, so auch hat analog
der Menschen-Geist seine Stellung im Universum, aufzufassen. Genauer erwogen ist
so die Auffassung vom Menschen-Geiste eine bescheidenere geworden, doch nur in
Bezug auf dessen Verlust seiner vermeinten Central-Stellung, um welche sich die
Welt drehte. Was dagegen dessen Wesen betrifft, so hat er mit der Erkenntniss
seiner identischen Natur mit dem im Weltall
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 71]tigkeit haben). Dazu kommen
dann im Auge als unterstützende Mittel, wenigstens hier auf der Erde, die
feinste Vertheilung und geometrische Anordnung der optischen Nerven-Substanz
selbst, und ausserdem der dioptrische Apparat, welcher die Lichtstrahlen sammelt
und richtet, und zwar mit unübersehbar mannigfachen Accommodationen, was
die Kritik der im Baue des Auges gefundenen Fehler wohl zu berücksichtigen
bat. Man sagt zwar, die Erfahrung verbessere diese Fehler, aber das Hühnchen
sieht ja sofort richtig. Die oben angeführte Autorität, welche übrigens
zu den Bekennern der Teleologie und auch des Geistes gehört, sagt selber,
was für uns sehr werthvoll ist, (l. c. S. 7): Die unablässige Prüfung
der Genauigkeit unserer Gesichts-Bilder durch unsere Handlungen ist es was uns
die felsenfeste Ueberzeugung verschafft von ihrer unmittelbaren und vollkommenen
Wahrheit und Treue, eine Ueberzeugung, welche durch keine noch so wohl begründet
erscheinende Einwürfe der Philosophie oder Physiologie erschüttert
wird." [72/73]
bestehenden Denken sicherlich an Werth und Würde gewonnen,
wenn er auch in Vergleichung mit jenem sich nur als ein Minimum erkennt. Das Gefühl,
was aus solcher Einsicht vom Menschen-Geiste in diesem entsteht, ist eine
Mischung von Stolz und von Demuth. (Wie man für das Copernicanische System
als Antecipienten im Alterthume aufstellt den Aristarchos, so kann man hier
[ei]einigermaassen als solchen bezeichnen den Anaxagoras).
Eben jene Uebertreibung im Subjectivismus, bis zum monistischen
Spiritualismus, musste ihren Gegensatz hervorrufen, und ist so einer
augenblicklich herrschenden anderen Uebertreibung indirekt förderlich
gewesen, dem monistischen Materialismus. Wir tadeln wahrlich nicht das in der
gegenwärtigen Zeit sich geltend machende Streben, auch auf die
Geistes-Wissenschaften - d. s. diejenigen Wissenschaften, welche zu ihrem
Gegenstande haben die Werke des Menschen-Geistes, wie diese im Laufe der
Jahrtausende in der Folge der Generationen fortgesetzt sich gestaltet haben -
dieselbe Methode der Behandlung anzuwenden wie auf die Natur-Wissenschaften,
also wie auf die physischen Verhältnisse im engeren Sinne. Aber man findet
dabei den beschränkenden Satz ausgesprochen: jedes wissenschaftliche
Denken kann sein nur ein mathematisch-physikalisches". Und daher findet man
auch Beispiele von Versuchen, die Geschichte der Völker zu behandeln nach
mechanischen Grundsätzen, wie nothwendige oder doch unfreiwillige
Natur-Ereignisse (H. Th. Buckle) und so auch die socialen Bewegungen dem [73/74]
Scepter der Mathematik zu unterwerfen*), als sociale Physik", ja das
Denken selbst als einen mechanischen Vorgang zu denken. Als Erfolg solchen
missverstandenen Verfahrens zeigt sich, dass man zwar grössere Genauigkeit
in der Behandlung erreicht, aber auch eine Beschränkung auf Theile, nämlich
auf diejenigen, welche allein für solche Behandlung geeignet sind. Sicher
empfiehlt es sich, den Geistes-Wissenschaften von der inductiven Methode der
Naturwissenschaften, und sogar auch von der strengen mathematischen, der s. g. exacten
Wissenschaften" zu gute kommen zu lassen, aber mit Unterscheidung; die
Gegenstände beider so weit sie im Wesen von einander verschieden sind, müssen
so weit auch getrennt gehalten werden. Wer dies so zuvor nicht scharf und klar
trennt, kann nicht exact genannt werden. Wenn die Natur-Philosophien Spinoza's,
Schelling's und Hegel's zu nennen waren ein Identificiren der ganzen objectiven
Natur mit dem Subject, so kann man die für uns gültige Auffassung
nennen ein Identificiren des Subjects nur mit dem objektiven Geiste in der
Natur". Nie darf man verkennen, und es bewährt sich auch immer, dass
der Menschen-Geist in
*) Mit anderen Worten heisst dies, den quantitativen
Bestimmungen die Herrschaft zu übergeben. Freilich lehrt die Geschichte
aller Wissenschaften, welcher grosse Gewinn diesen entstanden ist durch die
Anwendung jener Bestimmungen; aber zur vollen Wahrung der richtigen Anwendung
der geistigen Mittel dient noch ein anderer Ausspruch: der Maasstab darf
nicht zum Scepter werden, wohl aber muss ihm ein unbedingtes Veto zuerkannt
werden".[74/75]
seinen Werken, trotz seiner engen Verbindung mit seinem
physischen Substrate, zunächst mit dem Nerven-Apparate, und dann auch,
trotz seiner Vereinigung mit seiner instinktiven Zugabe, doch ausgezeichnet und
charakterisirt ist durch eine gewisse Selbständigkeit, durch grössere
oder geringere Entfaltung seiner Fähigkeiten, und durch Aenderungen seines
Fürwahrhaltens, als wesentliche Eigenschaft, woraus sich eine sehr
complicirte, unbestimmbare Veränderlichkeit ergiebt*). Aus diesem Grunde,
wozu noch kommt das unberechenbare Auftreten von Genies**), und grosser natürlicher
Ereig-
*) Wenn man als Gegen-Zeugnisse auf gewisse gleichbleibend sich
wiederholende Zahlen-Verhältnisse in der socialen Physik verweist, so ist
auch zu bemerken, dass diese doch betreffen weit weniger den eigentlich
psychischen als den physischen und instinktiven Theil des Volkslebens. Ein
Beispiel geben die Sprachen; das unaufhaltsam Veränderliche in diesen
beweist deren psychischen Ursprung, während doch die physischen
Sprach-Werkzeuge an der Aenderung nicht Theil nehmen im Laufe der Generationen.
- In besonderer Weise giebt Zeugniss für die bestrittene Willens-Freiheit
des Menschen-Geistes auch die unbestreitbare Existenz des Gewissens, welches
doch sicherlich nicht bestehen könnte ohne Bewusstsein und Wirklichkeit
jener Freiheit.
**) Die Statistiker werden freilich geneigt sein anzunehmen,
dass auch die Genies in einer gewissen mittleren Zahl vorkommen. Indessen die
Geschichte spricht nicht dafür, im Gegentheil entschieden dagegen, und der
Nachweis dafür ist gar nicht zu liefern. Auch das Genie kommt auf die Welt
leer, allein mit seinen excessiven psychischen Fähig-[75/76]
nisse, ist die Geschichte des Menschen-Geschlechts so
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 75]keiten begabt. Es bedarf
dann zu seiner Entfaltung auch günstiger Umstände, vor allem aber muss
es schon vorfinden für seinen durch Erfahrung zu erwerbenden Inhalt ein
gewisses reiches Denk-Material, welches, allmälig vorbereitet von den
vorhergegangenen Generationen, wenn auch unerkannt, schon vorhanden sein muss;
und ausserdem bedarf ein Genie der Anerkennung. Das Genie ist insofern zu
vergleichen mit dem Entdecker eines Goldlagers, das nur während einer
langen Vergangenheit unter der Oberfläche sich ansammeln konnte, obgleich
jenes freilich bei seinem Werke mehr thut als das Verborgene nur zufällig
zu finden und an den Tag zu ziehen, sondern dann auch immer eine aufbauende,
Anderen unerreichbare, gleichsam creative, Wirkung ausübt. Es ist nicht zu
erwarten, dass die Genies jemals der Statistik eine Regelmässigkeit in
ihrem Auftreten darbieten werden. Die grösste Anhäufung von Genies, räumliche
wie zeitliche, welche überhaupt in der Geschichte bekannt ist, glänzte
in dem kleinen Athen, im Zeitalter des Perikles, gleichsam wie ein Sternhaufen
am Firmament. Sie fanden aber wirklich beide begünstigende Bedingungen
vorbereitet vor, zu bearbeitenden reichen Inhalt oder das Material, und die
Anerkennung. Dagegen finden sich in der Geschichte andere Völker und
Zeiten, welche völlig leer sind an Genies, gleichsam wie die sternleeren Räume,
s. g. Kohlensäcke am südlichen Himmelsgewölbe. Ob hier nun
fehlten und fehlen die excessiven psychischen Fähigkeiten selbst, oder aber
ob diese immer vorhanden sind, und nur fehlend waren und sind die sie begünstigenden
Umstände, das ist eben noch eine Frage; aber bis jetzt ist man genöthigt
anzunehmen, dass es vor allem die excessiven psychischen Fähigkeiten selbst
sind, welche zu fehlen pflegen und dass diese in nicht näher zu erklärender
völliger Unregelmässigkeit an Menge, Art und Zeit auftreten. [76/77]
mannichfach verschieden in den Völkern und Staaten, räumlich
und zeitlich immer eine andere, und ist was deren Gang betrifft eine
Gesetzlichkeit nur im Allgemeinen innerhalb sehr weiter Grenzen aufzufinden, ist
sie scheinbar regellos, obgleich in den Schwankungen des Wissens und Meinens
doch eine gewisse geschichtliche Logik sich ausspricht. Diejenigen, welche der
Geschichts-Kunde wegen deren scheinbarer Regellosigkeit absprechen, eine
Wissenschaft zu sein, können nicht zugleich den freien Willen des Menschen
leugnen, also ihm mechanische Nothwendigkeit zuschreiben, wie es doch vorkommt.
Dagegen die Thiere haben keine Geschichte, weil sie kein freies selbständiges,
an Inhalt gewinnendes oder aber verlierendes und so sich änderndes, Denken
haben, sondern nur ein automatisches; deren Intellekt oder Instinkt, kann man
sagen, hat unwandelbaren Inhalt, hat ja Existenz nur für deren nächstes
Wohl, für die Erhaltung der Individuen und der Art. Daher ist es auch nur
dem Mensehengeschlechte möglich, geschichtlich und gemeinsam Irrthümer
zu begehen. Die Irrthümer des menschlichen Denkens, d. h. die im
gemeinsamen Wissen und Meinen begangenen, geschichtlich und übersichtlich
zu betrachten, wäre sicher eine würdige Aufgabe. Leider pflegt das
Verhältniss des fehlerfreien Wissens zu dem fehlerhaften Wissen lange Zeit
ein ungünstiges für das erstere zu sein, und hat dieses bekanntlich
mit grossen und mannichfachen Schwierigkeiten zu kämpfen. Aber an der Befähigung
des Geistes des Menschen-Geschlechts, diese zu überwinden, ist nicht zu
zweifeln, und die Grenzen dafür sind nicht [77/78] zu ersehen. In der
Psychologie besteht fortwährend das sehr grosse Bedürfniss einer
allgemeinen Theorie der Irrthümer*).
*) Von unserem gewonnenen Standpunkte aus können wir in
dieser Hinsicht wenigstens nicht annehmen, dass die Irrthümer entstehen
weil unsere Erkenntniss-Mittel an sich unrichtige seien, sowohl was betrifft die
Sinne, wie auch die geistigen Fähigkeiten selbst, was doch die Skeptiker
meinen (und auch Kant, indem er annimmt, unsere Erkenntniss sei Wechselwirkung
objectiver Einwirkung und subjectiver Zugabe, aber letztere sei der Art dass die
resultirende Erscheinungs-Welt kein adäquates Bild der wirklichen Dinge
sei, keine allgemeine Gültigkeit habe). Sondern wir meinen zwar auch, um
gelegentlich hier unsere Ansicht kurz zusammenfassend zu wiederholen, der
Menschen-Geist erhalte seinen Inhalt, seine Kenntnisse, sein Denk-Material, erst
aus der Erfahrung, mittels der Sinne und mittels seiner dabei mitwirkenden rein
geistigen Erkenntniss, und beide Mittel können freilich täuschen in
einzelnen Fällen, aber diese Täuschungen seien zu erkennen und zu
berichtigen. Ein grosser Theil unserer Irrthümer entsteht weil und wo
unsere Erkenntniss-Mittel unzureichend sind (ein grosser Unterschied von
unrichtig), dann weil diese unvollkommen angewendet werden, und dann weil die
Summe der zum vollständigen Urtheile über grosse allgemeine Fragen nöthigen
Kenntnisse nur erst allmälig in den sich folgenden Generationen der
Menschheit gewonnen werden können. Dass nun in solcher Weise in den
Aenderungen des Wissens ein Fortschritt für die Menschheit besteht, ist
schon in der kurzen Zeitspanne der Geschichte unzweifelhaft zu erkennen, und von
der Philosophie der Geschichte (s. auch § 7) anzuerkennen; wenn man will
besteht so eine Erziehung des Menschen-Geschlechts". Was sich aber
dabei nicht mit Fortschreiten ändert, [78/79]
In solchem Sinne verstehen wir eben den Aus-
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 78] sind die natürlichen
Fähigkeiten des Menschen-Geistes (worin auch inbegriffen ist dessen
instinctive Zugabe), diese wiederholen sich im Laufe der Zeit ohne Progression.
- Die philosophische Ansicht vom Werthe der Welt-Ordnung, oder sagen wir vom
Menschen-Leben auf der Erde, welche Ansicht bekanntlich sich trennt in zwei
einander entgegengesetzte Beurtheilungen, in den Optimismus und in den
Pessimismus, kann darüber keine bestimmte objective Entscheidung abgeben,
denn es fehlt hier ja zur Bestimmung des Werthes die dazu immer nöthige
Vergleichung, in diesem Falle mit einer anderen Welt. Aber mit den vergangenen
Zeiten lässt sich die Gegenwart wohl vergleichen. Will die Philosophie der
Geschichte über die Frage entscheiden, ob die Menschheit im Verlaufe ihrer
Geschichte sich gebessert habe, und ferner sich bessere, so kann sich dies zunächst
beziehen auf die ethischen Zustände, mit welchen dann auch die Zustände
des Lebens in dem besonderen Sinne des Wohlseins oder des Glücks, bis zu
gewissem Grade Schritt halten. Aus einer wenigstens im grossen europäischen
Cultur-Gebiete angestellten Vergleichung jener Zustände ergiebt sich
unverkennbar, dass trotz manchen Rückschritten stellenweise, zeitweise und
auch allgemein, dennoch im Ganzen eine grosse Verbesserung stattgefunden hat und
noch ferner, vorzugsweise aber eben in der Gegenwart, sich fortsetzt. Rohere
Zeiten sehen wir hinter uns liegen. Es gründet sich die Verbesserung auf
der Zunahme des Wissens, und man kann sagen, mit dieser Zunahme hat im
Allgemeinen der Instinkt an Herrschaft verloren, dagegen die Vernunft an
Herrschaft gewonnen. Im praktischen Leben muss man immer unterscheiden
diejenigen Dinge, welche sich nicht ändern lassen, und diejenigen, welche
sich ändern lassen; dies gilt nicht nur für das Leben des Einzelnen,
sondern auch der Menschheit. Die ersteren muss man über sich er-[79/80]
druck exacte Natur-Philosophie"; ihr liegt unsere
gehen lassen, in Ergebung. Aber in den letzteren, in den Dingen,
welche sich ändern lassen, kann und muss der Mensch sich thätig
verhalten. Nachdem er in solchem Unternehmen seine vorhandenen inneren Mittel,
und zwar sowohl die verliehenen wie die erworbenen, richtig abgeschätzt
hat, muss er über den Werth der Dinge auch in der äusseren Welt ein
richtiges Urtheil zu gewinnen suchen. Der innere Besitz freilich ist unstreitig
der werthvollere, und dem alten Rathe ist beizustimmen, vor allem diesen inneren
Besitz zu vermehren; das Glück, so sagte ein Weltweiser, ist nicht
leicht zu erlangen, es ist schwer in uns zu finden, aber es anderswo zu finden
ist unmöglich", d. h. das äussere Glück bedarf immer auch
der inneren Zustimmung als Bedingung. Was aber betrifft die richtige Abschätzung
des Werthes der äusseren Dinge, so kann nicht zweifelhaft sein, dass die
Lehre davon vor allen die wichtigste ist unter den Lehren der einfachen
praktischen Lebens-Weisheit. (Und, gelegentlich gesagt, diese Lehre wird dennoch
sehr vernachlässigt, namentlich zeigt auf befremdende Weise auch die in das
Leben tretende, sonst wohl ausgebildete, Jugend meist sehr mangelhafte Ausrüstung
in dieser Hinsicht). Die Summe der Lebens-Weisheit und zugleich eines grossen
Theile der positiven Ethik (im Gegensatz zur negirenden) lässt vielleicht
zusammengefasst sich aussprechen in dem kurzen Satze: die Menschen müssen
sich unter einander gegenseitig das Leben leichter machen". Auch dies gilt
nicht nur für das Privat-Leben, sondern auch für das öffentliche
Leben, und die Philosophie der Geschichte kann es sogar anerkennen als eine
geeignete Lehre für den Fortschritt in der Geschichte der Menschheit. -
Freilich jener Satz kann fürerst nur eine ideale Geltung haben; in der
Wirklichkeit muss der praktisch gebildete Philosoph anerkennen und immer gewärtig
sein, dass sowohl im Privat-Leben wie im Staats-Leben dem unfehlbar [80/81]
Weltanschauung zu Grunde, von der Identität des subjectiven
und des objectiven Denkens, der Art nach; das Denken gehört zur Natur in
deren kosmologischen Ganzen, aber es ist darin wesentlich verschieden vom
eigentlichen Physischen (was namentlich auch die s. g. positive
Philosophie" verkennt). Daher ist es uns nicht möglich, im Sinne des
monistischen Materialismus,
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 80] vorkommenden Andrängen
und Durchbrechen der instinktiven Selbstsucht der Menschen nicht allein mittels
der Vernunft sondern auch mittels des Widerstandes Schranken anzuweisen sein
werden. Es besteht ja wirklich in den socialen Verhältnissen, mehr oder
weniger verborgen, ein unablässiger Kampf der materielen Interessen unter
einander, und es wird manchmal Pflicht der Vernunft, daran Theil zunehmen zur
Vertheidigung des Rechts. Indessen dabei muss nicht verkannt werden, dass auch
dieser Kampf zum grossen Theile ist ein Kampf um die ebenfalls bestehende
gegenseitige Hülfsleistung, also doch vorgeht innerhalb einer allgemeinen
Solidarität. In Beziehung auf den Staat ist gewiss räthlich, in jenem
ewigen socialen Kampfe der materielen Interessen (welcher übrigens eben in
jetziger Zeit die tellurische Verbreitung der Völker befördert) vor
allem festzuhalten, nachdem der Gerechtigkeit und der Weisheit Genüge
geleistet ist, am Erbrechte; denn schliesslich bildet doch die Bestimmung durch
die Geburt immer die festeste, weil durch die Natur gesetzte, Schranke, auf
welche die sonst unaufhaltsamen Wünsche und Klagen der Einzelnen verwiesen
werden. - Bleibend zufrieden sind bekanntlich die einzelnen Menschen niemals.
Aber die Philosophie der Geschichte, von welcher wir hier jetzt sprechen, hat
wohl zu beachten, dass auch die Menschheit bleibend zufrieden gar nicht werden
darf und kann. Denn das Wünschen ist zu vergleichen mit [81/82]
das Denken erklären zu wollen durch Schwingungen der
Hirnfasern des Menschen*), auch nicht, es zu den-
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 81] dem Hunger, welcher ja
nach der Befriedigung immer bald neu wieder sich einstellt, und die
Unzufriedenheit bildet das allgemeinste Motiv des Strebens und Handelns, und
zwar nicht nur des schlechten, selbstsüchtigen, sondern auch des guten,
selbstlosen und edelen. Dies Motiv würde also mit dem Eintreten allgemeiner
Zufriedenheit erlöschen, ein Stillstand eintreten, gleichsam wie in den
Elementen der Luft und des Wassers bei dem Zustande völligen
Gleichgewichts, und ein solcher Quietismus der Seelen würde auch vom nützlichsten
Wirken nachtheilig empfunden werden. In solcher Auffassung kann man demnach
sagen, die unter den Menschen fortwährend sich erhaltende Unzufriedenheit
sei eine Nothwendigkeit, gehöre zur allgemeinen Teleologie, und sei daher
anzuerkennen nicht nur vom Pessimismus, sondern auch vom Optimismus, wobei man
dann freilich nicht versäumen darf, die extremen Unterschiede fest zu
halten, sowohl der Gründe welche bestehenden Unzufriedenheiten unterliegen,
wie auch der Dinge, welche Wünsche veranlassen.
*) Der Materialismus wird klarer verstanden wenn man ihn
unterscheidet nach seinen verschiedenen Gebieten (und es ist wohl keine
unrichtige Bemerkung, dass diese Unterscheidung sehr gewöhnlich versäumt
wird); so erhält man. 1) den psychologischen Materialismus, (Gegensatz
davon ist der Spiritualismus[)], 2) den naturwissenschaftlichen und
kosmologischen (Gegensatz ist die Teleologie), 3) den biologischen oder
physiologischen (Gegensatz ist der Vitalismus und Teleologie), 4) den ethischen
und des praktischen Lebens (Gegensätze, Sensualismus oder aber Idealität),
5) den religio[!]sen (Gegensatz ist der Theismus), 6) in der Kunst (Gegensätze,
Naturalismus oder aber Idealität). Selten ist ein Materialist ein solcher
auf allen jenen Gebieten. [82/83]
ken als allmälig entstanden und fortgesetzt sich steigernd
mittels Vererbung mit Auswahl des Fähigsten (das ist die Selections-Theorie
angewendet auch auf die Geschichte), auch nicht als erheblich verschieden, was
die natürlichen Fähigkeiten des Geistes betrifft, weder in den
verschiedenen vergangenen Zeiten, noch gleichzeitig in den verschiedenen Völkern
und Stämmen, obgleich der vorhandene, aber immer nur äussere, Bestand
an Cultur bei Völkern wie bei Individuen so grosse Schwankungen erfahren
und so grosse Unterschiede erreichen kann.
Voraussichtlich kann für die ganze Philosophie die hier
besprochene Vervollständigung ihrer natürlichen Unterlage nicht wohl
ohne Einwirkung bleiben, zunächst für die Psychologie, und dann auch für
alle Geistes-Wissenschaften überhaupt. Aber jene weitere Einwirkung schon
jetzt übersehen oder gar näher bestimmen und weiter verfolgen zu
wollen, ist nicht wohl thunlich. Hier ist die Rede gewesen nur von der
allgemeinen Stellung des Geistes im grossen Ganzen der Natur, im Universum
(aus[s]er den kurzen psychologischen Andeutungen in § 6, 7 und 8), als der
Grundlage jeder Philosophie. Wenn die Philosophie bisher ihren Ausgangspunkt
besass im subjectiven Denken, was nicht zweifelhaft sein kann, ausging vom
Geiste des Menschen, und davon gelangte auch zum Geiste im Universum, dem s. g.
absoluten Geiste, so [83/84] würde sie nun, umgekehrt, ihren Ausgangspunkt
zu nehmen haben im objectiven Geiste im Universum, und davon ausgehend gelangen
zum subjectiven Geiste im Menschen, diesen erkennend als identisch mit jenem;
und sie würde ihn so auch richtiger beurtheilen, weder zu hoch noch zu
niedrig, was sich erstrecken muss auch auf die Beurtheilung von dessen Wirken,
wie dies im Wissen und im Handeln geschichtlich sich ausgesprochen hat und
ferner sich aussprechen wird.
Wir haben schon früher nicht verhehlt, das hier
Vorgetragene könne anfangs befremdend erscheinen. Indessen wird hoffentlich
von Unbefangenen zugestanden werden, dass darin, durchaus wie es einer
Erfahrungs-Wissenschaft und der naturwissenschaftlichen Untersuchung zukommt,
niemals der feste Grund der realen objectiven Thatsachen und der dazu gehörenden
strengen, inductiven, Methode verlassen worden ist, wenn auch das Joch der
ausschliesslich mechanischen Erklärung, und der ungehörigen Beschränkung
auf die exacte Methode im zu engen Sinne, nicht aufgenommen worden ist, wie auch
die berechtigte Deduction nicht abgewiesen ist; ferner dass darin auch nicht
dargeboten sind reine Abstractionen, blosse, leere Begriffe (während jedoch
bei allen realen Verhältnissen die richtige Begriffsbestimmung, ohne
Spitzfindigkeiten, sehr hoch geschätzt wird), oder, Phantasien, noch auch
mystische oder gar übernatürliche Gefühls-Vorstellungen; und
endlich dass die nothwendige Harmonie der Argumente in dem dargelegten
natur-philosophischen Bekenntnisse, und damit der einzelnen Theile im Ganzen
unserer Weltanschauung, nicht fehlt. [84/85]
Note 1 (zu § 2). Es scheint wohl werth, in einem besonders
hervortretenden Beispiele den Beweis zu geben, dass der erwähnte unrichtige
Begriff von Teleologie, die Pseudo-Teleologie", welche man auch
nennen könnte die egoistische Teleologie, wirklich noch ziemlich allgemein
gültig ist, wodurch nothwendiger Weise Missverständniss unterhalten
werden und die Erkenntniss der Wahrheit verhindert werden muss. Sogar in der
Vorrede zu des Aug. Comte Philosophie positive", 3édit. 1864,
p. XXIII, - welches Werk zahlreiche Anhänger besitzt in Frankreich und
vielleicht noch mehr in England*), und bezeichnender genannt würde Philosophie
des Sciences", indem es die in Frankreich vorzugsweise so genannten exacten
Wissenschaften" anerkannt sehr geist- und kenntnissreich betrachtet, in der
Stufenfolge von den einfachsten zu den complicirtesten, nämlich die
Mathematik, Astronomie, Physik, Chemie, dann aber auch
*) Man muss hinzufügen: mit seltsamer Ueberschätzung.
Die Geistes-Wissenschaften werden darin gleichbehandelt wie die
Naturwissenschaften; dies ist der Haupt-Charakter des Werks. Das Erkennen des
Menschen wird geschichtlich unterschieden in ein theologisches, metaphysisches
und positives, aber nur als in der Zeit so sich folgend, und indem nur das
letztere für das richtige angesehen wird. [85/86]
die Biologie (wo der Verfasser sich zur Phrenologie bekennt, wie
er denn das Denken betrachtet nur als Function des Hirns) und in gleicher Weise
auch die Sociologie als Physique sociale", d. i. nach exacter, oder
positiver, Methode zu behandeln empfiehlt, mit der Meinung, Alles was nicht der
experimentalen Beweisführung fähig sei, müsse streng von der
Wissenschaft ausgeschlossen werden -, wird gesagt von E. Littré: Eines
der Beispiele, welches vorzugsweise beliebt ist zum Beweise der Zweckmässigkeit
(finalité) ist das Auge; . . . hier hat eine intelligente Ursache einen
Plan, einen Zweck, gehabt. Zugestanden; aber es kommt darauf an zu untersuchen,
wie diese Annahme sich bewährt in Hinsicht auf andere Verhältnisse.
Dieser Hund, der dir die Hand leckt, hat in seinem Speichel einen tödtlichen
Stoff, und diese bei ihm erst neu entstandene Eigenschaft beseelt ihn mit dem
unheilvollen Verlangen, zu beissen. Was soll man sagen zu dieser eigenthümlichen
Zweckmässigkeit? und wie lässt sich die Zweckmässigkeit welche in
diesem Falle herrscht vereinigen mit der im Falle des Auges herrschenden?"
- In der That hier tritt besonders deutlich hervor der unklare und unrichtige
Begriff von Teleologie. Also gesetzt, das Beissen des wuthvollen Hundes gehöre
zu den Dingen in der Natur, wodurch den Menschen, oder Thieren, ein Nutzen
erwiesen wird (wie z. B. durch die Kuh mittels ihrer Kuhpocke geschieht), dann würde
der Verfasser jener Vorrede auch in diesem Beispiele die Finalität
anerkennen; wie wenn es sich um Allgüte in der Natur handelte. Dass
Menschen, Thiere und [86/87] Pflanzen sich unter einander nicht nur Nutzen
bringen, sondern auch, sei es als Völker, sei es als Individuen, Schaden
zufügen und dass die Natur ihre Geschöpfe nicht nur erhält,
sondern auch wieder zerstört, ist bekannt genug; aber darum handelt es sich
gar nicht bei unserer Frage. Um die in der Natur bestehenden Proportion und
Ordnung und davon, dass daraus hervorgeht ein Beweis für ein in der Natur
bestehendes Denken, darum handelt es sich bei der Teleologie. In beiden von
Littré angeführten Beispielen findet sich Gesetzliches
ausgesprochen; sie sind von einander verschieden nur darin, dass das erste
Beispiel, das Auge, angehört den erhaltenden Zwecken, das zweite dagegen,
die Hundswuth, den zerstörenden Zwecken. Offenbar liegt hier vor zugleich
ein Beweis, dass exacte Natur-Philosophie" einschliessen muss
Exactheit nicht nur in den Thatsachen sondern auch in den Begriffen*). - In
*) Auch jene andere, uralte, Leugnung der Zwecke in der Natur
(seit Demokritos, Epikuros, Lucretius u. A. bis zu Spinoza, Diderot, Holbach und
zu den Materialisten der neusten Zeit) mit der Argumentation: da Alles in der
Natur gesetzmässig ist, sei demzufolge auch Alles was geschieht nothwendig
und nichts zufällig, und seien Ordnung oder aber Unordnung, auch gut oder
aber böse, Recht oder aber Unrecht, gesund oder aber krank (man könnte
auch hinzufügen: wahr oder aber unwahr, richtig oder aber unrichtige
Zahlen) nur relative Begriffe, hervorgehend nur aus der besonderen
Vorstellungs-Weise des menschlichen Denkens, - hat doch einzugestehen, dass,
nach richtigem Begriffe, mit der Anerkennung eines Gesetzmässigen zugleich
schon anerkannt ist ein Zweck, eine immer nur als Wirkung des Denkens zu [87/88]
demselben angeführten Werke (Vol. II. p. 25) findet sich
folgender, dem Verfasser, A. Comte, selber angehörender, das Werk
charakterisirender Ausspruch: keine Wissenschaft hat der Lehre von der
Finalität ärgere Schläge versetzt als die Astronomie. Heutigen
Tages wissen die mit der wahren astronomischen Philosophie vertrauten Geister,
dass die Himmel keine andere Ehre erzählen als die von Hipparchos, Kepler,
Newton, und aller derjenigen welche beigetragen haben, deren Gesetze
festzustellen (établir)". Charakterisirend ist jener Ausspruch um so
mehr, da überhaupt in der positiven Philosophie" der Verfasser
die Gottheit verlegt und annimmt als bestehend in der Menschheit.
Note 2 (zu § 3). In Betreff des, nach Bessel, zum Beweise
der Teleologie angeführten astronomischen Beispiels, enthalten im Verhalten
des Mondes bei seinem Umlaufe um die Erde, muss es rathsam erscheinen, hier
einer etwaigen Einwendung zu-
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 87] Stande kommende
Proportionalität, eine Teleologie. Auch hat sie nun einzugestehen, dass das
menschliche Denken wenigstens an sich kein besonderes ist, sondern identischer
Art ist mit dem allgemeinen im grossen Ganzen der Natur, im Weltall, sich äussernden
Denken, dieselben logischen Gesetze anerkennend (obgleich dagegen vielfach
fehlend), und endlich dass wie in jeder Maschine eine Störung ihrer
Proportionalität nicht etwa eine nur relative und ideale ist, sondern eine
absolute reale Existenz haben kann, so auch in der Ordnung des Weltalls. In
diesem aber ist zu unterscheiden von dem eigentlich Physischen das Gedachte oder
das Denken, und damit auch der Menschen Geist, mit seiner Freiheit und Selbständigkeit.
[88/89]
vorzukommen, welche vorgebracht werden könnte von
denjenigen welche der hier und da geäusserten Vermuthung beistimmen,
dereinst könne eine eigene Axendrehung des Mondes bestanden haben, diese könne
aber allmälig zum Stillstande gebracht sein infolge der ihr
entgegenwirkenden Fluth-Bewegung des Meeres (mit dem Hinzufügen, dasselbe könne
dereinst auch der Erdkugel begegnen). Hierauf muss erinnert werden, dass die
ganze Gestalt des Mondes dagegen spricht, es habe überhaupt jemals eine
Rotation bei ihm bestanden, ausser der mit Revolution um seinen Planeten
verbundenen; dagegen spricht nicht nur die einigermaassen conische Gestalt des
Mondes, indem, wie oben schon angegeben ist, dessen der Erde bleibend zugewandte
Seite beträchtlich schwerer ist als die abgewandte, sondern auch das Fehlen
jener Abplattung an den Polen. Ausserdem ist ein Ocean auf ihm ja gar nicht
vorhanden, und wahrscheinlich auch niemals gewesen. Und endlich ist es sehr
fraglich, ob überhaupt, auch auf der Erdkugel, die oceanische Fluthbewegung
- deren infinitesimal geringe Gegenwirkung vollständig zu berechnen, früher
ohne nähere Kenntniss der Meeres-Tiefe und der Meeres-Strömungen,
nicht möglich war, und noch von Niemand ausgeführt ist - die ihr
zugemuthete hemmende Wirkung auf die Axen-Rotation wirklich ausübt. Dabei wäre
das System der Meeres-Strömungen wohl zu beachten, in welchem
wahrscheinlich für jede Strömung eine Compensation besteht in einer Rückströmung,
so dass den westlichen entsprechen gleich viele östliche, welche bei der
Berech-[89/90]nung nicht ausser Acht zu lassen wären (wie denn selbst bei
den Gezeiten die Ebbe compensirt die Wirkung der Fluth). Auch hat schon bei der
Fluth allein Airy, gegen Delaunay, gefunden, dass die verschiedenen Frictionen
sich aufheben, und deren Gesammt-Wirkung auf die Erdrotation gleich Null sei.
Note 3 (zu § 3). Es ist zu erwarten, dass ausser dem vom
Erd-Monde hergenommenen, von Bessel erkannten und gedeuteten, Zeugnisse für
die Teleologie, in der Sternen-Welt noch unzählich viele andere in gleichem
Sinne mehr oder weniger anschauliche Zeugnisse vorhanden sind, welche für
eine in der Anordnung der Weltkörper bestehende Proportionalität sich
aussprechen, zum Beweise dass nicht der blosse Zufall" bei deren
Zustandekommen waltete, sondern dass dabei gedacht worden ist. Wären nicht
noch andere Zeugnisse vorhanden, dann würde jenes einzelne Beispiel kaum
Werth behalten, im Gegentheil es würde dann um den astronomischen Beweis überhaupt
doch misslich aussehen. Zu erinnern, dass solcher Erwartung in der Wirklichkeit
reichlich entsprochen wird, muss daher noch räthlich erscheinen, und dass
es wahrlich daran nicht fehlt, mag hier noch angedeutet werden.
Bleiben wir zunächst bei den Monden. Nicht vom Erd-Monde
allein gilt das besprochene, von dem der Planeten so verschiedene, Verhalten.
Man kann sogar aussagen, noch bei keinem der 20 Monde welche sich in unserem
Planeten-Systeme befinden (sie vertheilen sich folgendermaassen: Erde 1, Mars 2,
Ju-[90/91]piter 4, Saturn 8, Uranus 4, Neptun 1) sei ein anderes erkannt worden;
nämlich alle vollführen ihren Umlauf um ihren Planeten, indem sie
diesem immer dieselbe Seite zukehren, also gemeinsam einem besonderen Gesetze
folgend, was schon P. Laplace für wahrscheinlich hielt (1808). In dieser
Beziehung findet sich von den Monden des Jupiter bestätigend gesagt von
John Herschel (s. Astronomy, 1839, § 467): Durch emsige Beobachtungen
ist sicher gestellt, dass die (4) Jupiters-Monde deutliche Fluctuationen ihres
Lichtglanzes besitzen, und zwar dass diese periodisch sich ereignen,
entsprechend ihrer Stellung zur Sonne. Daraus ist geschlossen, und wie es
scheint mit Grund, dass sie, wie unser Mond, nur eine derartige Rotation haben,
deren Periode zusammenfällt mit ihren respectiven Stern-Revolutionen um den
Planeten". - Ferner bestätigt wurde diese Meinung in jüngster
Zeit wieder für den 4ten Jupiter-Mond*), durch Cam. Flammarion (s. Compt.
rend. Ac. Sc. Paris 1875, Aug. 2). - Vornehmlich aber findet sich der hier in
Rede stehende Beweis für die Teleologie dargeboten im Systeme der 8 Monde
des so eigenartigen Planeten Saturn, in den folgenden Proportionen (auch diese
sind in neuster Zeit bestätigt
*) Wenn in diesem Verhalten etwa einer der Monde eine Ausnahme
zeigte, würde die angegebene Beweiskraft für das Gedachte in der
Anordnung der Weltkörper nicht im mindesten schwächer, im Gegentheil
eher stärker. Ein neuer Beobachter (Secchi) meint schliessen zu dürfen,
dass der dritte Jupiters-Mond eine eigene Rotation habe, zu deren Erkennung ein
wahrgenommener Flecken das Mittel gewährte. [91/92]
worden): von dessen 8 Monden wird der 1ste in seiner Umlaufszeit
übertroffen vom 3ten gerade um das doppelte, und der 2te vom 4ten
gleichfalls um das doppelte, und zwar mit einer Genauigkeit, die sich erstreckt
bis auf l/800 der Periode. Nun aber widerspricht eben diese Proportionalität
dem sonst im ganzen übrigen Planeten-Systeme anzutreffenden Verhalten
durchaus, und ist sehr überraschend exceptionel. Denn sonst gilt im
Gegentheil unter den Bürgschaften, welche man für den dauernden
Bestand unseres Planeten-Systems aufführt, dass die Umlaufs-Zeiten von zwei
Planeten niemals in einem (im mathematischen Sinne) so genannten rationalen Verhältniss
stehen und stehen dürfen, d. h. niemals Vielfache von einander sein dürfen;
weil die Folge einer solchen Proportion sein würde, dass die Stellungen der
Planeten zu einander in regelmässigen Perioden wiederkehren würden,
und in fernerer Folge hiervon, dass die Störungen welche sie auf einander
ausüben nicht sich aufheben, oder doch schwächen, würden, sondern
im Gegentheil sich verdoppeln müssten. So unbedeutend jede einzelne Störung
wäre, sie würde doch im Laufe der Jahrhunderte durch Anhäufungen
eine so ungeheure Grösse erreichen, dass sie das ganze System mit Umsturz
bedrohen würden. Wo sich sogar nur eine Annäherung an jenes angegebene
verderbliche Verhältniss zeigt, z. B. zwischen Jupiter und Saturn, da
treten auch wirklich bedeutende Störungs-Anhäufungen ein, welche erst
in langen Perioden ihre Ausgleichung finden. Hier aber nun, im Monden-Systeme
des Saturn, [92/93] scheint eben jenes gefährliche Verhältniss Geltung
zu haben; daher ist begreiflich dass die gegenseitigen Störungen seiner
Monde wirklich bisweilen bis zu Schrecken erregenden Graden sich steigern müssen.
Und dennoch ist vielleicht eben in diesen exceptionel und einzig dastehenden
Proportionen eine jener Bedingungen enthalten, mittels welcher das schwankende
Gebäude des so eigenthümlichen Ringes, oder der Ringe (welche wie der
Hauptkörper an Dichte nicht die des Wassers erreichen, und mit jenem auch
in der Rotations-Zeit, wie es scheint, übereinstimmen, etwas über 10
Stunden, jedoch, entsprechend der richtigen Mechanik, nicht völlig mit ihm
concentrisch sind) erhalten wird. Demnach finden wir in der so ungewöhnlichen
Welt des Saturn auch eine angemessene ungewöhnliche Anordnung, und was
anderswo zum Umsturz führen würde sichert hier wahrscheinlich den
Bestand. Man kann wohl nicht ablehnen, ganz besonders eben in dieser Exception
der Proportionen in der Anordnung der Saturn-Monde abermals mehr als einen
blossen Zufall zu erkennen, sondern Beweis, dass dabei gedacht worden ist*).
*) In einer Geschichte der Himmelskunde aus neuster Zeit (von J.
H. von Mädler 1873 II. S. 437) findet sich darüber gesagt: dies
ist wohl eben so wenig Zufall wie die schon früher bekannte und theoretisch
bearbeitete Proportion der drei inneren Jupiters-Monde". - Bei dieser
Gelegenheit mag hier auch inbetreff der Ewigkeit der Proportionalität in
den astronomischen Gesetzen folgender Satz angeführt worden (daselbst Bd.
I, S. 7): Die Theorie belehrt uns, dass das side-[93/94]
Sehen wir nun auch nach den Planeten, so lässt sich bei
diesen die Einsicht gewinnen, dass es überhaupt eben die s. g. Störungen"
sind, welche die sichersten Zeugnisse enthalten für die Gesetzlichkeit in
der Mechanik der Himmelskörper. Z. B. die grössten Störungen im
ganzen Planeten-System unserer Sonne gehen aus vom Jupiter, schon deshalb weil
dessen Stelle einigermaassen in der Mitte sich befindet - die Entfernung von der
Sonne beträgt etwa 107 Millionen Meilen - und dessen Masse die überwiegende
ist. Die von ihm bewirkten Störungen würden den Bestand des Ganzen gefährden,
wenn ihm nicht als Gegengewicht der Saturn entgegengestellt wäre. Der
Saturn, nahe gleich dem Jupiter an Grösse, wie auch an der sehr geringen
Dichte, Rotations-Zeit und an der sehr grossen Abplattung, hat im
Planeten-Systeme eine so eigenthümliche Stellung, dass er seine
Attractions-Kraft niemals mit der des Jupiter vereinigen kann (er ist freilich
etwa 90 Millionen Meilen davon entfernt), sondern dass er vielmehr diesem stets
mehr oder weniger entgegenwirkt, und so dessen Störungen um fast 19/20
verringert. Uebrigens ist unter allen Störungen der Planeten niemals
einbegriffen, sondern bleibt immer sich gleich,
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 93]rische Jahr der Erde bis
auf den letzten Secunden-Theil stets dasselbe war und stets dasselbe sein wird -
obgleich es noch heute Phantasten giebt, die um jeden Preis das Gegentheil zu
erweisen bemüht sind". Es scheint wohl werth, nun die Länge des
siderischen Jahres der Erde hier genau anzugeben wie sie im Jahre 1870 galt (S.
178) - 365 Tage, 6 Stunden, 9 Minuten, 10,7496 Secunden.[94/95]
die grosse Axe ihrer Bahn, und damit auch ihre mittlere
Entfernung von der Sonne, und damit ferner auch ihre Umlaufszeit, welche in der
That völlig ungeändert und unfehlsam dieselbe bleibt, in diesem sich
selber regulirenden Uhrwerke. Ueberhaupt sind alle Störungen darin selber
periodisch.
Die eben angeführten, besonders anschaulichen,
astronomischen Verhältnisse sind freilich an sich nichts Neues; dies
versteht sich von selbst; aber es schien nicht überflüssig, sie hier
ausdrücklich anzugeben. Auch die bei Gelegenheit des Erd-Mondes von Bessel
so entschieden ausgesprochene teleologische Deutung ist nicht allein stehend; im
Allgemeinen ist sie in der Mechanik der Himmelskörper seit den ältesten
Zeiten von grossen Astronomen anerkannt*). Oben ist schon ein
*) Für das griechische Alterthum ist wenigstens schon der
Eleate Xenophanes in solchem Sinne anzuführen, insofern er durch die
Betrachtung der Gestirne schon damals zum Mono[no]theismus geführt sein
soll. - Indessen konnte nicht wohl vor der richtigen Erkenntniss des Weltgebäudes
ein competentes Urtheil über dessen teleologische Anordnung entstehen und
abgegeben werden, und so war es erst Nicolas Köpernik, welchem auch dies
zufallen konnte und von welchem ein solches auszusprechen auch wirklich nicht
verfehlt worden ist. In dessen die Welt-Anschauung umkehrenden Werke: De
revolutionibus orbium coelestium". Norimb. 1543, findet es sich in
folgenden Worten der Vorrede: es begann mich zu kränken, dass den
Philosophen nicht sicherer die Vernunft bekannt war, welche in den Bewegungen
der grossen Welt-Maschine enthalten ist" ([]coepit me taedere, quod
nulla certior ratio motuum machinae mundi, qui ab optimo et regularissimo omnium
opifice conditus esset, philosophis constaret"). [95/96]
Wort von Joh. Kepler hierüber angeführt, was wahrlich
denkwürdig ist. - Die Meinung Is. Newton's ist noch immer gültig,
welche lautete (s. Phil. natural. princ. mathem. edit. 2, Cantabr. 1713,
Scholium gener p. 482): alle so regelmässigen Bewegungen im
Sonnen[-]Systeme verdanken ihren Anfang nicht mechanischen Ursachen, - sie
konnten nicht beginnen (oriri) ohne den Beschluss (consilium) eines
intelligenten Wesens". (Demnach fehlt wenigstens hier nicht eine
Uebereinstimmung mit G. Leibniz)*). - Auch P. Laplace, ob-
*) Auch folgender Ausspruch, der an einer anderen Stelle des
selben Werks von Is. Newton sich findet, ist hier der Anführung noch
besonders werth: Die sechs Planeten drehen sich um die Sonne in der Sonne
concentrischen Kreisbahnen, mit gemeinsamer Richtung der Bewegung, fast in
derselben Ebene. Die Monde drehen sich um Erde, Jupiter und Saturn in
concentrischen Kreisen, in derselben Richtung der Bewegung fast in der Ebene der
Planeten-Bahnen. Aber die Kometen bewegen sich ganz frei, in sehr excentrischen
Bahnen und nach allen Seiten des Himmels hin, von überall her und überall
hin; sie gehen mit dieser Art der Bewegung die Bahnen der Planeten hindurch,
ganz schnell und leicht, und sind in ihren Aphelien, wo sie langsam sind und länger
verweilen, sehr weit von einander entfernt und ziehen sich gegenseitig sehr
wenig an. Diese sinnvolle (elegantisima) Anordnung der Sonne, der Planeten (der
Monde) und der Kometen . . . zuzuschreiben einem blinden Zufalle ist allerdings
unmöglich. Eine so wundervolle Einhelligkeit im Planeten-Systeme - das muss
man nothwendiger Weise zugestehen - ist mit Ueberlegung hergestellt worden."
(Dem ist dann noch hinzugefügt, was für die noch weiter sich
erstreckende Auffassung Newton's von der allgemeinen Teleologie uns hier wichtig
ist ["]: Das [96/97]
gleich diesem missverständlich eine Aeusserung von ganz
entgegengesetztem Sinne unterzuschieben sehr üblich ist, sagt (s.
Exposition du système du monde, 1818, p. 389), indem er von der
genetischen Theorie der Sonnen-Systeme spricht: man kann wetten
viertausend Milliarden gegen eins, dass eine solche Anordnung nicht die Wirkung
eines Zufalls ist . . . .; wir müssen also meinen, dass eine primitive
Ursache die Bewegungen der Planeten bestimmt hat"; und ferner (pag. 172): um
zu erklären die doppelte Bewegung der Erdkugel, nämlich deren
Fortbewegung in der Bahn und die eigene Axendrehung, genügt anzunehmen,
dass sie ursprünglich bekommen habe eine Impulsion, deren Richtung in
einiger Entfernung von ihrem Mittelpunkte der Gravitation vorüberging"*).
Was die übrige Sternenwelt betrifft, so wird anerkannt,
dass auch die s. g. Fixsterne, nachdem in neuster Zeit deren Eigenbewegung, vor
allem deutlich bei den Doppel-Sternen, in Erfahrung gebracht ist,
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 96] Gleiche kann man sagen von
der Uebereinstimmung, welche in den Körpern der Thiere besteht").
*) In der Anschauung und Ausdrucksweise der neusten Astro-Physik
ist dasselbe Urtheil ausgesprochen in folgender Gestalt: Eine der
Grund-Ursachen des Bestandes des Weltalls liegt darin, dass die Energie in einem
Punkte desselben mehr concentrirt ist als in anderen Punkten, wofür wir
niemals einen anderen Grund auffinden werden als den Willen des Urhebers"
(s. P. A. Secchi, L' unità delle forze fisiche, 1876 C. I. c. 7, welchem
grossen Forscher auch die wissenschaftliche Unabhängigkeit nicht fehlte).
[97/98]
nicht ohne Ordnung und Sinn im Weltraume ausgestreuet sind; sie
bilden Systeme und kaum zweifelhaft gehören dazu auch uns nicht sichtbare
Planeten in noch grösserer Zahl. Es darf sogar vermuthet werden, dass auch
in der physischen Beschaffenheit der Weltkörper Proportionalität
besteht, dass diese sich in verschiedenen Stufen der Bildung befinden, und
vielleicht in einer Art von Circulation, mit immer neuen Combinationen,
begriffen sind, auch was anbetrifft eine Umsetzung der unvergänglichen
Stoffe und die molekularen Bewegungen, also auch die Wärme und die Kräfte.
Nun aber stellt sich die Frage ein, wenn die Anerkennung schon
so alt ist, dass nicht Zufall sondern Sinn und Ordnung in den Stellungen und
Bewegungen der Himmelskörper herrschen, warum dies nicht auch schon seit
alten Zeiten dahin geführt hat, darin ein Gedachtes und ein Denken
anzuerkennen von gleicher Art, mit denselben logischen Gesetzen, wie das im
Menschen wirkende Denken; oder, anders gesagt, warum nicht schon lange der
Mensch folgerte, sein eigenes Denken finde sich auch im Weltsysteme und sei
wenigstens gleicher Art damit, da logische Gesetze nicht verschieden unter sich
sein können; warum also beide so lange getrennt gehalten sind und keine
Verbindung in solchem Sinne geschlossen wurde zwischen Himmel und Erde.
Unstreitig ist dies nicht geschehen, weder von denen welche mit dem menschlichen
Denken näher beschäftigt waren, noch von denen welche sich mit der
Sternenwelt näher beschäftigten. - Waren doch die ersteren eifrig
bestrebt, vorzugsweise eben den Unter-[98/99]schied des subjectiven Denkens vom
Objecte, von der Aussenwelt, festzustellen, und zwar ohne in dieser zu
unterscheiden den Geist; und oben sind Beispiele angeführt, dass noch die
neusten philosophischen Schulen subjectivistisch die Meinung pflegen, das
bischen Denken was der Mensch besitzt, sei das einzige in der Welt, ja die Welt
sei, wenn nicht vollständig, doch grossentheils nur eine Form von dessen
eigenthümlichem Denken, oder der im Universum zu erkennende Geist komme
doch erst im Menschen zur Existenz, zum Bewusstsein (noch nach einigen der
neusten Philosophen mittels Schwingungen der Hirnfasern)*). Offenbar war der
eigentliche Grund jener bleibenden Trennung ein allgemeiner. Man dachte sich überhaupt
die am Himmel so hoch und fern stehende, unabsehliche und unerreichbare, Staunen
und Ehrfurcht erregende, Sternenwelt allgemein als unvergleichbar verschieden,
also wirklich himmelweit (toto coelo) verschieden" von den erdischen
Verhältnissen, und indem man letztere so entschieden davon getrennt hielt,
was die physische Beschaffenheit betrifft, wurde darin auch einbegriffen das
eigene Denken und dachte man wenig an das im Weltsysteme bestehende**) - Was
*) Diese Anschauung, oder diesen Standpunkt, kann man wahrlich
ptolemäisch nennen, im Gegensatze zur copernicanischen, oben vorgetragenen,
wenn man überhaupt diese Analogie gelten lassen und anwenden will, was doch
unzweifelhaft richtig ist.
**) Dass die Psychologie wirklich bisher sich beschränkt
hat auf die Psyche des Menschen, ohne zuvor eine naturwissenschaftliche
Auffassung von deren allgemeiner Beziehung [99/100]
darin die Astronomie betrifft, so hat sie zwar, wie schon gesagt
ist, von jeher und wiederholt ihr Zeugniss abgegeben für ein Gedachtes und
also für ein Denken in der Sternenwelt, und zunehmend mehr in der neueren
Zeit je genauer sie die Verhältnisse darin kennen lernte; aber dabei blieb
sie stehen, an die Psyche des Menschen dachte sie dabei nicht.
In solcher Denkweise ist in neuster Zeit wenigstens die
Veranlassung zu einer sehr raschen, ja fast plötzlichen Aenderung
eingetreten, seitdem die Astronomie, ausser den mechanischen Verhältnissen
der Gestirne auch deren physikalische Beschaffenheit zum Gegenstande ihrer
Beobachtung und Forschung gemacht hat, die Astro-Physik entstanden ist, und
diese die Vermuthung gebracht hat - zunächst aus der Beobachtung der Sonne
- von einer Wiederholung der erdischen Natur-Verhältnisse sogar auf den
fernsten Gestirnen. Vor allem aber seitdem die chemische Spektral-Analyse (1859)
die ubiquitäre Anwesenheit derselben erdischen Elemente in der Sternenwelt,
man kann wohl sagen unerwartet"*), entdeckt und in sichere Erfahrung
ge-
[Fortsetzung der Anmerkung von S. 99] zum Weltsysteme zu Grunde
zu legen, bedarf nicht weiterer Belege aus der Litteratur. Aehnlich in der Optik
liess die älteste Meinung dereinst subjectivisch die Lichtstrahlen ausgehen
vom Auge aus nach den gesehenen Objecten hin, z. B. bei Epikuros, Hipparchos,
zum Theil auch bei Platon, Eukleides und Ptolemaios; doch nicht bei Aristoteles,
dieser erklärte sich gegen Alle welche das Auge als Lichtquelle
betrachteten, und war so der Copernicus in der Optik.
*) So heisst es in einer neusten Geschichte der Himmelskunde,
1873. [100/101]
bracht hat, und so eine Chemie der Gestirne" oder
Astro-Chemie entstanden ist, ist eine besondere Veranlassung eingetreten, die
Ubiquität noch weiter auszudehnen und zu folgern auch für die
logischen Gesetze; man könnte also sagen, und anzuerkennen auch eine Astro-Logik".
Es bedarf dann wirklich nur noch des Versuches, gleichsam nur des Schliessens
zweier Ketten, um deutlicher zum Bewusstsein zu bringen, was schon lange
vorbereitet nahe lag, dass auch das Denken oder der Geist des Menschen diese
Ubiquität theile, oder, anders gesagt, dass das in der Ordnung des
Weltensystems schon lange erkannte Gedachte und Denken sich auch finde auf der
Erde, dass das Denken des Menschen identischer Art damit sei, wenn auch nur ein
sehr schwaches und geringes in Vergleichung mit jenem. Es kann dann nicht wohl
fehlen, dass auch die Beweise dafür sehr bald sich einzufinden und
einzuleuchten beginnen, und es wird wohl Niemand verkennen, dass diese
Conception, nach weiterer Ausbildung und Anwendung, der Philosophie eine
Aussicht in die Zukunft gewährt mit Folgerungen von sehr grosser Bedeutung.
Einige Versuche, solche Folgerungen zu ziehen, oder wenigstens anzudeuten, sind
in dieser concentrirten Schrift schon gewagt worden, und der Verfasser muss der
Meinung sein, denn sonst würde er die Veröffentlichung unterlassen
haben, dass dies niemals ohne Berechtigung geschehen ist, und daher auch nicht
ganz ohne Zustimmung bleiben werde, wenn auch erst in späterer Zeit,
wahrscheinlich erst nach Verlauf von Jahrzehnten.
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